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Wer nicht arbeitet, soll auch nicht übersiedeln

■ AL fordert Arbeitsnachweis von DDR-Bürgern, ehe sie in die Bundesrepublik übersiedeln / Arbeitsmarktzahlen sollen als „Warnung“ verstanden werden

Wer hier nicht arbeitet, braucht hier auch nicht zu wohnen. Und wer uns „rare Arbeit wegnehmen“ will, der soll zumindest schon einen Arbeitsplatz nachweisen können, ehe er zu uns übersiedelt. Solche Töne kamen gestern nicht etwa von rechten CDU-Ordnungspolitikern oder den REPs zum Thema Ausländer in der Bundesrepublik und West-Berlin, sondern von der AL zum Thema Übersiedler aus der DDR. Forderung der Alternativen angesichts der neuesten Statistiken des Landesarbeitsamtes: Zuzug nur mit Arbeitsnachweis.

Verpackt war dieser deutschlandpolitische Vorschlag der Igelpartei in eine Presseerklärung der AL, die als „Warnung“ an Übersiedler verstanden werden sollte: „Die Steigerung der Zahl der arbeitslosen Übersiedler um 1.584 in einem Monat“, hieß es darin auf die neuesten Zahlen anspielend, „bzw. um 374 Prozent gegenüber dem Vorjahr sollte eine Warnung an alle DDR-Bürger sein, nach West -Berlin oder in die Bundesrepublik überzusiedeln. Dieses Recht sollte gebunden werden an den Nachweis eines Arbeitsplatzes auf unserer Seite, damit auch in West-Berlin ohnehin rare Arbeit nicht weggenommen wird und auf der anderen Seite der DDR nicht auch noch Arbeitsplätze fehlen.„ Damit wären DDR-Bürger in West-Berlin und in der Bundesrepublik schlechter gestellt als Staatsbürger sämtlicher EG-Staaten.

Für die Forderung einer solchen - verfassungsrechtlich kaum vorstellbaren - Zwangsmaßnahme nahm die AL eine eher positive Bilanz der Arbeitsamtstatistiker zum Anlaß. Trotz der insgesamt rund 63.000 Aus- und Übersiedler, die im Jahr 1989 nach Berlin gekommen seien, heißt es darin, habe sich der Berliner Arbeitsmarkt insgesamt leicht entspannt. Seit 1985 bedeute dies zum ersten Mal eine spürbare Erleichterung. Das Landesarbeitsamt führt dies in dem gestern veröffentlichten Jahresbericht auf eine insgesamt verbesserte Konjunktur zurück, die gegenüber 1988 nochmals eine deutliche Zunahme der Beschäftigten nach sich gezogen habe. Die Nachfrage nach Arbeitskräften seitens der Industrie und dem Dienstleistungssektor sei rege, heißt es in dem Bericht. Besonders im Dienstleistungsbereich und im verarbeitenden Gewerbe stieg die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr leicht an. Allerdings ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit in der zweiten Jahreshälfte deutlich gebremst worden, ausgelöst durch die starke Zuwanderung von Übersiedlern. Im Jahresdurchschnitt lag die Arbeitslosenquote in Berlin 1989 bei 9,8 Prozent, das waren 0,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Insgesamt wurden 91.875 Arbeitslose registriert.

Ein wenig verbessert hat sich das Problemfeld Jugendarbeitslosigkeit: Bei jugendlichen Arbeitnehmern unter 20 Jahren liegt sie zwar immer noch bei 20,5 Prozent, sie ging jedoch im Vergleich zu 1988 deutlich zurück.

Am auffälligsten war die Entwicklung - wie nicht anders zu erwarten - bei den über- und ausgesiedelten Brüdern und Schwestern aus dem Osten: Anfang des Jahres waren beim Arbeitsamt 3.229 Menschen als arbeitslos gemeldet. Die Zahl stieg im Laufe des Jahres um 12.092 oder 374 Prozent auf 15.321 an.

Im Dezember hat die Zahl der Arbeitslosen, wie in jedem Winter, deutlich zugenommen. Gegenüber dem Vormonat stieg sie um mehr als vier Prozent.

tom-/kd/dpa

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