: Verkehrsinfarkt über den Dächern?
■ Burghard Müller-Schönau über Flughafen(aus)baupläne in und um Berlin
Mit flexiblem Denken hat so mancher Lobbyist seit dem 9. November seine Probleme - die Freunde des unbeschränkten Flugverkehrs ganz besonders. Sie satteln seit Öffnung der Grenzen ihre alten Forderungen einfach auf die neue Situation, auf Realitäten wird dabei wenig Rücksicht genommen. Tatsache ist aber folgendes: Aufgrund der Insellage und der für viele unzumutbaren Bahnverbindungen ist der Anteil des Flugverkehrs in Berlin bislang unnatürlich hoch. Während bei uns doppelt so viele Leute mit dem Flugzeug auf Reisen gehen wie mit der Bahn, ist es im Bundesgebiet umgekehrt: Dort wird sie im Fernverkehr sogar dreimal so häufig benutzt.
Inzwischen ist das Reisen auf den Transitwegen problemlos, die Eisenbahnschnellverbindung nach Hannover greifbar nahe. Die Verkehrsströme können sich also bald normalisieren, und das heißt vor allem: weniger Flugverkehr. Natürlich steht dem auf der anderen Seite ein Zuwachs von Fluggästen aus dem Umland gegenüber, an der Gesamtbilanz zugunsten der Bahn kann dies jedoch nichts ändern: Denn ein Großteil der Berlinflüge sind Kurzstrecken, die keinen Sinn mehr ergeben, wenn der Intercity mit Tempo 200 im Stundentakt nach Hannover rauscht. Und dann wird auch der Geschäftsmann auf die Bahn umsteigen, das Verkehrsaufkommen wird sich in etwa so entwickeln wie zwischen Hannover und Hamburg: Dort fährt der Intercity auch im Nebel nur 77 Minuten - Linienflüge gibt es dann nicht. Das Gleiche gilt für die Strecken nach Bremen und Hamburg; allein für diese drei Verbindungen stehen in Tegel jetzt noch 58 Flüge im Flugplan. Auch die übrigen Inlandsverbindungen kann man getrost zusammenstreichen, die Vision der künftigen Metropole Berlin muß deswegen nicht leiden - zusätzliche internationale Verbindungen können stattdessen aufgenommen werden. Ob dann noch ein neuer Großflughafen gebraucht wird, der ohnehin weit außerhalb der Stadt liegen soll, ist mehr als fraglich.
Die alliierten Fluggesellschaften wiederum wollen natürlich keine Marktanteile abgeben und bemühen inzwischen äußerst fragwürdige Zuwachsprognosen, um ihre Ausbaupläne zu untermauern. Da werden Fahrgastzahlen hochgerechnet, daß es nur so donnert, in der Argumentation aber Ursache und Wirkung einfach vertauscht. Seriöse Prognosen sagen höhere Fluggastzahlen nur für den Fall voraus, daß zusätzliche Flüge, neue Terminals oder gar Landebahnen und mehr Parkplätze eingerichtet werden. Die Lobbyisten drehen den Spieß einfach um und nehmen den möglichen Zuwachs als gottgegebenes Naturereignis, auf das man nur mit einem Ausbau reagieren könne. Die Auslastung der Flüge sei nach Öffnung der Grenze auf über 70 Prozent gestiegen, beschwören die Fluggesellschaften. Das mag sicher stimmen, doch in der gleichen Zeit stieg die Auslastung bei den Transitzügen auf zum Teil über 300 Prozent. Wer überhaupt mitgenommen wurde, mußte oft stehen. Wo ist hier der Ausbau nötig?
Alle Marktapostel beklagen das übertriebene Subventionssystem im sich auflösenden Sozialismus, aber warum nur dort? Bei uns wird der Flugverkehr mit Methoden aufgeblasen, die aus der Gruselkammer der Planwirtschaft stammen. Da gibt es für die Jets das Kerosin steuerfrei, während die Bahn für ihren Dieseltreibstoff zur Staatskasse gebeten wird. Bis zu 60 Mark pro Flug buttert Vater Staat zudem an Subventionen zu, insgesamt mehr als 100 Millionen Mark im Jahr. Die Defizite der Flughafengesellschaft werden nicht etwa auf Start- und Landegebühren aufgeschlagen, sondern von Bund und Land ausgeglichen. Marktwirtschaft? Wo bleibt der Ruf des Grafen Lambsdorff oder des Ex -Wirtschaftssenators Pieroth nach kostengerechten Preisen, z.B. 600 Mark für einen einfachen Flug nach Frankfurt?
Zum Schluß ein Hinweis in Sachen Ökologie: Im Vergleich zur Bahn ist für eine Flugreise etwa die zehnfache Energie erforderlich. Das gilt auch für modernste Maschinen. Flugzeugtriebwerke kennen zudem keine Katalysatoren. Das heißt im Vergleich zur Bahn: 200facher Ausstoß an Kohlenmonoxid, zehnmal soviel CO2, zehnmal soviel Stickoxid.
Schnelle Entscheidungen sind tatsächlich gefragt. Denn um die Engpässe auf dem Flughafen Tegel abzubauen, gibt es nur einen sinnvollen, wirtschaftlich vertretbaren und ökologisch zwingenden Ausweg: Den sofortigen Bau der Schnellbahntrasse nach Hannover. Dann kann ein riesiger Ballast unsinniger Kurzstreckenflüge abgeworfen werden und sich Berlin wirklich zu einem internationalen Luftkreuz entwickeln - dem einzigen ohne endlose Warteschleifen und ständige Verspätungen. Den Verkehrsinfarkt auf unseren Straßen haben wir schon, über unseren Dächern sollte er uns erspart bleiben.
Burghard Müller-Schoenau ist Mitglied der AL und dort mit Verkehrspolitik beschäftigt.
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