: Ecce Homo
■ Nur offiziell sind in der DDR die Homosexuellen gleichberechtigt. Mit soviel Anteilnahme wie in Heiner Carows Film „Coming out“ werden sie dort selten bedacht.
Ein junger Mann liegt auf dem OP-Tisch, mit einem Schlauch im Magen. Er heult Rotz und Wasser. Noch einmal davongekommen, legt er ein Geständnis ab: „Ich bin heterosexuell.“
So funktioniert das in Heiner Carows Film Coming out: Selbstmordkandidat Matthias gesteht, er sei schwul, und alle wissen Bescheid. Mit diesem Entree ist der Zuschauer gnädig eingestimmt, voll Mitleid und Anteilnahme für alles, was folgt.
Die Homo-Geschichte danach ist schlicht gezimmert und erzählt - pars pro toto - alles, was wir schon immer über das Homosexuelle erfahren sollten. Philipp ist Lehrer, schön und aufrecht, und heftig verliebt in Kollegin Tanja. Mit kleinen Zweifeln: Erinnerungen an eine andere, erste Liebe zum einstigen Jugendfreund schieben sich dazwischen. Und drängen zu erneuter Gewißheit, als er Matthias kennenlernt. Dann geht es hin und her, bei Tanja will Philipp bleiben und muß doch immer wieder Matthias suchen. Als er ihn endlich wiederfindet, liegt jener schon in den Armen eines anderen. Philipp - auch Tanja hat ihn inzwischen verlassen - ist wieder ganz allein und radelt durch die Berliner City im ersten Frühlingssonnenschein.
Die Odyssee des Herzens ist gespickt mit all den Zutaten, die das schlichte Männerleben zu einem außerordentlichen, schwulen Leben machen: Die Mutter ist schockiert, ein schwuler Kellner bezeugt, daß die Subkultur genauso herzlos ist wie die böse Welt draußen, ein one-night-stand mimt große Leidenschaft, ein alter Herr erzählt, wie es ihm erging, dereinst im KZ mit dem rosa Winkel. Dazwischen junge Tunten in Schlagerstimmung, suchende Männer in dunklen Parks, homophobe Jugendliche im U-Bahn-Schacht, ein Männerpaar auf dem Kanapee. So summiert sich, leichthin betrachtet, eine schwule Existenz in sozialistischen Landen wie überall.
Der Film ist gut gemeint, attackiert die ganz großen Gefühle und ist unerhört erfolgreich. Seit der DDR-Premiere am 9. November 1989 (!) lief der Streifen bis Anfang Februar in Ost-Berlin zweimal täglich vor ausverkauftem Haus. Die Dreharbeiten wurden vorher schon multimedial begleitet wie bei kaum einem anderen Film zuvor. Die rührende Lehrergeschichte - in der DDR-Presse apostrophiert als „Toleranz-Edikt“, „kultivierte Inszenierung“ oder „ein Film der Aufklärung“ - setzt vorläufig den populären Schlußpunkt unter die seit einigen Jahren andauernde Kampagne zur Integration homosexueller Menschen ins bis dato sozialistische Gesellschaftsbild.
Als 1973 anläßlich der Weltfestspiele in Ost-Berlin der englische Vertreter einer kommunistischen Jugendorganisation und Aktivist der Gay Liberation Front in der Humboldt -Universität programmgemäß zu einem Vortrag über die schwule Emanzipationsbewegung ansetzen wollte, fiel für die Dauer seiner Rede der Strom aus. Mitglieder Westberliner Schwulengruppen sind an den Grenzübergängen registriert und dürfen zu den Festspielen nicht einreisen. Obwohl schon 1968 der Paragraph 175 in der DDR gestrichen und durch den Paragraphen 151 ersetzt wurde , der den gleichgeschlechtlichen sexuellen Umgang von Personen über 18 Jahren mit Personen unter 18 Jahren verbot, wurde die öffentliche Diskussion darüber fortan nicht toleriert. Dennoch gründete sich im Anschluß an die Festspiele die „Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin“ (HIB), ein privater Zirkel, zu dem einmal wöchentlich rund 30 Personen zusammenkamen. 1976 beantragte die Gruppe, nachdem sie gemeinsam mit der Urania erfolgreich ein Forum zum Thema Homosexualität organisiert hatte, die Aufnahme ins Vereinsregister. Das Ministerium des Inneren lehnte ab. Das Ende der Gruppe wurde 1978 besiegelt, als die Polizei eine mit Lesben gemeinsam geplante Veranstaltung verbot.
Die öffentliche Debatte über das ungeliebte Thema wurde vor allem im Wissenschaftsbereich geführt. Der Berliner Hormonforscher Günter Dörner wollte mit Hilfe von Rattenexperimenten herausgefunden haben, daß pränataler Streß als mögliche Ursache für männliche Homosexualität in Frage kam. Noch 1982 durfte er in der CDU-Zeitung 'Neue Zeit‘ verkünden, daß Frauen, denen man das Recht zur Schwangerschaftsunterbrechung zubillige, auch erlaubt sein müsse, mit Hilfe der nötigen Hormongabe während der Schwangerschaft selbst zu bestimmen, „ob das noch ungeborene, aber doch bejahte Kind homosexuell werden sollte oder nicht.“
Nur wenig moderater ging es zur gleichen Zeit in der populären Aufklärungsliteratur zu. In Wie ist das mit der Liebe? kommt der Frauenarzt Klaus Tosetti nicht umhin, an der Liebesfähigkeit schwuler Männer zu zweifeln. Und schwulen Sex mag er gleich gar nicht: „Mit der Homosexualität der Männer verbinden sich auch unästhetische sexuelle Handlungen wie das Einführen des Penis in den After.“
In den 80er Jahren dann die Wende. Arbeitskreise gründen sich im Rahmen evangelischer Studentengemeinden in verschiedenen Städten, bei der Magdeburger Stadtmission wird eine hauptamtliche Stelle für „Homosexuellenarbeit“ eingerichtet. Selbst von seiten des Staates schwenkt man langsam um, die ablehnende Haltung - mit Hinweis auf den fehlenden Handlungsbedarf ob der angeblich vorliegenden Gleichberechtigung von Hetero- und Homosexuellen verweigerte man lange Zeit die Gründung homosexueller Selbsthilfegruppen - wird aufgegeben. 1984 beauftragt der Magistrat der Stadt Berlin Wissenschaftler der Humboldt-Universität, einen Bericht zur Lage der homosexuellen Menschen im Land zu erarbeiten.
Die Forscherergebnisse haben praktische Folgen: Wohnungsämter werden aufgefordert, homosexuellen Paaren entsprechende Zweiraumwohnungen zuzuweisen, Zeitungen und Zeitschriften drucken Kontaktanzeigen Homosexueller ab, in den Medien beginnt eine Welle der Aufklärung mit Artikelserien und Rundfunk- und TV-Sendungen zum Thema. Selbst staatliche und FDJ-Einrichtungen werden aufgefordert, sich nicht mehr länger gegen eine Zusammenarbeit mit lesbischen und schwulen Gruppen zu sperren. 1985 in Leipzig und 1988 in Karl-Marx-Stadt kommen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen mit Homosexuellen und homosexuellen WissenschaftlerInnen zusammen, um die reale Situation von Homosexuellen in der DDR zu diskutieren. Reiner Werner veröffentlich 1987 das erste Buch in hoher Auflage, das sich bemüht, die verschiedenen Aspekte des Phänomens allgemeinverständlich zu erläutern.
Dennoch läuft nicht alles so, wie man angesichts der Aufklärungswut erwarten könnte. So mancher Chefredakteur lehnt die Kontaktanzeigen ab, und in Halle verbietet noch 1988 die Polizei den Lesben und Schwulen eines kirchlichen Arbeitskreises eine Mondscheinfahrt mit der „Weißen Flotte“. Begründung: „Kein gesellschaftlicher Bedarf für derlei Veranstaltungen.“
Seit dem 9. November ist wieder alles anders. Der Film Coming out hatte Premiere an diesem Abend, doch die Nacht darauf machte vorerst Schluß mit dem Blick auf die Partikularinteressen der Besonderen. Die Sorgen der DDR -Bevölkerung sind jetzt anderer Art. Des Volkes Stimme rückte die Bemühungen der Integration von oben wieder zurecht: „Schwulenparade“ wurden die im Zentrum Leipzigs während der Montagsdemonstrationen im Oktober in Zweiergruppen patroullierenden Stasi-Leute beschimpft. Der verhaßte Gegner wird wieder zum Homo erklärt.
Elmar Kraushaar
Heiner Carow: Coming out, DDR 1989, Mit: Mathias Freihof, Dagmar Manzel, 109 Min.
12.2. Kosmos, 16.30; Urania 21.00
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