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Offiziere küssen mir die Hand

■ Ivan Rebroff über Gorbatschow und Glasnost, über Mauerfall und Momper, über Rot-Grün und Tiefschwarz. Und über sich.

Elmar Kraushaar

taz: Ihre neueste Platte heißt „Glasnost und Perestroika“. Wie kommt es zu Ihrer Rußlandnähe?

Ivan Rebroff: Seit Dezember 1988 bin ich ständig in Rußland. Es war ein Wunsch von - schade, ich habe es oben, ein Bild von ihm mit einer sehr schönen Unterschrift - Michail Gorbatschow. Die ganzen Gorbatschows haben mich immer gemocht. Das habe ich durch eine Abordnung von sechs sowjetischen Journalisten der Istwestja erfahren. Die überbrachten mir Grüße von Gorbatschow und sagten: Wir wollen Sie! Unbedingt!

Ich habe jetzt kontinuierlich und ganz konstant seit 35 Jahren russische Musik gemacht, wissend, daß es gut ist, daß ich die Musik richtig interpretiere. Ich war lange im Don Kosaken-Chor, habe viel studiert und mich intensiv um diese Musik bemüht. Dafür wurde ich oft angefeindet, von Kollegen, von Journalisten. Immer wenn die Sowjets eine politische Schurkerei begangen hatten, wurde auch ich dafür genüßlich getreten. Jetzt mit Gorbatschow habe ich natürlich meinen größten Triumph.

Ich bin gerne seiner Einladung gefolgt, früher hätte ich das nicht gemacht. Denn ich bin ein leidenschaftlicher und kompromißloser Gegner aller totalitären Staatsformen - an erster Stelle natürlich ein Gegner der DDR, besser Ostzone, das liegt mir näher. Immer habe ich mich geweigert, durch die DDR zu fahren oder gar dort aufzutreten, weil ich die Mauer als etwas absolut Widerwärtiges empfand. Überhaupt nicht konnte ich unsere Bundesregierung verstehen, die mit der DDR fraternisierte. Und dann natürlich die Kollegen ich will ja keine Namen nennen - die dort aufgetreten sind. Das fand ich nicht richtig, denn die haben da ja nie den Mund aufgemacht.

Wie geht es für Sie in der Sowjetunion weiter?

Ich bekomme jetzt einen zweiten, einen russischen Paß. Da ich sehr oft in der Sowjetunion arbeite und arbeiten werde, bekomme ich einen sogenannten Bürgerpaß, einen sowjetischen Wohnpaß. Ich wohne in Griechenland, habe jetzt aber auch eine Datscha am Rande von Moskau, neben dem Metropoliten* von Moskau. Und ich habe ein riesiges Rubelkonto. Ich habe einmal davon geträumt, daß für mich der Rubel rollt. Ich singe mein ganzes Leben lang von diesem Volk, von diesem Land, und jetzt habe ich die große Freude, dort musizieren und arbeiten zu dürfen. Und da sollte ich in kapitalistischer Währung bezahlt werden? Da würde ich mir schäbig vorkommen, ich bestehe auf Rubel.

Wie reagiert das sowjetische Publikum auf Sie?

Mit unvorstellbarem Enthusiasmus. Sie empfinden mich überhaupt nicht als Ausländer, sondern als einen der ihren, der verreist war und nach langer Zeit sehnsüchtig erwartet endlich wieder zurückkommt. Die Offiziere küssen mir auf der Straße die Hände. Meine Auftritte dort waren keine Erfolge, es waren Triumphe. Ich sage das ganz objektiv. Das sowjetische Fernsehen hat von Küste zu Küste mein erstes Konzert live-übertragen. Dann war das sowjetische Fernsehen hier bei mir und hat eine Home-Reportage gemacht.

Was verstehen Sie unter Glasnost und Perestroika?

Diese Begriffe sind eigentlich das, was ich immer propagiert habe. Die Basis meines Lebens ist der griechische Humanismus, für mich steht der Mensch an erster Stelle. Während der Militärdiktatur in Griechenland bin ich häufiger dorthin gefahren als sonst, um die Menschen wissen zu lassen, daß die Diktatur ganz schnell vorbei geht. In der Ostzone ist das nicht möglich gewesen, da durfte man ja die Menschen nicht kontaktieren, sondern wurde bespitzelt.

Glasnost heißt ja Öffnung - „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“ -, und Perestroika heißt Umgestaltung, Umbau. Und mit dem hapert es noch. Die ganze Sache kann in einer Katastrophe enden, wenn die Perestroika nicht umfassend und schnell stattfindet. Die Fleischtöpfe sind fast leer und werden immer leerer.

Beziehen Sie auf sowjetischen Bühnen auch Stellung zu den aktuellen politischen Verhältnissen?

Natürlich. Meine Schlußworte nach dem ersten großen Konzert waren die: „Ich knie nieder vor Zar Peter dem Großen. Puschkin hat immer gesagt, daß er das Fenster zum Westen aufgestoßen hat. Seine Ideen waren damals fantastisch, großartig. Für mich ist heute Michail Gorbatschow der zweite Peter der Große.“ Daraufhin gab es einen Riesenapplaus. Die Leute standen auf, und ich habe gesagt, daß ich sehr stolz bin, weil ich schon seit 35 Jahren im Westen, auf der ganzen Welt symbolisch einen roten Teppich ausgelegt habe, für Michail Gorbatschow und seine beiden wunderbaren Kinder.“ Und dann habe ich eine Pause gemacht: „Deren Namen lauten Glasnost und Perestroika. Ihnen allen, meinen sowjetischen Freunden, wünsche ich von ganzem Herzen allen Erfolg auf diesem herrlichen Weg.“

Woher kommt diese Leidenschaft für dieses Land?

Meine Mutter war Russin, mein Vater - halbjiddisch - ein zugereister Russe. Für mich war das Russische von Kindheit an eine Selbstverständlichkeit. Ich habe nie auf das Russische gesetzt in meiner Arbeit um des Erfolgs willen, im Gegenteil, ich habe ja damit immer wieder Aversionen hervorgerufen. Ich habe also nie berechnet, was ich getan habe, sondern es ist immer mit intensivstem und konzentriertestem Herzblut geschehen. Und ich werde so weitermachen, ich ändere mich nicht. Ich werde also jetzt nicht zur offenen Mauer gehen und dort ein Konzert geben wie die ganzen Wendehälse. Die freudige Hektik der Maueröffnung ist ja jetzt dabei, einer totalen Kommerzialisierung zu weichen.

Aber gerade Sie mit Ihrer Geschichte hätten doch jetzt alles Recht, zur Mauer zu gehen. Auch als Berliner.

Auf jeden Fall. Und ich bin Berliner. Ich bin nur zufällig in Spandau geboren, ich weiß gar nicht wo, ich bin dort registriert worden und dann gleich weiter. Ich habe nie in Berlin gelebt, aber die Tatsache, daß in meinem Paß als Geburtsort Berlin steht, hat mich immer stolz gemacht. Für mich ist Berlin der Ort, an dem Kunst und Kultur der Welt pulsiert. Meine goldenen Platten habe ich mir nur in Berlin verleihen lassen.

Was halten Sie vom rot-grünen Senat in Berlin?

Walter Momper ist für Berlin genau der Richtige. Und daß beim Senat so viele Frauen dabei sind, finde ich hervorragend. Und daß die Tunten jetzt durch das Rathaus wirbeln, finde ich großartig. Der Mensch zum Anfassen ist jetzt da, und es gibt nicht mehr dieses Etagenbewußtsein. Froh bin ich darüberhinaus, daß der CDU-Senat abgewählt wurde, aus einem ganz persönlichen Grund. Die haben mich nicht zur 750-Jahr-Feier eingeladen. Für das Fest hat man so viele Schlagerstars und -sternchen nach Berlin geholt - so viel Schrott - die mit Berlin gar nichts zu tun haben. Doch mich hat der Senat übergangen. Das waren doch die Etagen, wo Bauskandale gestrickt wurden, wo Korruption und Niedertracht wohnten.

Wo stehen Sie politisch?

Meine politische Haltung ist von der Einsicht her - ich sage es ganz klar - total schwarz. Nicht tiefschwarz, schwarz. Christlich-sozial. Ich bin ein Bewunderer der menschlichen und intelligenten Kapazitäten von Franz-Josef Strauß. Nicht, daß ich das CSU-Programm besonders attraktiv fände, aber mich hat die Figur Strauß wahnsinnig interessiert, weil sie gepaart ist mit Weitsicht und Intelligenz. Und ich bin ein glühender Weizsäcker-Fan. Er ist für mich ein Idealbild in dieser Mischung aus griechischem Philosophen mit dieser enormen Humanität. Und diese Toleranz. Und dieses Verständnis. Ich wünschte, einmal nur so ein bißchen weizsäckerisch sein zu können.

* Der Metropolit ist das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.

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