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Soviel Andrang war noch nie

■ Pressekonferenz zur bevorstehenden 40. Berlinale in Ost- und West-Berlin / Schwerpunkt ist Ost-Europa / Dominanz der US-Großproduktionen bleibt dennoch ungebrochen

Das gab es noch nie: Kultursenatorin Anke Martiny eröffnet die Berlinale-Pressekonferenz. Sie freue sich über den Schwerpunkt Osteuropa und DDR und bedauert bei dieser Gelegenheit, daß die „Zugangsregelungen“ für DDR-Bürger zum Kulturleben West-Berlins immer noch nicht zufriedenstellend sind. Den Europäischen Filmpreis will sie 1991 wieder nach Berlin holen, mit Preisverleihung im Ost-Berliner Friedrichstadt-Palast.

Festivalleiter Moritz de Hadeln stellt das Wettbewerbsprogramm vor: Noch nie habe es soviel Diskussionen gegeben. Mit anderen Worten: Es gab Krach hinter den Kulissen. Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms ist aus der Auswahlkommission ausgetreten, sie war verärgert über die Dominanz der Majors im Wettbewerb und darüber, daß die meisten Ost-Europa-Filme in den Beiprogrammen laufen (siehe taz von gestern). Als am Ende doch noch die Rede auf Sanders-Brahms‘ Kritik kommt, kanzeln de Hadeln und Panorama -Chef Salzgeber die Regisseurin rüde ab. Sie sei bei den Diskussionen oft nicht dabei gewesen, habe viele Filme nicht gesehen. Auf die inhaltliche Kritik vor allem an der peinlichen Entscheidung, mit einem der US-Filme, Herbert Ross‘ Steel Magnolias, zu eröffnen, gehen die Herren nicht ein. Im Gegenteil: de Hadeln hatte schon vorher betont, daß der „Wintertermin“ Berlinale für die Us -Produktionen wichtig sei: Woody Allen also zeigt Verbrechen und andere Kleinigkeiten, Oliver Stone seinen Vietnamfilm und Costa-Gavras Music Box. Auch Volker Schlöndorff hat seine Margaret-Atwood-Verfilmung Die Geschichte der Dienerin in Amerika produziert. West-Europa spielt im Wettbewerb nur eine Nebenrolle, der neue Film von Eric Rohmer wenigstens wird das Festival beschließen. Zehn Filme im Hauptprogramm kommen aus Osteuropa, u.a. Jiri Menzels 1968 verbotener tschechischer Film Lerchen am Faden, Kira Muratovas Das asthenische Syndrom aus der Sowjetunion (der einzige Wettbewerbs-Film von einer Frau) und Heiner Carows Coming out über Homosexuelle in der DDR.

Wesentliches also im Forum: Die DEFA-Tresor-Filme der 60er Jahre, DDR-Filme vom Herbst '89, sowjetische Filme zum Thema Stalinismus. Das Panorama präsentiert eine armenische Filmreihe, u.a. geht es um die Ereigisse in Berg-Karabach, einen weiteren tschechischen Tresorfilm und einen aktuellen aus Prag: Die sanfte Revolution. Alles in allem 350 Filme vom 9. bis 20.Februar. Schon jetzt sind 2.100 Journalisten akkreditiert, 400 mehr als 1989. „Berlin ist in“, bringt es die Filmmarkt-Chefin Beki Propst auf den Punkt; „so viel Andrang hatten wir noch nie“. In den Ost -Berliner Festival-Kinos (Cosmos, Collosseum und International) wird es dem normalen Publikum zuliebe für Festival-Gäste nur beschränkt Karten geben; ausländische Besucher dürfen mit Festivalausweis, also ohne Visum, am Checkpoint Charlie über die Grenze.

Ärgernis am Rande: Die vielversprechende Retrospektive 'Das Jahr 1945‘ sollte ebenfalls im Kino International (Ost -Berlin) präsentiert werden. Über die Gründe für die kurzfristige Absage war hinter den Kulissen zu erfahren, daß keineswegs die DDR-Bürokratie dem im Wege stand. Die Festivalleitung selbst wollte nicht, daß die Retrospektive als Teil des Hauptprogramms zusammen mit den Forums-Filmen im International, also unter einem Dach, gezeigt werden.

Und das Berlinale-Jubiläum? Auch dem 40. Geburtstag ist eine Filmreihe gewidmet, aufgeteilt in 12 Sektionen. Darunter so schöne Themen wie 'Solo Funny‘ (Komödien), 'Abgelehnt‘ (Filme, die nicht in den Wettbewerb kamen) und 'Bärenlos‘. Die Highlights, die Skandale und die Fehler des Festivals im Elf-Tage-Schnelldurchgang - das ist doch was.

chp

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