: Fernseh-Marathon durch die Feiertage
Endlich! Sie sind weg: Die Mitbewohnerin, der Herzensmann, die FreundInnen und KollegInnen. Alle bei Papa und Mama. Oder beim Skifahren. Eingedeckt mit Speisen und Getränken werde ich dieses Weihnachten in völliger physischer und geistiger Erschlaffung im Bett und vor der Glotze verbringen, während oben Genannte sich mit Gänsebraten und Verwandten den Magen und das Hirn verrenken oder völlig unökologisch (wie denn sonst? - d. s-in) irgendwelche Hänge runtersausen. Samstag
Am Samstag morgen mache ich mich erstmal fit fürs Ruhemarathon. Das Vormittagsprogramm von ARD und ZDF bietet für Leute wie mich bereits um 9.45 Uhr eine Viertelstunde Aerobic. Fit wie Pfeffer gibt es dann erstmal ein ruhiges Frühstück. Um aber nicht ganz zu vergessen, wie es den lieben Freunden geht und zur freudigen Einstimmung auf familienfreie Tage, um 14 Uhr ein Blick ins Erste Programm: Oh, Du fröhliche... Weihnachten bei einer deutschen Familie. Richtig aus dem Leben gegriffen, mit Nervereien, Langeweile und Aggressionen. Eine echte und abschreckende Beobachtung bei Familie Steude aus Leverkusen. Um 17.05 Uhr wird dann, was sonst von wegen geistigem Niveau nicht betrachtet werden darf, im ZDF Unter der Sonne Kaliforniens reingezogen. Um 17.45 ist es allerdings angebracht, auf N3 umzuschalten. Zwar nur eine Viertelstunde lang, aber immerhin, wird hier in der Serie Rückblende des zehnten Todestags von Rudi Dutschke gedacht. Aber ehe die Trauer über die Gemeinheit des Schicksals von mir Besitz ergreifen kann, stelle ich mich schon mal auf das Erbe der Guldenburgs ein. Da ist das Schicksal so wunderbar aristokratisch gemein und zum Schluß immer gerecht. Um mich auf die höchst komplizierte Abendauswahl zu konzentrieren, schiebe ich erstmal die Pizza in den Ofen und entkorke ein Fläschchen Medoc. Allein schon aus Solidarität mit meinen Kollegen von der Sportredaktion werfe ich um 22.05 Uhr im ZDF einen Blick ins Ausgefallene Sport-Studio. Kabarettist Werner Schneyder verspricht Höhepunkte und Kurioses aus dem Sportjahr 1989. Aber nach wenigen Minuten weiß ich schon, daß soviel Kurioses wie auf den taz-Leibesübungen im ZDF niemals zu sehen ist. Also um 22.15 Uhr ab zur ARD, wo justament Miami Vice beginnt. Um was es da geht, ist völlig wurscht, in der Regel um Rauschgift und Bösewichter. Aber wie Don Johnson immer guckt, Stunden könnte ich ihm dabei zusehen. Schade, daß mein Herzensmann erst Mittwoch wiederkommt...
Um 22.55 Uhr komme ich dann arg in die Bredouille. Auf Sat 1 gibt es den US-Thriller Auf den Schwingen des Adlers mit Burt Lancaster. Iran 1978, der Schah ist gestürzt, zwei US -Amis werden verhaftet, und Burti soll sie befreien. Um 23 Uhr in der ARD dann der dritte Teil vom Weißen Hai. Also beim ersten Teil, noch vom Meister Spielberg persönlich, habe ich mir noch drei Fingernägel abgeknabbert. Beim zweiten waren es dann bloß noch Salzstangen. Teil 3, in 3-D und mit noch mehr technischem Aufwand gedreht, läßt dem Gesetz der Serie nach zu urteilen, nicht mehr viel Spannung erwarten. Um 23.30 Uhr der nächste Konflikt: Local Hero im ZDF. Wieder mit Burt Lancaster, diesmal in einem Öko-Krimi. Sonntag
Jetzt warten alle aufs Christkind. Und traditionellerweise wird im Ersten um 14.20 Uhr die gleichnamige Kinderablenkungssendung ausgestrahlt. Zu meiner Zeit hat das noch Frau Ilse moderiert, die Fernsehmutti, die wirklich noch für uns Kleine Zeit hatte, während die echte Mutti kurz vor dem Nervenzusammenbruch in der Küche rumwerkelte. Heutzutage ist es Michael Schanze, der die Sendung zwischen Zeichentrick und Spielsendung moderiert. Wollen wir den süßen Kleinen wünschen, daß er wenigstens nicht singt. Falls doch, empfiehlt sich ein Umschalten um 14.45 Uhr aufs Zweite. Das zauberhafte Land beziehungsweise The Wizzard of Oz mit der wunderbaren Judy Garland, einer der schönsten Märchenfilme, die Hollywood je produziert hat. Um 18.10 Uhr auf dem gleichen Kanal wird es dann vermutlich wieder ganz furchtbar. Werner Doye und Helmut Schimanski wollen weihnachtliche Geschichten, die erst durch die Öffnung der Mauer möglich wurden, erzählen. Schöne Bescherung...in Berlin. Zum Fest nochmal Tränen und Umarmungen und endlich bei Tante Else in Güterfelde wieder selbstgemachte Leberwurst essen nach 28 Jahren? Nee, danke, hamwa live. Um 18.40 Uhr wird sowieso wieder aufs Erste geschaltet zur Lindenstraße, gar keine Frage. Marion Beimer kommt nämlich wieder zurück, und hoffentlich schafft es Mutter Beimer, ihr wenigstens dieses Leiden Christi namens Matthias vom Hals zu halten. Leute mit Hang zu Religiösem können denn zur Heiligen Nacht um 0.30 Uhr im Ersten noch Ingrid Bergmann als Nonne goutieren (Die Glocken von St. Marien). Trotz der späten Sendezeit ist das Schmalzstück garantiert jugendfrei. Montag
Der erste Weihnachtsfeiertag beginnt mit einem hervorragenden Frühstücksprogramm, auch wenn wieder mit Entscheidungsschwierigkeiten verbunden. Im Ersten um 13.30 Uhr die Augsburger Puppenkiste mit dem Märchensingspiel Eine kleine Zauberflöte. Wer jemals Kater Mikesch, Jim Knopf und Lukas, den Lokomotivführer, gesehen hat, wird sich diese Aufführung auf keinen Fall entgehen lassen. Allerdings gibt es im N3 zur gleichen Zeit Die Kinder des Olymp. Habe ich zwar schon mindestens dreimal gesehen, aber wenn die schöne Garance so unendlich traurig aus dem Fenster schaut...Papiertaschentücher liegen auch schon griffbereit.
Der Abend beginnt vielversprechend! Um 19 Uhr im Ersten werde ich meinem Kollegen aus der Wirtschaft auf der Spur sein, der derzeit auf dem Weg zu genau dieser Insel ist: Insel der Meuterer, gemeint ist Pitcairn in der Südsee, heißt die vierteilige Serie um die Meuterer der Bounty. Kunkel, unterstehe Dich, den Kahn zu meutern, auf dem Du Dich befindest, um auf immer in die Arme einer braunen Schönen von Pitcairn zu entfliehen! Wir holen Dich schon zurück! Da kennen wir gar nichts. Aber Pitcairn hin, Kunkel her, wenn Marcello Mastroianni in Schwarze Augen um 20.15 in der ARD auftritt, können alle anderen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Dieser ewige Filou mit großen Liebesschwüren, die er nie einhalten kann oder auch will, sondern der letztendlich immer zur Gattin zurückkehrt, weil's bequemer ist, macht einen so richtig froh, daß der eigene Herzensmann nicht so einer ist. Allerdings ist er auch nicht so schön wie Marcello. Aber man kann ja nicht alles haben. Dienstag
Typisch Öffentlich-rechtliche! Die wirklich kritischen Sachen bringen die zu unmöglichster Sendezeit! Wer schaut schon morgens um 9.30 Uhr in die Glotze? Tiere unterm Weihnachtsbaum - was nun? schildert das Elend der lebendigen Weihnachtsgeschenke. Wenn dann das Fest der Liebe vorbei ist und die kleinen Viecher lästig werden, werden kleinere Exemplare ins Klo gespült, größere ausgesetzt. Für eine artgerechte Haltung will der Film werben. Besser wäre allerdings, für eine militante Haltung gegenüber solchen bigotten Tierquälern zu plädieren! Für risikofreie Tierliebe ist da um 13.20 in der ARD der tschechische Zeichentrickfilm Die große Käseverschwörung geeigneter. Fünf Mäuse wollen nach Gangstermanier einen Käseladen überfallen. Viel Glück, Jungs! Die unendliche Geschichte, um 17.20 Uhr ebenfalls in der ARD, kann ich mir eigentlich schenken: Langsam kriege ich nämlich das Gefühl, daß vor lauter Fernsehen meine Phantasien auch von der alles verschlingenden Leere bedroht werden. Nur Woody Allens Hannah und ihre Schwestern (21.55 Uhr, ZDF) schaue ich mir noch an, und zum Schluß in DDR 1 um 0.05 Uhr Erotik zur Nacht. Dem Himmel sei Dank ist der Herzensmann morgen wieder da. Und mit dem werde ich in diesem Jahr nur noch ein Stück im TV anschauen: Dinner for one, alljährlich an Silvester in den Dritten Programmen. The same procedure as every year...
dubidu
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