: Knastzeitungen
■ gelesen von Uta Klein * Hauspost / Inside / Krümmede / Meisenspiegel
Erstmaliges Treffen von Redaktionen
Zum ersten Mal fand eine Redaktionskonferenz von Inhaftierten hinter den Mauern statt. Im Juni vergangenen Jahres trafen sich in der JVA Werl 15 Redakteure von Gefangenenzeitungen aus NRW. Die Zeitungen 'Hauspost‘ (Werl), 'KuckucksEi‘ (Schwerte), 'Telos‘ (Bielefeld), 'Ulmer Echo‘ (Düsseldorf), 'Inside‘ (Remscheid) und 'Krümmede‘ (Bochum) waren vertreten. Zum Teil nicht nur von Inhaftierten, sondern „begleitet“ von Betreuerinnen und Betreuern. Die „Dokumentationsstelle Gefangenenliteratur“ der Uni Münster hatte das Ganze organisiert und inhaltlich vorbereitet.
Ursprünglich war ein Treffen außerhalb der Mauern in einer Tagungsstätte beabsichtigt gewesen. Dazu hätten allerdings nur Urlaubsberechtigte eine Genehmigung bekommen, viele auch langjährig tätige Redakteure hätten nicht kommen dürfen. So wurde das Angebot des Anstaltsleiters von Werl angenommen, dort die Tagung durchzuführen. Auch vom Justizminister kam schließlich grünes Licht.
So nahmen die Teilnehmer den Transport von JVA zu JVA, der bekanntlich zu einer der unangenehmsten Erinnerungen an den Gefängnisaufenthalt gehört, in Kauf, um sich endlich mal persönlich kennenzulernen und auszutauschen.
Neben Vorträgen, unter anderem zur Geschichte der Gefängnispresse, über Zielsetzungen und Konzeptionen von Gefangenenzeitungen war genügend Raum zur Diskussion über Arbeitsbedingungen, über eigene Erfahrungen mit der Reaktion von außen. Rückmeldungen von Mitinhaftierten und über Zensur und Entnahme.
Nach den beiden Tagen können vier Aspekte zusammenfassend als (vorläufiges) Ergebnis festgestellt werden:
Die Redaktionen sind in NRW finanziell besser abgesichert als viele in anderen Bundesländern. So haben bis auf eine Ausnahme alle Redaktionen einen hauptamtlichen Redakteur, der freilich für den knastüblichen Hungerlohn von sechs bis sieben Mark am Tag arbeitet. Nach Auskunft des Vollzugsamtes läuft die Finanzierung über den jeweiligen Freizeitetat jeder Anstalt. Gleichwohl fehlt es einigen Redaktionen an notwendigen und sinnvollen Arbeitsgegenständen und vor allem an Einblick in die Finanzen. Von vielen wird beispielsweise ein Computer für Texterfassung und Layout gewünscht, was sicher auch Fortbildungsmöglichkeit bieten würde.
Auch machte die Diskussion deutlich, daß das primäre Ziel der Redaktionen der Weg nach draußen ist. Zwar treten noch viele Blätter mit der Intention an, Mitinhaftierte wachzurütteln, zu informieren und im günstigsten Fall zu solidarisieren, jedoch wird mindestens soviel Wert auf Information der Öffentlichkeit gelegt. Man hat die Darstellungen in den öffentlichen Medien gründlich satt. Das dort verbreitete Bild des Hotelvollzuges soll von der Darstellung der Realität aus Betroffenenperspektive korrigiert werden.
Das bedeutet jedoch eine Erhöhung der Auflage, um die vielen Hefte nach draußen schicken zu können, gleichzeitig höhere Portokosten und Bedarf an Kontaktadressen. Das wiederum stößt nicht auf Gegenliebe bei den Justizbehörden.
Diese scheinen zu fürchten, der Öffentlichkeit ein zu negatives Bild unseres Strafvollzuges zu präsentieren, und favorisieren knastinterne Postillen. Sollte es den Gefangenen gelingen, Ideen einer 50:50-Auflage drinnen und draußen zu realisieren, wäre ein ernormer Schritt getan.
Der Strafvollzug könnte transparenter gemacht werden, die Inhaftierten in Dialog mit der Außenwelt treten, die sie ja schließlich später wieder mal aufnehmen soll.
Die Erfahrungen mit Zensur und Entnahme sind unterschiedlich. Herausgeber nahezu aller Gefangenenzeitungen in der Bundesrepublik sind die Anstaltsleiter und Anstaltsleiterinnen. Damit obliegt ihnen das juristische Recht zur Zensur und Entnahme, wie es offiziell heißt. Dieses Recht wird von Anstaltsleitung zu Anstaltsleitung unterschiedlich rigide oder eher lax gehandhabt.
Entsprechend berichteten einige der Anwesenden von großzügiger Haltung der „Oberen“ und scheinen kaum Probleme mit Eingriffen zu haben. Die negativen Erfahrungen, nämlich gravierende Eingriffe in die Meinungsfreiheit, tauschte man dann allerdings beim Hofgang aus.
Alternative Modelle der Herausgeberschaft wurden diskutiert. So existiert in Düsseldorf eine Zeitung, die nicht vom dortigen Anstaltsleiter herausgegeben wird, sondern von einem Geistlichen. Der Pater war anwesend und konnte von seinen Erfahrungen berichten. Der Strafrechtler Johannes Feest erläuterte das Modell des 'Diskus‘ aus Bremen. Diese Knastzeitung wird von einem Bediensteten der JVA herausgegeben und verantwortet, nachdem der Anstaltsleiter nicht willens war, dies zu tun.
Übereinstimmend wurde empfohlen, daß die Redaktionen in einem Redaktionsstatut Rechte und Arbeitsgrundlagen mit der Anstaltsleitung vereinbaren sollen. So können sie sich gegen eine eventuelle Willkür zumindest etwas absichern.
Und zuletzt: Es wird weitere Tagungen dieser Art geben. Den Mitarbeitern fehlen vor allem journalistische Kenntnisse, denn immerhin hat kaum einer der Schreiber vorher bei einer Zeitung gearbeitet oder geschrieben. Sie wollen zumindest solide Grundkenntnisse verschiedener Beitragsformen, in Interviewtechnik und der Wahl der Sprache haben.
Auch benötigen sie Austausch über ganz profane technische Dinge, über Papier und Preise, über Druckmaschinen, Möglichkeiten des Layouts und der Gestaltung.
Der Präsident des Justizvollzugsamts sagte bei der abschließenden Podiumsdiskussion eine Unterstützung weiterer Tagungen zu. So wurde das Treffen in optimistischer Stimmung beendet.
'Hauspost‘
Thema der 'Hauspost‘, Ausgabe 4, sind u.a. die Langzeitbesuchszellen. Als Modellversuch wurden in diesem Jahr in den Anstalten Werl und Geldern spezielle Zellen eingerichtet, in denen unbeaufsichtigte Besuche zwischen Inhaftierten und Angehörigen stattfinden können.
Schon im Vorfeld ist darüber viel Wirbel entstanden. „Liebeszellen“ heißt es in den Boulevardblättern, „Begegnungszellen“ in den Lokalzeitungen. Häufig genug mußte der Modellversuch als Beweis des angeblichen Hotelvollzuges herhalten. Wenig war dagegen zu lesen, wer nun eigentlich in den Genuß des Besuchsempfangs ohne anwesende Beamte kommt und wie häufig und wie lange diese Besuche stattfinden dürfen.
In der 'Hauspost‘ ist zur Information das Originalstatut abgedruckt. Da stehen nun die Bestimmungen. Die Besuche dürfen drei Stunden dauern. Anträge können nur von denjenigen gestellt werden, die noch mindestens drei Jahre Freiheitsstrafe vor sich haben und auf absehbare Zeit „nicht urlaubsgeeignet“ sind. Eine weitere ganz gravierende Beschränkung ist auch dadurch auferlegt, daß nur Verwandte zum Besuch zugelassen werden - also keine Freundin kommen darf.
Es stellt sich natürlich die Frage, wieviele Inhaftierte überhaupt die Bestimmungen erfüllen.
Auch das heikle Thema Wohngruppenvollzug wird in der 'Hauspost‘ aufgegriffen. Davon abgesehen, daß allein der Begriff „Wohnen“, mit dem man Begriffe wie „Zuflucht“, „Vertrautheit“, „Kommunikation“ und Selbstbestimmung assoziiert, konträr zum Begriff des „Vollzuges“ steht, werden die Möglichkeiten der Wohngruppen im Strafvollzug allgemein sehr kontrovers diskutiert. Die Redaktion der 'Hauspost‘ hat dazu getrennt voneinander einen Psychologen und den Anstaltsleiter der JVA interviewt. Einiges an der Kritik des Psychologen ist sicher nachvollziehbar, z.B. die am Personalmangel, der verschuldet, daß am Wochenende die Türen der Hafträume verschlossen bleiben müssen. Aber stark kommt in seinen Äußerungen das Bedürfnis nach noch mehr „Behandlung“, noch mehr Therapie zum Tragen. Und ob unter Bedingungen des Strafens therapeutische Behandlung überhaupt möglich ist, würde ich bezweifeln.
Die Äußerungen des Anstaltsleiters klingen da pragmatischer und realistischer. Er scheint eher einen sozialpädagogischen Vollzug, betreute Wohngruppen anzustreben und den Behandlungsgedanken zurückzunehmen. So spricht er sich gegen, wie er es nennt, „Minisozialtherapie“ aus.
Eine befriedigende Antwort oder abschließende Erkenntnisse bieten beide nicht. Ein Briefwechsel mit der Redaktion oder mit anderen Inhaftierten könnte Einblick geben in die Sicht der Betroffenen.
'Inside‘
Mit 128 (!) Seiten erschien 'Inside‘ aus Rheinbach in diesem Jahr. Hat der hauptamtliche Redakteur jahrelang Beiträge vorbereitet, bevor das Heft erscheinen konnte?
Das Titelthema Geld, Geld, Geld beleuchtet informativ die Bezahlung der Gefangenenarbeit. Petitionen nach einer schrittweisen Angleichung des Arbeitsentgelts an den durchschnittlichen Verdienst von Arbeitern und Angestellten und ebenso die Einbeziehung von Inhaftierten in die Sozialversicherung, wie die der „Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialarbeiter/Sozialpädagogen bei den Justizvollzugsanstalten“ beispielsweise, waren schon in den letzten Jahren abgewiesen worden. Grund: die angespannte Finanzlage der Länder.
In das Strafvollzugsgesetz war 1977 jedoch ein Passus nach „leistungsgerechter Entlohnung“ aufgenommen worden, auf den die SPD in einer kleinen Anfrage aufmerksam machte, aber auch keinen Erfolg hatte. So werden leider nach wie vor Inhaftierte entlassen, denen die hohe Schuldenbelastung ihrer Wiedereingliederung im Wege steht und die wegen der fehlenden Einbeziehung in die Rentenversicherung bis zum Lebensende bestraft werden, obwohl sie zur Zwangsarbeit verpflichtet waren.
'Krümmede‘
Einen wahrhaft erstaunlichen Erfolg können Gefangene aus Bochum verzeichnen: Sie haben die Zeitung 'Krümmede‘ ins Leben gerufen, von der bisher vier Ausgaben erschienen sind. Erstaunlich ist das deshalb, weil die JVA Bochum noch im letzten Jahr wegen der unverhältnismäßig hohen Zahlen an Selbstmorden von sich reden machte. Vielleicht ist es den zahlreichen Protestveranstaltungen und dem schwindenden Vertrauen sogar in der Bevölkerung in rechtsmäßige Vollzugsmethoden in Bochum zu verdanken, daß nun eine Zeitung genehmigt wurde. Eine vor mehreren Jahren herausgegebene Zeitung 'Fangnetz‘ wurde damals schon nach mehreren Ausgaben eingestellt. Die 'Krümmede‘ ist beileibe keine unkritische Zeitung. In den nächsten Tagen erscheint Ausgabe 5.
'Meisenspiegel‘
Im 'Meisenspiegel‘, Ausgabe 2/89, wird das Thema Hungerstreik in einem ausgefallenen und pfiffig geschriebenen Bericht aufgegriffen. Der Autor kam vom „Meisenhof“ (offene Anstalt) wegen einer Operation in das NRW-Justizkrankenhaus Fröndenberg. Er landete auf der Frauenabteilung just neben Christa Eckes. Die Gelegenheit will er zu einem Interview für den 'Meisenspiegel‘ nutzen, beauftragt die Krankenschwester, sie zu fragen, ob sie einverstanden sei. Sofern die Antwort stimmt, beendet sie die Kontaktversuche: Frau Eckes wolle mit gewöhnlichen Kriminellen nichts zu tun haben. Der Zurückgewiesene beschränkt sich auf den Genuß der mehrmals wöchentlich stattfindenden Sympathiekundgebungen unterm Fenster. Er betrachtet sie nicht ohne Neid, hat er doch nicht mal mehr seine Angehörigen „auf seiner Seite“. Eines Tages kommt die Gruppe, als Christa Eckes in einem Therapieraum in ärztlicher Behandlung ist. Ihr Fenster bleibt deshalb geschlossen. Nach der ersten Irritation wird das Motto angesichts des Mannes am Fenster flugs geändert und entschädigt ihn für das verpaßte Interview: „Was wir zu sagen haben, gilt auch für die anderen Gefangenen“, heißt es jetzt.
Nun denn, wieder zurück im Park „seiner“ offenen Anstalt, denkt er über seine Erlebnisse nach und kommt zu dem Schluß, daß eine Zusammenlegung ein Beweis der Menschlichkeit des Staates wäre, und ihm wird klar, daß auch die offene Anstalt ein Stück liberaler Strafvollzug ist, den viele Menschen draußen strikt ablehnen.
'Hauspost‘, Postfach 301, 4760 Werl. Lesetip zu Wohngruppenvollzug: Schule-Altedorneburg, Stöwen (Hrsg.): „...und noch mehr Kontrolle? Strafhaft und Behandlung in Wohngruppen“, Reiner Padligur Verlag, Hagen 1989
'Inside‘, Aachener Straße 47, 5308 Rheinbach
'Krümmede‘, Krümmede 3, 4630 Bochum. Literaturtip: „Da wird leider auch einmal gestorben. Verwahrvollzug in Bochum. Dokumentation“, hrsg. von der Gefangeneninitiative Bochum e.V., Düppelstraße 35, 4630 Bochum 1
'Meisenspiegel‘, Postfach 920, 4620 Castrop-Rauxel
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