piwik no script img

Deine Küsse verloren sich

■ „Liebesstreu“: Eine „lyrische Konfrontation“ im Forum Böttcherstraße

Je bemühter die Künstler versuchen, die vorgetretenen Pfade zu verlassen , umso mehr scheinen sie vom Publikum konventionelles Verhalten zu erwarten. Während die Künstler sich dann alles Lieb und Leid von der Seele reden, singen und tanzen können, wird das Auditorium eineinhalb Stunden auf Stühlen festgenagelt, auf denen es dann übergeschlagenen Beines, mit zur Seite gelegtem Kopf aufmerksam dem Dargebotenen folgen darf. Das ist doch ungerecht. Unkreativ ist das. Besonders wenn schlecht geheizt ist.

So geschehen im Forum Boettcherstraße, wo lyrische Performance anstand. „Und was willst du denn von mir, du warst stumm und deine Küsse verloren sich in den Steinen, ... und du verspritzt dich in ... einen dieser tausende von Toden, die am Rand des Ent

setzens nur noch das Lächeln hervorbringen können ...“ spricht Elvira Noa, ein Schlagzeug und ein computergesteuerter Synthesizer begleiten sie dabei. Zur linken Hermaphroditen in Muscheln, mit Schwänen, verkrüppelt und unverkrüppelt, zur rechten Fotos gemüsegefüllter Hunde. Joel Peter Witkens streitbare Fotos schaffen ein eigenartiges Ambiente für Kunstgenuß aus Klappstuhlperspektive. Aber wehe, da richte eine eine Frage an ihre Nachbarin, das wird mit den kollektiven tz-tz-tz -Blick, nicht unter zwei Sekunden geahndet. So erwartungsgemäß das Publikum, so unerwartet die Künstler. Trendy in Outfit und erfrischend bodenständig für literarische Zirkel. Keine Schellen an den Füßen, nicht ein einziger Künstlerschal. Die sehr unterschiedlichen Texte, von denen mir die mit den „blü

henden Apfelbäumen“ und „glimmenden Flammen unter meinen Kleidern“ nicht so sehr zusagten, wurden wechselweise oder auch synchron von der Autorin Elvira Nora und Lutz Blank gesprochen. Drei weitere Herren, ein Computer und ein Band sorgten für das Performige musikalischer Art. Zu „Liebesstreu“ zum Beispiel was Bröseliges, zu Charly Parker was vom Meister selbst. Und die Musik konnte sich hören lassen. Der Schlagzeuger weckte auch immer rechtzeitig , nicht nur die programmversprochenen verschütteten Gefühle, sondern auch den Herrn in der ersten Reihe auf, bevor das Schnarchen zu gleichmäßig wurde. Und das nächste Mal will ich rumlaufen, mir die Bilder ansehen, was zu trinken kriegen und mich unterhalten dürfen, basta. Kerstin Dreye

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen