: „Die miesen Schreibtischtäterfinger brechen“
■ Die Bedrohungen gegen Einzelpersonen in Kreuzberg von Möchtegern-RevolutionärInnen werden immer unsinniger und diffuser / Gezielte Anschläge gegen linksalternative Einrichtungen / Bekennerbrief zum Anschlag auf den AL-Politiker Volker Härtig
Das Spektakel am Brandenburger Tor hat die Randale in der Silvesternacht in Kreuzberg36 in den Hintergrund gerückt. So weit, daß jetzt die TäterInnen sich genötigt sahen, noch einmal auf sich aufmerksam zu machen. In einem Bekennerschreiben brüsten sie sich, einen Liter Buttersäure in den VW-Bus des AL-Bezirkspolitikers Volker Härtig geschüttet zu haben. Gleichzeitig loben sie diejenigen, die den Bus in der Silvesternacht in Brand steckten.
Die Randale in dieser Nacht war gezielt und vorbereitet. Gegen Mitternacht wurden die Scheiben beim Verein SO36 in der Wrangelstraße von etwa acht bis zehn Leuten mit Eisenstangen eingeschlagen. Vor dem Cafe BAR an der Ecke Wrangel-/Skalitzerstraße wurde ein LKW einer westdeutschen Landwirtschaftskooperative in Brand gesteckt. Der VW-Bus von Volker Härtig brannte vor seiner Wohnung in der Görlitzer Straße ab. An mehreren Stellen wurden gleichzeitig Autos und Bauwagen in Brand gesteckt und Geschäfte geplündert.
Im letzten halben Jahr haben sich die Anschläge in Kreuzberg gehäuft. Seit dem 27. September ist das Büro der Alternativen Liste Kreuzberg besetzt. Die Ex-Besetzer aus der Ohlauer Straße, die einige Tage zuvor geräumt worden waren - das Haus sollte saniert werden - fanden bei den zunächst gutwilligen und kooperativen ALern Unterschlupf. Man bot ihnen die gemeinsame Nutzung des Büros an. Doch nachdem während einer Verhandlungsrunde die unverhohlene Drohung an die Besetzer erging „Wenn ihr weiter mit der AL verhandelt, bekommt ihr nicht die Solidarität des Kiezes“, kippte die Stimmung. Seit mehr als einem Monat können die ALer nun ihr Büro nicht mehr betreten. Inzwischen haben die neuen „Nutzer“ das Schloß ausgetauscht. Selbst ein Vermittlungsversuch von einer Person aus dem linksradikalen Umkreis von „Kosmos e.V.“, den ehemaligen Besetzern der Backsteinfabrik in der Wrangelstraße, scheiterte an der Kompromißlosigkeit der Bürobesetzer. Seit Monaten zahlt die AL die Miete von 600 Mark, mehr als tausend Mark Telefonkosten für ein versperrtes Büro haben andere und auch die Besetzer verursacht, ehe die Partei den Anschluß sperren ließ.
Im November letzten Jahres war das Cafe BAR in der Wrangel -/Ecke Skalitzer Straße Opfer eines Buttersäureanschlages. Die Begründung hieß damals, es sei ein „Schicki-Micki„-Cafe und trage zur „Umstrukturierung“ des Kiezes bei. Tatsache ist, der Wirt ist ein langjähriger Kreuzberger und kommt selbst aus der Szene. Nach dem Anschlag nahm die Kneipe den Schutz der sogenannten „Kiezpolizei“, einer selbsternannten Ordnungstruppe aus dem Wrangelkiez in Anspruch - eine Information, die der Wirt allerdings dementiert.
Eine seit mehr als zehn Jahren in Kreuzberg lebende Hausbesetzerin, die in einem nur von Frauen bewohnten Haus der Genossenschaft Luisenstadt lebt, ist seit Monaten Zielscheibe von Drohungen. Telefonanrufe, Klingelorgien und ein ständig zerstörter Briefkasten sind für sie Alltag geworden. Im Spätsommer waren auf ihre Tür Judensterne gesprüht. Kürzlich wurde sie am Nachmittag und auf offener Straße in die Rippen geboxt. „Wenn ich jetzt ein Messer gehabt hätte“ wurde ihr drohend gesagt.
Für die Akten der Umsetzmieter der Lübbener Straße 27-29 interessierten sich eine Handvoll Leute im Oktober letzten Jahres brennend. Die Zwischennutzer dieser Wohnungen und ihre Unterstützer wollten auf diesem Wege herausfinden, ob es tatsächlich Mieter gibt, die nach der Modernisierung wieder in ihre Wohnungen zurückwollten. Sie versuchten zunächst einen Überfall auf das Mieterberatungsbüro in der Cuvrystraße. Doch die dort Angestellten wehrten sich und konnten die Akten wieder an sich reißen. Eine Besetzung bei S.T.E.R.N scheiterte ebenfalls. Erst im Büro der BeWoGe, das sie kurz danach überfielen, waren sie erfolgreich.
Der Vorstand des Mieterladens in der Cuvrystraße hatte damals erwogen, Strafanzeige wegen des Überfalls auf den Laden, den Aktenklau und dem Angriff auf die Mitarbeiter zu stellen. Die Personen waren ihnen zum Teil bekannt, da es sich um Leute handelte, die Nutzungsverträge für die Wohnungen in der Lübbener Straße 27, 28, und 29 haben. Nachdem allerdings eine Mitarbeiterin des Mieterladens massiv bedroht worden war, schwieg der Verein. Der Frau waren die Scheiben ihres Autos eingeworfen worden und auf einem Zettel hieß es „Wir wissen wo Du wohnst“.
Auch das Bekennerschreiben der „Proletarischen Kampfgruppe Conny Wismann“ zum Anschlag auf das Auto von Volker Härtig richtet sich gezielt gegen seine Person. Er hatte damals als Mitglied des Mieterladen e.V. den Vorstand für sein Schweigen kritisiert und ihn aufgefordert, Strafanzeige zu stellen. Darauf, so kann man vermuten, bezieht sich auch das Bekennerschreiben, wenn es dort heißt es: „Wer hier mit den faschistoiden Bullen zusammenarbeitet und gegen BewohnerInnen hetzt, muß sich nicht wundern, wenn ihm bei erneuter Denunziation seine miesen Schreibtischtäterfinger gebrochen werden.“ In dem Schreiben wird Härtig als „stinkendes Schwein“ bezeichnet. „Solche Schweine... Die es sich nicht nehmen lassen, mehr Bullen zu fordern, Genossinnen und Genossen zu denunzieren, stellen eine Gefahr für das öffentliche Leben im Kiez dar und haben hier nichts mehr zu suchen“, heißt es dort weiter und als Forderung: „Wir haben Herrn Härtig lange genug geduldet. Jetzt ist Schluß!“ Und an die vermeintlichen Sympatisanten gerichtet heißt es dann: “...Redet nicht nur von Gegenmacht, sondern übt sie aus. Bestraft 1, 2, 3, 4, viele Denunziantenschweine“.
bf
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