: Nicht an persönlicher Feigheit ersticken
Käthe Woltemath (70), Sozialdemokratin aus Rostock, zur Zwangsvereinigung mit den Kommunisten und der Verfolgung von Sozialdemokraten in der DDR ■ I N T E R V I E W
taz: Frau Woltemath, vor der Zwangsvereinigung mit der KPD war die SPD in Rostock die dominierende Partei. Danach wurden die Sozialdemokraten ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt. Wie haben Sie persönlich diese Phase erlebt?
Käthe Woltemath: Es war ja so, daß nach der Neugründung der SPD Tausende von ehemaligen Mitgliedern recht spontan wieder eintraten, also die Genossen, die vor 1933 schon aktive Parteimitglieder waren. Im Vergleich dazu war der Zulauf für die KPD gering. Wir hatten etwa 10.000 Mitglieder in Rostock, die KPD ungefähr 2.000.
Wie kam es, daß sich trotzdem die Kommunisten durchsetzen konnten?
Zunächst wurden alle Leitungen und Gremien paritätisch besetzt. Obwohl diese Regelung den tatsächlichen Kräfteverhältnissen nicht entsprach, waren wir dazu bereit, weil einige SPD-Mitglieder auch ein gewisses Schuldgefühl miteinbrachten, da sie vor 1933 die Vereinigung mit der KPD ja abgelehnt hatten. Es blieb uns in Rostock aber auch gar nichts anderes übrig, nachdem der Zentralausschuß der Partei die beantragte Urabstimmung abgelehnt hatte. Die sowjetische Besatzungsmacht drängte ja auch mit Macht, und diesem Druck ist man unterlegen. Wir sind zwar bei unserem Parteitag in Schwerin nicht von der schon am 6.1.1946 verabschiedeten Resolution, die sich gegen die Vereinigung wandte, abgewichen, aber nachdem in Berlin die SED gegründet war, mußten wir uns auch beugen. Nur zwei Monate nach dem Schweriner Parteitag wurde unser führender Genosse Willi Jesse von den Sowjets auf offener Straße verhaftet und wegen seiner Haltung nach Sibirien verbracht. Nach acht Jahren kam er als gebrochener Mann zurück. Auch der in Rostock sehr beliebte Genosse Albert Schulz, der nach der Vereinigung zunächst die Leitung der Stadtverwaltung übernahm, wurde schon 1947 das erste Mal von den Sowjets verhaftet und vom Militärtribunal zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Weil die Arbeiter auf der Neptun-Werft massiv mit Streik drohten, ließ man Albert Schulz nach weniger als einem Jahr wieder frei. Bis 1949 arbeitete er an seinem alten Platz, ehe man ihn wieder hinauswarf. Er ist daraufhin nach Hamburg gegangen.
Sie selbst sind auch verhaftet worden?
Ja. Zunächst habe ich in der Stadt die Sozialarbeit mitaufgebaut. Wir haben eine Notgemeinschaft zur Hilfe der Bevölkerung gebildet, und später, im Jahr 1947, kam dann der demokratische Frauenbund, dessen Vorsitzende ich später wurde. Weil ich mir nicht den Mund verbieten ließ, bekam ich dauernd Ärger. Unsere Losung war z.B., daß ein Sohn einer deutschen Mutter nie wieder die Waffe in die Hand nehmen wird. Als wir bei der Konferenz des Frauenbundes in Berlin den Tagungssaal betraten, prangte an der Stirnseite des Konferenzsaales die Parole: „Nie wieder wird der Sohn einer deutschen Mutter die Waffe gegen die Sowjetunion richten“. Damit war der Kurswechsel schon vollzogen. Dagegen habe ich mich gewandt. Oft habe ich im Frauenbund gegen die SED -Fraktion gestimmt und deshalb ein Parteiverfahren nach dem anderen bekommen. Dann wurde ich meiner Funktionen enthoben. Nur wenn gar nichts mehr ging, z.B. im Juni 1953, setzte man mich quasi als Feuerwehr wieder ein. 1958 war dann wohl das Maß voll. Ich wurde verhaftet, mir wurde vorgeworfen, eine Widerstandsgruppe namens Naumann zu leiten, Kontakte zum Ostbüro der SPD zu haben und Hetze gegen leitende Funktionäre betrieben zu haben. Das war eine schwere Zeit für mich, denn es kam ja darauf an, zu beweisen, daß ich mich dieser Straftaten nicht schuldig gemacht hatte und die mir angedrohten zwölf Jahre Zuchthaus abzuwenden. Keine der Vorwürfe stimmte. In der SED hatte man ja nur zwei Möglichkeiten. Entweder man lobhudelte in der Partei herum, dann war man ein brauchbares Mitglied, oder aber man stellte sich auf die Seite der Bevölkerung, dann mußte man die Partei schelten, und das jede Woche. Dann war man schnell unbeliebt und ein Feind. Nachdem mir im Prozeß gelungen war, die Hauptvorwürfe als Lügengebilde zu entlarven, blieb nur noch der Vorwurf der Hetze gegen leitende Funktionäre. Das bezog sich auf Kritik an Parteiführern in Rostock. Ich habe mich immer gegen jeden Personenkult gewandt und auf moralische Integrität gepocht. Wegen dieser „Hetze“ bekam ich 15 Monate Haft, die ich auch abgesessen habe. Als ich mit 40 Jahren 1960 aus der Haft entlassen wurde, hatte ich 92 Pfund abgenommen, lag die letzten fünf Monate in der Krankenstation und verließ das Gefängnis als Invalidin. Danach habe ich keinerlei Funktionen mehr ausgeübt.
Sie sind also jetzt mit Gründung der SDP das erste Mal wieder politisch in Erscheinung getreten?
Nicht ganz. Als mir im vorigen Jahr die Reden von Markus Wolf zu Ohren kamen, war ich so empört, daß ich ihm einen Brief schrieb. Markus Wolf hatte sich hier in Berlin ja in die Diskussionen der Menschen eingemischt und gesagt, er wünsche sich für die Zukunft Politiker, die mit dem Gesicht zum Volk stehen, und Kinder, die aufrecht zu ehrlichen Menschen erzogen werden. Diese mich verhöhnenden Worte aus dem Munde dieses Mannes zu hören, hat mich unmäßig aufgeregt. Ich habe ihn in meinem offenen Brief gefragt, warum ihm das so spät einfalle. Ich sei eine solche Politikerin gewesen, die mit dem Gesicht zum Volk gestanden hätte, und in seinen Untersuchungshaftanstalten hätte ich gelernt, mit dem Gesicht zur Wand zu stehen. Wenn all die Eltern nicht geheuchelt und gelogen, sondern wie von Wolf jetzt gewünscht, ihre Kinder zur Ehrlichkeit erzogen hätten, dann wären seine Haftanstalten zu klein gewesen, um all die ehrlich diskutierenden Eltern hinter Schloß und Riegel zu bringen. Das müsse ich ihm einfach sagen, denn ich wollte in meinem Alter nicht noch an meiner persönlichen Feigheit ersticken, schrieb ich ihm weiter. Dieser Brief wurde im November in allen Rostocker Kirchen verlesen. Danach habe ich mich wieder der SDP angeschlossen.
Frau Woltemath, Kommunisten wie Walter Janka wurden inzwischen rehabilitiert. Hat sich eigentlich mal ein SEDler bei Ihnen entschuldigt? Ist Ihnen eine Entschädigung für Ihre Haftzeit angeboten worden?
Nein, es hat sich niemand bei mir entschuldigt, geschweige denn eine materielle Entschädigung angeboten. Ich kenne auch keinen einzigen der vielen verfolgten Sozialdemokraten, bei dem sich die Verantwortlichen gemeldet hätten.
Interview: Walter Jakobs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen