: Lehnstuhlreisen
Der erste Eindruck ist eher schwach. Schon wieder eines dieser Serienbuchprodukte, wo einem nur die Hoffnung bleibt, daß sich die Bücher wenigstens inhaltlich unterscheiden. Dazu noch das übliche Titelbild aus dem amerikanischen Realismus nebst einem Titel, der zu sehr nach Werbung klingt: Das wirklich andere Deospray.
Aber falscher Alarm, das Buch ist gut. Die Rede ist von:
Das andere Ferienbuch,
herausgegeben von Vera Pagin und Hans-Joachim Simm beim Insel Verlag, Taschenbuch 1174, 18 Mark.
Das andere Ferienbuch versammmelt literarische Beiträge, die sich rund um das Thema Ferien, Reise und Freizeit tummeln; zusammengehalten werden sollen sie, so das in einem Nachwort festgehaltene Credo der Herausgeber, durch einen besonderen Blick, der mehr die Enttäuschungen und Katastrophen trifft und die Erwartungen zerstört, die heuer an das Phänomen Urlaub gehängt werden. Also ein eher subversives Vorhaben, das dann prächtig funktioniert, wenn die negative Potenz der Beitragenden groß genug ist. Der amerikanische Schriftsteller irischer Abstammung, Flannery O'Connor, läßt beispielsweise eine Familie, die sich durch die unmäßige Dummheit der Oma verfahren hat, von einem geflüchteten Gangster namens Taugenichts umbringen. Herrlich!
Auch Mark Twains entnervter Reiseleiter verdient besondere Beachtung genauso wie Italo Calvinos Stranditaliener, der von einer erwartungsvollen Touristin bloß vom Lesen abgehalten wird.
In Merce Rodoredas‘ surrealistischem Text mutiert ein
Schwimmer in einen Fisch, Sigmund Freuds Braut erfährt per Brief von den Unbotmäßigkeiten ihres Verlobten, und Walpoles jugendlicher Held sieht seine erste Leiche.
Bei der Auswahl der Beiträge - schließlich ist das die
kreative Arbeit von Anthologie-Herausgebern - läßt sich bisweilen ein genüßliches Untergraben des Mythos Freizeit konstatieren, mitunter sehr kunstvoll, wofür Namen wie Jean Paul, Marguerite Duras, Wladimir Majakowski oder dem des frischgebackenen Literatur-No belpreisträgers Cela (mit einem neuübersetzten Text) bürgen.
Auch die hier nicht namentlich erwähnten Beiträge sind gut zum Verzehr geeignet, mit einem Einwand: Textausschnitten, die längeren Beiträgen entnommen sind, sollte man diesen Schnitt nicht allzusehr anmerken; so wird in Walker Percys Beitrag zum Beispiel einiges unverständlich.
Wo andernorts das Lesebuch zum Fast-food verkommt, gelingt
es hier durch kluge Auswahl und zurückhaltende Präsentation
-die Texte sind chronologisch geordnet - das Interesse wachzuhalten. Gerade auch die ironisch gebrochene Attitüde erscheint ebenso zeitgemäß wie die Form zusammengesperrter Texte in diesem Buch: Sie repräsentieren das sichere Wissen um die Unmöglichkeit eines makellosen Urlaubs wie um die chronifizierte Verminderung von Aufmerksamkeitsbögen. Eigentlich eine Lektüre zum Daheimbleiben.
Oder wie der Schriftsteller Alfred Döblin sagt: “...Sie
laufen wild in Italien und Äthiopien herum, gucken sich alles an, immer durch ein Gitter, und was tun sie für sich, um sich, zu Haus? Pflegen sich nicht, lieben sich nicht. Das zu tun wäre köstlicher und gesünder.“ Recht hatte der Mann.
E. Punkt
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