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EHRLICHKEIT UND GELD UND FLACHMANN

■ Die Herren Müller, Anderson und Penck produzierten sich im „Treibhaus“

Massenandrang herrschte, als die Türen des „Treibhauses“, des Kultur- und Informationszentrums für alle oppositionellen Gruppen in der DDR, sich am Fuße des Ostberliner Funkturms öffneten für einen Veranstaltungsabend der Protokoll-Strecke - einer Reihe, die „Blicke hinter die Kulissen des realsozialistischen Kulturbetriebs“ wagen will. Am Sonntag waren zur Einstimmung die Dichter Heiner Müller und Sascha Anderson, der Maler A.R. Penck und die beiden Musiker Helge Leiberg und Lothar Fiedler geladen. In dem Gedränge achtete man diesmal nicht mehr auf Ost- oder Westzugehörigkeit.

Daß alle außer Müller zum ersten Mal seit zehn oder sechs oder vier Jahren wieder in Ost-Berlin sind, war nahezu die einzige Aussage, die ihnen sicher über die Lippen kam. Mit allen weiteren Aussagen bewegten sich Penck und Anderson zusammen mit dem schon immer ostwestwandernden Heiner Müller auf eingestandenermaßen schwankendem Boden, ja betonten das sogar immerzu. Nach der kurzen, viertelstündigen Lesung Sascha Anersons aus seinem Gedichtband „Jewisch Jetset“ zu Radierungen von A.R.Penck begann ein gezwungenes, zögerliches Umkreisen der Frage, warum man eigentlich zusammengekommen sei und was man nun zu erörtern habe, angesichts der neuen Situation in der DDR. Man kam schnell überein, von einem „Vakuum“ zu sprechen, das durch den Umsturz entstanden sei und daß keiner bereit war, auch nur mit einem Halbsatz zur Befriedigung der Zuschauer zu stopfen. Die Kunst spielt keine Rolle im Westen, sagte Müller, was läßt sich daraus für die heutige DDR ableiten? Keiner gab ihm eine Antwort darauf. Die Klischees vom phantasielosen Westen müssen aufgelöst werden, sagte Sascha Anderson. Es sei hüben und drüben genau dasselbe. „Uns hat man aus der DDR rausgeworfen, nicht, weil wir zu frei geredet oder geschrieben haben, sondern weil wir ökonomisch autonom geworden waren.“

Es wurde ein Abend der Rettungsversuche. Müller regte an zu überlegen, was denn erhaltenswert sei in der DDR. Die Valutazahlungen an die Künstler, schlug der DDRler vor, nur müßten sie ausgedehnt werden auf Intellektuelle und Spezialisten, als Anreiz für das Verbleiben im Land. Da war endlich ein Thema gefunden: das Geld. Und die Frage, ob ein Künstler in der freien Wirtschaft korrumpiert werde. Penck sagte prompt: „Ich bin korrupt.“ Was Heiner Müller dann zu solch alkoholschwangeren sophistischen Ausführungen veranlaßte wie etwa, daß Penck sich sogar noch im Eingeständnis der Korruptheit als ehrlich und damit als Künstler erweise; er, Müller, sei jedenfalls davon überzeugt, daß Penck nie einen Pinselstrich im Hinblick aufs Geld gemacht habe, das sähe man seinen Bildern an. Er meinte damit vielleicht Pencks Illustrationen zur „Wolokolamsker Chaussee“, die im Eingangsraum zu besichtigen waren. Er wollte keine Bekenntnisse mehr abgeben, schloß Sascha Anderson für sich die Veranstaltung ab. „Ihr könnt euch ansehen, was wir gemacht haben“, so Penck zum wiederholten Male, „wir haben euch gezeigt, daß wir uns nach wie vor austauschen“, und damit nahm er erneut in Zipfelmütze und Anstreicherhose zwischen den Zuschauern Platz.

Da das Vakuum in der DDR nun eine ausgemachte Sache sei, wie stehe es dann mit einer Beschleunigung im Vakuum? Die fragenden Zuschauer waren nicht zufrieden. Aber Müller frustrierte erneut: Da die DDR auf Verlangsamung basiere, wäre es ein Trugschluß zu glauben, daß die Revolution eine Beschleunigung bringt. Und überhaupt befänden wir uns im Zeitalter der Konterrevolution.

An den Wänden hingen Transparente der verschiedenen Demonstrationen, „Revolutionsschrott“ wurden sie jetzt schon von den Ost-Anwesenden genannt. „Trennende, trennt Wände“, stand auf einem zu lesen. Die Wände waren offensichtlich nicht mehr das Problem, sonden das Loch, das sich jetzt von beiden Seiten aus angähnte. Gelegentlich wurde es von den Freitönern Leiberg und Fiedler durch Baß- und Trompetenstöße gestopft.

Als die Whiskeyflasche zwischen Anderson und Müller bedrohlich zur Neige ging, startete Penck einen letzten Zuschauerindiefluchtschlageversuch, indem er das Publikum fragte, wer gestern abend im Fernsehen Clifford Stall (?) gesehen hätte. Den nicht gesehen zu haben sei ein schwerer Fehler, er sei modern! So zog die frustrierte Zuhörerschaft mit einem Vakuum im Kopf schließlich ab. Die anwesenden DDRler hatten sich vor allem in der Bücherecke aufgehalten, wo es Westbücher zum Kurs von 1:1 zu kaufen gab.

Michaela Ott (West-Berlin)

Im „Treibhaus“ im Ausstellungszentrum am Fernsehturm wird in der Reihe „Protokoll-Strecke“ noch die ganze Woche diskutiert: Heute um 18 Uhr spricht Diether Schmidt mit Rolf Xago Schröder über seinen Hinauswurf aus der DDR.

Morgen um 18 Uhr spricht Erhard Frommhold mit Gabi Muschter über die Ungeliebtheit des Büchermachers.

Am Mittwoch um 17 Uhr erzählt Klaus Wolf aus dem Leben eines ungespielten Autors, und um 19 Uhr fragen F.J. Kopka, J. Laaks und R.Melchert unter dem Titel „Temperamente - die erste Redaktion. Wie macht man (k)eine Kulturzeitschrift“.

Am Donnerstag um 18 Uhr sprechen Liedermacher und Rockmusiker zur Sache.

Am Freitag um 18 Uhr definiert „Mikado - eine Zeitschrift und ihr Kreis“ Kunst und Literatur als Gegenöffentlichkeit.

Am Samstag gibt's dann noch um 16.30 Uhr Bettina Wegner im Gespräch über Erlebnisse mit der realsozialistischen Kulturbürokratie, und um 19 Uhr verbreitet sich Klaus Staeck im Gespräch mit Klaus Werner über linke Kunst im Rechtsstreit.

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