: Das falsche Geschlecht
Wegen Dopings gesperrte norwegische Speerwerferin rehabilitiert ■ PRESS-SCHLAG
Die Speerwerferin Trine Solberg war der Liebling der Medien. Charmant, blond, schön und auch noch erfolgreich - eine unwiderstehliche Mischung. Das dachten auch die zahlreichen Sponsorfirmen, und die Werbegelder flossen. Bis, ja bis zum 5.August des vergangenen Jahres. Das passierte das eigentlich Unvorstellbare: Trine, der Stolz Norwegens, wurde des Dopings überführt. Zwei Tests nach den Europacup-Finals in Brüssel waren positiv ausgefallen.
Trine Solberg mußte erfahren, wie schnell frau von einer Bejubelten zu einer Unperson werden kann. Die enttäuschten Medien überboten sich in Negativschlagzeilen und ließen kein gutes Haar mehr an ihr. Die Funktionäre des norwegischen Leichtathletikverbandes ließen sie fallen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel, bedauerten, sie jemals als Vorbild für den Nachwuchs aufgebaut zu haben. Und die Werbegelder wurden natürlich auch gestrichen. Bis auf die letzte Krone. Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) verhing eine Sperre von zwei Jahren. Das Ende einer Sportlerkarriere?
Nein, Trine Solberg kämpfte. Sie beteuerte ihre Unschuld. Niemals habe sie irgendein Dopingmittel genommen. Doch welcher des Dopings überführte Sportler beteuert dies nicht, versucht nicht, Falschanalysen oder harmlose Medikamente für den positiven Dopingtest verantwortlich zu machen? Ihr eigener Verband setzte sich nicht weiter für sie ein, sie beauftragte auf eigene Kosten einen Anwalt.
Seit einigen Tagen gibt es Norwegens Lieblings-Trine wieder. Es geschah, was vorher noch nie passiert war. Die IAAF hob eine Sperre wegen Dopings auf. Die lapidare Pressemitteilung: Die beiden analysierten Proben hätten verhältnismäßig starke Abweichungen in der Konzentration der „verbotenen Substanz“ erbracht. Zwar sei diese „verbotene Substanz“ in beiden Proben nachgewiesen worden, man könne den Doping-Vorwurf aber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit aufrechterhalten.
Schön. Aber ist das nicht mehr ein Freispruch zweiter Klasse? Und warum bedurfte es fast eines halben Jahres, zu dieser Erkenntnis zu kommen, die unmittelbar aus dem Ergebnis der Analysen zu entnehmen war. Journalisten, die da eine viel heißere Geschichte witterten, wurden bald fündig, und zwar beim Labor im niederländischen Utrecht, vom Internationalen Olympischen Kommitee (IOC) seit Jahren mit Dopingtests beauftragt. Überraschende Stellungnahme der Laborleitung: Wäre dem Labor bekannt gewesen, daß die Urinprobe von einer Frau stamme, wäre ein Dopingvorwurf nie erhoben worden. Die angeblich „verbotene Substanz“ sei ein Hormon, das in jedem weiblichen Körper vorkomme.
Die Leichtathletikverbände aus Norwegen und dem Europacup -Gastgeberland Belgien ließen diesen schwarzen Peter aber gar nicht erst zum Hinsetzen kommen. Vorschriftsmäßig sei auf dem Formblatt die Rubrik „male/female“ (männlich/weiblich) zutreffend mit „female“ angekreuzt worden. Mehr noch: der norwegische Verband kann ein Telegramm vorweisen, in welchem dem Labor in Utrecht noch die genaue Marke der Antibabypille mitgeteilt worden war, die Trine Solberg in den Monaten vor dem Wettkampf eingenommen hatte.
„Trines Alptraum vorbei“, „Endlich freigesprochen“ und sie selbst natürlich „überhaupt nicht verbittert“ - so einige der Schlagzeilen danach. Der Verbandsvorsitzende Skaset war jetzt mit einer Entschuldigung ebenso schnell bei der Hand wie vor Monaten mit seinem blinden Vertrauen in die Laboranalyse. Und demnächst gibt es vielleicht eine Millionen-Kronen-Forderung des Solberg-Anwalts an die IAAF für Honorar und ausgefallene Werbeeinnahmen.
Für Trine Solberg mag der Fall damit tatsächlich erledigt sein. Aber wie steht es mit der Zuverlässigkeit von Doping -Tests, wenn diese von einem Kreuzchen an der richtigen Stelle abhängig sind, von einem Zufallstelegramm oder der Hartnäckigkeit einer Sportlerin. Oder vom „falschen Geschlecht“. Was die IAAF jetzt als Beweis für die Rechtssicherheit bei Dopingverfahren feiert, läßt ganz anderes befürchten: Daß es weder mit der Zuverlässigkeit noch mit der Rechtssicherheit zum Besten bestellt ist.
Reinhard Wolff
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