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Brutreaktor Phenix hob beinahe ab

Eine Edelgasblase im Kern des französischen Brutreaktors von Marcoule führte Frankreich an den Rand eines Super-GAU / Betreiber nehmen beunruhigenden Kalkar-Sicherheitsbericht nicht zur Kenntnis  ■  Aus Paris Mycle Schneider

Der Schnelle Brüter Phenix im französischen Marcoule stand im vergangenen Sommer möglicherweise knapp vor dem Super -GAU. Eine Edelgasblase im Reaktorkern wurde von den Bedienungsmannschaften wochenlang nicht als solche erkannt. Wäre eine ausreichende Menge der Blase in die Spaltzone des Reaktorkerns gelangt, hätte der Reaktor „prompt kritisch“ reagiert. Mit anderen Worten: Er wäre durchgegangen.

Dreimal, am 6. und 24. August sowie am 14. September 1989, schaltete der Brutreaktor sich automatisch ab, ohne daß die Ingenieure der staatlichen Energiegesellschaft CEA die Ursache fanden. Zunächst hatte man auf einen Fehlalarm der Meßinstrumente getippt, die den Neutronenfluß im Reaktorkern überwachen. Schließlich entdeckte man als wahre Ursache eine Argonblase angeblich im Randbereich, der sogenannten Brutmantelzone des Brutreaktors und schaltete den Meiler schließlich Anfang Oktober ab. Erstmals berichtete vor Weihnachten 'Le Monde‘ über die „Vermeidung eines schweren Unfalls in Marcoule“.

Physikalische Ursache einer möglichen explosionsartigen Kettenreaktion in natriumgekühlten Schnellen Brütern ist ein sogenannter „positiver Blasenkoeffizient“, den diese Reaktoren mit dem Tschernobyl-Reaktortyp gemein haben. Wird das Kühlmittel Natrium teilweise durch eine Gasblase aus dem zentralen Spaltbereich des Reaktorkerns verdrängt, steigt die Kettenreaktion schlagartig an, das Natrium gerät in Brand, die Explosion zerstört den Reaktor. Entscheidend dafür, ob es tatsächlich zur Explosion des Reaktors kommt, ist die Größe der Gasblase und der Ort, an dem sie sich sammelt. In Marcoule hat sich das nach Angaben der französischen Sicherheitsbehörden maximal 50 Liter umfassende Gasvolumen anscheinend vornehmlich im Brutmantel und nicht im Spaltbereich des Kerns gesammelt. Damit war ein glimpflicher Verlauf mit automatischer Abschaltung vorgezeichnet, weil in diesem Fall die Reaktivität nicht schlagartig steigt, sondern sinkt.

Bis heute verschweigen die Betreiber die kritische Obergrenze des Gasvolumens, das zur Auslösung eines Super -GAU ausgereicht hätte. Der Sicherheitsbericht für den größenordnungsmäßig und sicherheitstechnisch vergleichbaren Kalkar-Brüter SNR300 kommt - wenig beruhigend - zu dem Ergebnis, daß die „Einschleusung einer Gasblase“ von etwa 30 Litern bereits zum Desaster führen könne. Während die Franzosen das Eindringen der Gasblase in die Spaltzone des Kerns ausschließen, hält der Kalkar-Bericht genau dies für „grundsätzlich denkbar“.

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