: Das Brutalere
■ Auch die „Free Music Production“ in Berlin wurde letztes Jahr zwanzig Carlo Ingelfinger sprach mit Label-Chef Jost Gebers
Carlo Ingelfinger: FMP steht als Plattenfirma, als Konzertveranstalter für eine ganz bestimmte Art von Musik. Wie würdest du die beschreiben?
Jost Gebers: Das ist frei improvisierte Musik, was nicht ausschließt, daß auch komponierte Musik gespielt wird. Der Ausgangspunkt ist jedenfalls nicht ein nachdenklicher Mensch am Klavier, sondern eine Menge von Leuten, von denen jeder persönlich was einbringt. Das nutzen Komponisten, um es in bestimmte Formen zu bringen.
Die ersten Platten waren mit dem Trompeter Manfred Schoof und dem Tenorsaxophonisten Peter Brötzmann, die neuesten sind auch von ihnen. Fühlst du dich nicht ab und zu wie im akustischen Free-Jazz-Museum?
Die Fragen krieg‘ ich immer wieder zu hören, und bei einem Teil der Leute stellt sich dann heraus, daß sie die dazwischen liegenden zwanzig Jahre effektiv nicht verfolgt haben. Der Jazzredakteur vom NDR, den ich einmal im Jahr beim Jazzfest sehe, erzählt mir sinngemäß immer wieder: Ihr macht ja immer dasselbe. Und ich hab‘ mich gewundert: Hört der sich das Zeug überhaupt nicht an, das kann doch wohl nicht wahr sein! Und jetzt im letzten Jahr bei einem Gespräch stellte sich heraus: Der hat sich das wirklich nicht angehört. Die Leute haben ihre fertigen Schubladen. Da heißt es: 'Brötzmann hab‘ ich schon gehört, 1966.‘ Und das war's.
Wie würdest du also das beschreiben, was sich zwischen 1969 und 1990 bei euch getan hat?
Das kann ich nicht beschreiben, das solltest du dir anhören. Dann merkst du eine ganz starke Kontinuität oder Veränderung, je nach Musiker. Das Entscheidende bei uns war, zu dokumentieren, was da erarbeitet worden ist. Und das haben wir gemacht. Es gibt da übrigens Gemeinsamkeiten mit ECM, nicht nur daß wir zur selben Zeit anfingen. Die fingen mit improvisierter Musik an, wir auch. Die nehmen jetzt Kompositionen auf, wir auch. Aber die haben immer das Softere gemacht, und wir das Brutalere.
Ist in gewissem Sinn nicht das, was viele bei FMP machen, eine bloß historische Musik geworden?
Nein. Wenn man natürlich mit den typischen Behrendtschen Kriterien („Jazzpapst“, Anm.d.Red.)da rangeht, daß sich alle zehn Jahre im Jazz was ändert, dann kann man natürlich sagen: Das war's. Aber das ist inzwischen eine völlig andere, eigenständige Sache, mit sehr vielen Verästelungen, weltweit, und wenn man überhaupt mit Schlagworten arbeitet, ist das die einzige wirkliche „Weltmusik“.
Diese Musik ist auch entstanden zusammen mit einem gesellschaftlichen Aufbruch in den sechziger Jahren. Wie würdest du die gesellschaftliche Rolle dieser Musik heute definieren?
Free Jazz ist ja eigentlich eine Sache von Anfang der Sechziger. Ende der Sechziger ist das bloß sehr manifest geworden durch die ganzen Geschichten, die dann in Europa passierten. Da gab's dann einen gewissen Popularitätsschub, weil Dinge für ganz kurze Zeit zusammen erlebt werden konnten. Dann fielen aber die gesellschaftliche Fiktion dieser Musik und die Fiktion, was ändern zu können, sehr schnell auseinander. Da landeten nach der ersten Euphorie viele wieder in Rockkonzerten. Ich denke immer noch, daß diese Fiktion, vernünftig miteinander umgehen zu können, über Sprachbarrieren und Kulturkreise hinweg, nach wie vor besteht.
Was meinst du mit Fiktion?
Das ist ja keine Realität. Es ist Realität innerhalb kleiner Zirkel. Ein paar hundert, ein paar tausend Musiker weltweit. Die können die Fiktion aber leben, im Gegensatz zu den Leuten, die's konsumieren, die wieder stärker gesellschaftlichem Druck ausgesetzt sind. Der Kreis der Jazzmusiker um die 30, die sich in diese Art von Musik einleben, wird merklich kleiner. Das hat einfach was mit Verkauf zu tun und Märkten. Die Leute haben eigentlich 20 Jahre Entwicklung nicht wahrgenommen. Da stehen Leute auf der Bühne und spielen Parker-Soli rauf und runter, die schaffen sich wie wahnsinnig und haben dann eigentlich gar nichts mitzuteilen. Grauenhaft.
Gibt's eigentlich etwas, das du unheimlich gern mal realisieren würdest?
Ich kenne eine Menge Musiker, die tolle Dinge machen, die du aber auf Platten nie zu hören kriegst. Die ganzen schwarzen Musiker der New Yorker Szene, die beim „Black Saint„-Label unter Vertrag sind. Nimm mal Don Pullen zum Beispiel. Der macht eine Riesenscheiße, das ist auch okay der Zwang des Markts. Der verkauft das auch. Der ist ein unheimlich guter Musiker. Mit sehr viel Geld nach New York, blind ein Studio buchen für vier Wochen, und zu sagen: Vergiß mal deine ganze Scheiße, spiel mal einfach. Das wär ein Traum.
Wie sehen die Strukturen bei FMP aus?
Letztlich ist es so: Ich bin der, der für alles zuständig ist und für alles haftbar und für alles angeschissen werden kann. Entscheidungen werden sehr, sehr unterschiedlich getroffen. Bei Platten entscheiden natürlich die Leute, die sie machen, bei Projekten die Leute, die daran beteiligt sind.
Und ökonomisch?
Beschissen. Absolut beschissen. Die Existenzfähigkeit ist auch nach 20 Jahren nicht gewährleistet. Wir rappeln uns jetzt ein bißchen zusammen. Wir haben einen einzigen bezahlten Mann, der macht den Vertrieb. Ich verdien‘ meine Brötchen als Sozialarbeiter. Es fängt an, jetzt besser zu laufen. Ich bin optimistisch. Wir haben ein paar Dinge gemacht, wo Mundpropaganda eine große Rolle spielte, der Monat mit Cecil Taylor 1988 zum Beispiel. Da wunderten sich viele Berliner, als sie von ausländischen Freunden hörten, dann und wann komm‘ ich nach Berlin. Und die CDs mit Taylor, die werden uns in den USA einen Riesenschub geben. Da bin ich stolz drauf. Da sind enige in den USA aus den Sesseln gekippt, als sie das hörten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen