: Widerstand gegen Schäuble
■ In Berlin formiert sich ein breites Spektrum türkischer Organisationen gegen den Entwurf eines neuen Ausländergesetzes / Verbitterung über rot-grünen Senat
Während in Bonner und Berliner Regierungsstuben fleißig an Wiedervereinigungsszenarien gebastelt wird, tauchen ImmigrantInnen langsam aus dem deutschnationalen Nebel wieder empor. 27 türkische Organisationen - vom Sportklub über den Islamischen Kulturverein bis zu linken Gruppen haben sich zusammenschgeschlossen, um zum Protest gegen das geplante Ausländergesetz zu blasen.
Eine ähnlich breite Koalition hatte sich bereits letzte Woche im Bundesgebiet gebildet, wo sich unter dem Namen „Vatandas Girisimi“ eine Bürgerinitiative aus zahlreichen türkischen Organisationen der Öffentlichkeit vorstellte. Bundesweit geplant sind gegen den Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Schäuble Aktionen wie die Schließung türkischer Läden für einen Tag, ein Schulboykott türkischer Schüler, Hungerstreiks in Moscheen oder eine Großkundgebung in Bonn. Der Schäuble-Entwurf sieht einschneidende Verschärfungen des Aufenthaltsrechts für AusländerInnen vor. Die letzte Lesung im Bundestag ist für April angesetzt.
In Berlin ist die Stimmung unter türkischen Organisationen zudem geprägt von Verbitterung und Enttäuschung über den rot -grünen Senat in Sachen Ausländerpolitik. Das letzte Jahr war für Alisan Genc, Vorsitzender des Türkischen Wissenschafts- und Technologie-Zentrums (BTBTM), zwar ein Erfolgsjahr, „weil die Immigrantenpolitik ganz oben stand doch die innerdeutsche Entwicklung hat uns von der Tagesordnung gefegt“. Besonders der Berliner SPD wirft Genc, der auch der Koordinationsgruppe des neuen Bündnisses angehört, vor, „einfach abgetaucht zu sein“. Er habe noch nie eine so „herzlos geführte“ Kampagne gesehen wie die der Sozialdemokraten zum kommunalen Ausländerwahlrecht.
Der Zusammenschluß türkischer Organisationen und Vereine, die sonst oft als politische Kontrahenten auftreten, ist sowohl im Bundesgebiet als auch in Berlin einmalig. Man achte auf ein möglichst breites Spektrum, erklärte Genc. „In einem zweiten Stadium ist auch vorstellbar, andere Minderheitengruppen mitanzusprechen.“ Vor dem Hintergrund der Zuwanderung von Aus-und Übersiedlern sowie der Öffnung der Grenzen erscheint der „Schäuble-Entwurf“ für ein neues Ausländergesetz ImmigrantInnen als Maßnahme zur endgültigen Ausgrenzung (siehe auch nebenstehendes Interview).
Offensichtlich ist seit dem 9.November 1989 jedoch auch ein Ruck durch viele ImmigrantInnen gegangen. Viele, die sich noch vor kurzem als Türken empfunden haben, so Genc, sähen sich jetzt ausdrücklich als Einwanderer. „Wir sind keine Ausländer mehr, und man kann uns im Rahmen eines Gesetzes auch nicht mehr so behandeln.“
anb
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