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Von der Mauer geprügelt

■ DDR-Grenzpolizisten griffen ein, als Vietnamesen über die Mauer in den Westen kommen wollten / Tourist filmte den Vorfall / Kontrollen an den Übergängen werden schärfer

Nachdem mittlerweile über 2.000 vietnamesische ArbeiterInnen die offenen Grenzen zur Flucht nach West-Berlin genutzt haben, versuchen DDR-Grenzbehörden nun mit Gewalt, weitere Fluchtversuche zu unterbinden. Per Videokamera hat ein westdeutscher Tourist einen Polizeieinsatz am Brandenburger Tor dokumentiert, bei dem mindestens ein Vietnamese von Grenzbeamten festgenommen wurde.

Der Vorfall hatte sich nach Angaben des Hobbyfilmers bereits letzten Samstag nachmittag ereignet. Neben zahlreichen Schaulustigen waren auch mehrere Vietnamesen auf den breiten Maueraufsatz vor dem Brandenburger Tor geklettert, um von dort auf die Westseite zu springen. Daraufhin griffen Grenzpolizisten ein. „Die Deutschen wurden höflich gebeten, die Mauer zu verlassen, die Vietnamesen haben sie gleich gepackt“, berichtete der Augenzeuge, ein Ingenieur aus Niedersachsen, der taz.

Von Westseite wurden Steine und Flaschen auf die DDR -Grenzer geworfen, die den Mann zu zweit zu überwältigen versuchten. Obwohl dieser sich mit Händen und Füßen wehrte, zerrten ihn die Polizisten schließlich von der Mauer wieder auf Ost-Berliner Gebiet und transportierten ihn unter dem Beifall einiger Schaulustiger in einem Polizeiauto ab. Nach den Worten des Ingenieurs spielte sich das Ganze ab „wie ein Kinofilm“.

VietnamesInnen, denen trotz des Polizeieinsatzes die Flucht gelang, berichteteten am Wochenende im West-Berliner Buddhistischen Zentrum über den Zwischenfall. Einen jungen Mann habe man ins Krankenhaus bringen müssen, weil er sich beim Sprung von der Mauer verletzt habe, sagte der Leiter des Zentrums, Pham Ngoc Danh. „Die Kontrollen an den Übergängen werden immer schärfer, die Leute haben eigentlich keine andere Chance, als über die Mauer zu springen.“

In der DDR leben rund 60.000 Vietnamesen, die per Regierungsabkommen als Arbeitskräfte ins Land geholt wurden. Sie sind dort einer rigiden Überwachung durch ihre eigene Botschaft ausgesetzt und dürfen u.a. nicht in den Westen reisen.

Weder bei der West-Berliner Polizei, noch bei der Innenverwaltung oder der Senatskanzlei war dieser Vorfall bis gestern gemeldet worden. Senatssprecherin Ingvield Kiele hielt es auf Anfrage jedoch für vorstellbar, daß der Senat im Reginalausschuß sein generelles Mißfallen darüber ausdrücke, daß ausländischen Arbeitskräften in der DDR die Ausreise in den Westen verwehrt wird. An sich könne man sich zwar nicht einmischen, da es sich hier um bilaterale Abkommen zwischen der DDR und Vietnam handele. „Aber jeder ausländische Arbeitnehmer auch in der DDR, muß das Recht haben, hier um Asyl zu bitten.“

anb

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