: Abtreibungsprozesse und kein Ende
In Memmingen steht wieder ein Frauenarzt vor Gericht / Schwangere Frau wollte wegen zerrütteter Familie kein weiteres Kind / Sie bezahlte Ordnungsgeld, um penetrante Befragungen zu vermeiden ■ Aus Memmingen K. Wittmann
Die Memminger Staatsanwälte geben nicht auf. Schon wieder muß sich ein Gynäkologe vor Gericht verantworten. Dem 46jährigen Günzburger Frauenarzt Dr. Philipp Sprenger wirft die Staatsanwaltschaft vor, 1984 eine Jugoslawin ohne vorliegende Indikation zu Dr. Horst Theissen zum ambulanten Abbruch geschickt und sich so der Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch schuldig gemacht zu haben.
Nach den Aussagen des Gynäkologen, der in Günzburg leitender Arzt der Geburtshilfe ist, war die Frau zu ihm gekommen, weil sie sich in einer eindeutigen Notlage befunden habe. Trotz Vorkehrungen zur Empfängnisverhütung sei sie schwanger geworden, hätte jedoch das Kind wegen total zerrütteter Familienverhältnisse nicht austragen wollen. Zwei Jahre zuvor hatte sie bei Sprenger ein Kind entbunden.
„Ich habe der Frau den Rat gegeben, sich mit dem Kollegen Theissen in Verbindung zu setzen, nachdem sie mir mehrere Gründe genannt hatte, weshalb für sie ein stationärer Abbruch nicht in Frage käme.“ Diese Gründe wollte der Anklagevertreter, der vom Theissen-Prozeß her bekannte Staatsanwalt Herbert Krause, genau wissen. Zum einen habe die Patientin niemanden gehabt, der das Kind hätte betreuen können; außerdem sei sie in großen finanziellen Nöten gewesen, und zudem stand sie kurz vor der Scheidung, sagte der Frauenarzt.
Aus seiner Zeit als Oberarzt in Memmingen habe er Dr. Theissen gekannt, und es sei ihm auch bekannt gewesen, daß Theissen lange Zeit eine Genehmigung zum ambulanten Schwangerschaftsabbruch gehabt habe, sagte Dr. Sprenger. Er sei davon ausgegangen, daß die Patientin noch einmal zu einem ausführlichen Beratungsgespräch in seine Praxis komme, was jedoch nicht geschehen sei. Dann hätte er ihr auch selbstverständlich die Indikation gestellt. „Die Voraussetzungen für den Abbruch waren in jedem Fall gegeben, wenn man allgemein menschliche und liberale Maßstäbe anlegt“, sagte Dr. Sprenger. Zu bedenken gab er auch, daß die Patientin von ihrem Heimatland her Auflagen, wie sie in der Bundesrepublik existieren, nicht kannte.
Der Strafrichter, Freiherr von Castell, wollte nach der Einvernahme des Gynäkologen wissen, ob denn der Staatsanwalt unbedingt noch auf der Anhörung der Zeugin bestehe. Herbert Krause bejahte dies. Da die Zeugin nicht erschienen war, wurde der Fortsetzungstermin auf nächsten Mittwoch festgesetzt. Wegen ihres Nichterscheinens wurde gegen die Zeugin durch das Gericht ein Ordnungsgeld von 200 Mark verhängt.
Die Frau hatte im Zuge der großangelegten Ermittlungen der Memminger Staatsanwaltschaft den Strafbefehl bezahlt, um sich einen öffentlichen Auftritt vor Gericht zu ersparen. Auf den Fall aufmerksam geworden sind die Staatsanwälte nur durch ein altes Rezept aus dem Jahr 1984, das bei den beschlagnahmten Akten von Dr. Theissen abgeheftet war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen