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Keine Spaltung von „Demokratie jetzt“

Streit um Deutschlandpolitik / Anschluß der DDR abgelehnt  ■  Aus Ost-Berlin P. Bornhöft

Zwei Tage lang hatten die rund 130 VertreterInnen der „Bürgerbewegung Demokratie jetzt“ (DJ) im Speisesaal des VEB Stern-Radio diskutiert, als lebten sie auf einem anderen Stern. Erst die Austrittserklärung von Konrad Weiß, bekanntester Mitinitiator der Gruppe, rüttelte die Versammlung auf. Ergebnis: „Demokratie jetzt“ bleibt die einzige Gruppe in der DDR, die sich dem Wiedervereinigungstaumel widersetzt. Sie beharrt in ihrem neuen Grundsatzprogramm auf der Notwendigkeit eines „Prozesses, an dem alle Verantwortlichen und Betroffenen beteiligt werden“.

Der Streit begann, als die Delegierten gestern nachmittag mit zwei Stimmen Mehrheit sich dafür entschieden, folgenden Satz zu streichen: „Wir meinen, daß die Zeit für eine politische Einheit der Deutschen jetzt noch nicht herangereift ist.“ Kaum waren die Stimmen ausgezählt, da erklärte Konrad Weiß, er könne nicht mehr mitarbeiten. Schließlich hatte Weiß vor vier Wochen noch der internationalen Presse den „Drei-Stufen-Plan“ der Gruppe vorgestellt. Dieser Plan beinhaltet ein langfristig zu realisierendes Konzept der deutschen Einheit, das Reformen auf beiden Seiten der Grenze fordert und den europäischen Einigungsprozeß nicht ignoriert.

Entsetzt über die drohende Spaltung der DJ - VertreterInnen aus Potsdam und anderen Städten schlossen sich dem Austritt an - suchte die Versammlung fieberhaft nach Lösungen. Viele Delegierte brachten zum Ausdruck, daß sie „die Abstimmung gar nicht verstanden haben. Wir haben als Ziel die solidarische Gesellschaft formuliert. Das setzt eine langsam wachsende Einheit doch voraus“, so ein Redner. Doch es dämmerte den Versammelten, daß man mit derlei Interpretationshilfen der Situation nicht gerecht wird. Entscheidend ein Beitrag der Ex-Sprecherin des Demokratischen Aufbruchs, Monika Ziller, die „aus eigener schmerzlicher Erfahrung“ in den Saal rief: „Wenn Sie Ihre Position nicht klar formulieren und unpopuläre Wahrheiten aussprechen, driftet Ihre Gruppe genauso nach rechts ab wie der Demokratische Aufbruch.“

Bei zehn Gegenstimmen einigte sich die Versammlung darauf, daß sie die „Wiedervereinigung in Form eines Anschlusses“ ebenso ablehne wie „alle Versuche die sofortige Einheit zu realisieren oder erzwingen“. Nachdem diese Sätze ins Programm, das auch den Drei-Stufen-Plan enthält, aufgenommen waren, kehrte Konrad Weiß unter großem Beifall an seinen Platz zurück. Nunmehr wird damit gerechnet, daß viele Ex -Mitglieder des Demokratischen Aufbruchs, die nicht zur SPD wollen, ihre neue politische Heimat bei DJ suchen werden. Die Hoffnung der SPD, prominente DJ-Mitglieder auf ihrer Liste kandidieren zu lassen, dürfte angesichts der deutschlandpolitischen Differenzen jetzt unrealisitisch geworden sein, auch wenn SPD-Geschäftsführer Ibrahim Böhme in einer dramatischen Trauerrede frühere Gemeinsamkeiten beschwor und um Kandidaten warb.

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