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EIN PFLÄNZCHEN ZUM HEGEN

■ Streiflichter von der alternativen Reisemesse „Anders Reisen - aber wie!“ in Hamburg

Unter dem Motto „Anders Reisen - aber wie!“ stand am letzten Wochenende die alternative Hamburger Reisemesse. Mit Ausrufungszeichen wohlgemerkt. Dazu gehört schon eine Portion Mut, denn als einziges Kriterium mußten sich die 44 Reiseveranstalter selbst irgendwie „anders“ finden, zumindest anders als die Mitbewerber aus der Kategorie „Neckermann“. Die treffen sich jedes Jahr eine Woche später zum massenhaften Fernwehspektakel auf der „Reisen 90“ in den Hamburger Messehallen.

Das Spektrum der „Anders Reisen„-Anbieter schien einem alternativen Reiseanzeigenteil entsprungen: Von der sanften Eltern-Kind-Reise über Aktivurlaub bis hin zur Billigflugagentur. Im Rahmenprogramm neben Diavorträgen auch einige Diskussionen über „Frauenreisen“ oder „Skisport und Umwelt“. Immerhin, der alternative Reisemarkt sei „ein Pflänzchen, das sich zu pflegen lohnt“, resümierte Werner Müller von der tourismuskritischen „Gruppe Neues Reisen“, die erstmals auf der Messe mit einem Infostand vertreten war.

„Anders Reisen - aber wie!“ Zwischen dem Ausrufungszeichen und der Wirklichkeit gab es dennoch einiges zu schlucken. Die „Freunde des Sahaurischen Volkes“ informierten über den Krieg des Königreiches Marokko in der Westsahara, während wie selbstverständlich Marokko in den Reisekatalogen vieler Veranstalter angeboten wird. Eine Diskussion wäre dies allemal wert, doch Messe bleibt eben Messe.

Und natürlich, es juckt im Hintern, gibt es derzeit kein exotischeres Reiseland als die DDR. „Anders Reisen - DDR“: ein Diavortrag mit Diskussion im Rahmenprogramm. „Wie wär's mit einem Besuch der Kirche und dem Schloß in Werningerode oder dem wenig erschlossenen Südharz?“ In der Eile waren keine anderen Dias zu bekommen. Aber die Leute drüben seien alle riesig kontakfreudig, und es gelte den Blick für ökonomische und politische Verhältnisse zu schärfen, so der Referent Thomas Gehlen. Doch wen interessiert das schon? Keine Diskussion, ob der Strom der neugierigen Wessies zu verkraften sei („Wir können ja unsere Butterbrote selbst mitnehmen, damit wir denen nicht alles wegfressen“.). Allein Praktisches war gefragt: Ob das Fahrrad mitgenommen werden könne? Ja, aber auf gute Speichen achten, die Straßen sind sehr schlecht. Wie das denn mit Unterkünften aussehe? Mager, zumindest in der Hochsaison und vor allem an der Ostsee. Da gibt es zwar welche, aber die sind teilweise über Jahre im Voraus ausgebucht, von den Betriebsgruppen unserer Brüder und Schwestern. Die DDR sei leider ein touristisches Entwicklungsland, noch richtig was für Pioniere. Damit sind auch die „anderen“ Touristiker bei derselben Frage, über die sich die Reisekonzerne den Kopf zerbrechen: woher Betten nehmen und nicht stehlen? Die Perspektive, daß die DDR zu einer deutschen Costa Brava verkommen könnte, war nicht mehr als eine unangenehme Randbemerkung. Die ganz „andere“ Frage lautete: Wo kann ich mich erholen und habe trotzdem saubere Luft?

„Anders Reisen“ muß noch lange nichts mit sozial- und umweltverantwortlichem Tourismus zu tun haben. „Anders“ bedeutete auf dieser Messe teilweise schlicht: kleiner als die Großen. Was sich alles unter der Worthülse „anders“ versammelte, zeigt ein kleiner, nicht repräsentativer Ausschnitt:

Die arg Bemühten: Beispielsweise ein Spezialveranstalter für Riverrafting, Mountainbiking, Kanufahren und Gleitschirmfliegen. Diese Sportarten seien ziemlich ins Gerede gekommen, gibt die junge Frau am Stand zu. Aber sie liest in letzter Zeit echt viele Bücher zum Thema. Ein Lernprozeß, den sie ihren Mitreisenden weitervermittelt. Mountainbiking nur auf Forstwegen, Reisen in kleinen Gruppen, denen man erklären kann, daß sie ihren Müll einsammeln sollen, und der Spaß, in unberührter Natur wild zu campen, ist auch vorbei. Eigentlich sollte sogar ein Flugblatt zur Messe fertig sein, aber das gibt's nächstes Jahr. „Mit dem sanften Tourismus, das ist sowieso Quatsch“, wirft ihr Kollege ein, „kein toskanischer Bergbauer wird je verstehen, daß eine Horde daddeliger Deutscher Berge hoch und runterstapft und abends ihr Gemüsesüppchen schlabbert.“ Sanft oder nicht sanft, im Katalog geht es wortgewaltig zur Sache mit „körperlicher Hochleistung im Kampf mit dem ungebändigten Wasser“ - welch eine Selbsterfahrung!

Die Ehrlichen der Marke: „Ich weiß nicht so genau“: Beispielsweise ein kollektives Busunternehmen, bei dem die Fahrer nicht irgendwelche angestellten Hanseln sind, sondern Spaß am Fahren haben. Sie hätten auch mal eine Gruppe Jugendlicher an einer Raststätte rausgeschmissen, die ihre Mitreisenden mit einem zackigen „Heil Hitler“ begrüßten. In der Gruppe wird gemeinsam gekocht, das bringt schon ein „anderes“ Gefühl, und außerdem, naja, jetzt muß der kollektive Busreisevertreter scharf nachdenken: „Also, 'ne Gruppenreise ist einfach ökologisch vertretbarer als individuelles PKW-Geheize.“ Das Reiseprogramm wird nach dem Muster gestrickt: „Meine Tante hat ein Haus auf Mallorca, und ich wollte dort schon immer mal wandern.“ Ganz nach Lust und Laune. „Bei uns fährt keiner Ski, deshalb gibt's kein Skiprogramm.“ Außerdem sei das umweltschädlich. Begründung in dieser Reihenfolge.

Die gnadenlos Ehrlichen: Beispielsweise ein Pauschalreiseveranstalter mit Billigflugprogramm. „Klar sind wir kommerziell.“ Und auf dieser Messe läuft eben seine Zielgruppe herum: „Die halten sich alle für ein bißchen alternativ, reisen individuell nach Tibet, Indien oder Australien, und wir haben die Billigflüge dazu.“ Ob einer der MitarbeiterInnen einen Flug nach Johannesburg verkaufe oder nicht, hängt allein von der persönlichen Entscheidung zwischen Provision und politischem Gewissen ab. Zumindest in der Werbung taucht Südafrika nicht auf, das wäre ein Negativimage. „Unsere Kunden würden uns dafür die Scheiben einwerfen.“

Die Land- und Leute-Kontakter: Beispielsweise ein Reiseveranstalter mit Schwerpunkt Studienreisen nach Kuba, Latein- und Mittelamerika. Kontakte zu Gewerkschaften, Oppositionsgruppen und Institutionen sind Voraussetzung und Kriterium für eine gelungene Reise. Ein Sprachkurs in Chile

-kein Problem, Kontakte zu einem oppositionellen Projekt wären vorhanden, die TeilnehmerInnen lebten in Familien. Nach der Devise: „Hinfahren und selbst erleben„; von zu Hause aus könne man gar nicht beurteilen, ob ein Land boykottiert werden solle oder nicht, meint die Vertreterin des Veranstalters. Zur Zeit wird mal wieder Südafrika als neue Destination diskutiert. Der Kontakt zur Opposition wäre möglich, im Zweifelsfalle könne das Wissen für die Solidaritätsarbeit eingesetzt werden. Wie wäre es mit einer Beteiligung an der Protestgruppe, die sich seit Jahren gegen den südafrikanischen Stand auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin wehrt? Diese Frage wurde auf der Hamburg-Messe nicht gestellt.

Dann gibt's noch die ganz Authentischen, die sich dem sanften Tourismus verschrieben haben: Beispielsweise ein Hamburger Reisebüro, das eine Rundreise durch Ägypten anbietet. An den Flügen verdient das Reisebüro, der Rest für Hotels und Verpflegung wird in Ägypten bezahlt, sprich: die Devisen bleiben dort, wo sie hingehören. Der ägyptische Reiseleiter, der seit zehn Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebt, konnte seine TeilnehmerInnen davon überzeugen, daß ägyptischer Kaffee tatsächlich bekömmlicher als Nescafe ist. Neben der Pyramidentour geht es auch auf die Müllberge in Kairo, dorthin, wo die Kinder Konserven aussortieren, „nur dann kannst Du beurteilen, in welchem Reichtum wir hier leben“.

Außer diesen mehr oder minder zarten Pflänzchen „anderer“ Reisekonzepte gedeihen die Frauenreise-Projekte. Selbst die „Fraueninfothek“ aus Berlin, die sich in einem Workshop den Hamburgerinnen vorstellte, hat den Überblick darüber verloren, wo überall Frauen-Reise-Initiativen existieren. Konkretes Ergebnis der Frauenrunde: Die Zeit sei reif für eine Tagung zum Thema Frauenreisen. Wo immer Frauen sitzen, die Interesse an dieser Idee haben, ob privat oder als Projekt, sie mögen sich schleunigst bei der Fraueninfothek melden: Leibnitzstraße 57, 1000 Berlin 12, Tel.: 030 //324 50 78.

Kirsten Wulf

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