: Ein schwerer Abschied vom Wörtchen „links“
Die Grüne Partei der DDR verabschiedete ihr „Hallesches Rahmenprogramm“ / Aufbruchstimmung und örtliche Turbulenzen um rechts und links / Für die deutsche Einheit nach Auflösung der Militärblöcke und vollständiger Abrüstung / „Schnellstmöglicher Ausstieg aus der Kernenergie“ ■ Aus Halle Gerd Rosenkranz
Es war 21.27 Uhr am Samstag abend, als die Delegierten jubelnd von ihren Sitzen aufsprangen, um sich selbst zu beklatschen. Soeben hatte die „Grüne Partei“ der DDR ihr „Hallesches Rahmenprogramm“ nach einer Marathonsitzung fast ohne Gegenstimmen verabschiedet. Das ausdrücklich als Provisorium gekennzeichnete und unter großem Zeitdruck entstandene Werk hat dennoch Chancen, die Wahltage am 18. März und 6.Mai zu überleben. In kompakter Form haben die Delegierten der neuen Umweltpartei ein klares ökologisches Profil verpaßt und gleichzeitig ihren Anspruch formuliert, sich in die Entwicklung der Krisenregion DDR politisch einzumischen.
Die Freudenszene im überfüllten, nicht mehr ganz neuen „Neuen Theater“ von Halle war kaum zehn Minuten alt, als ein einziges Wort unter den etwa 350 Delegierten unversehens den bis dahin erbittertsten Streit auslöste. Was folgte, war der lange und schwierige Abschied von dem Wörtchen links. „Ich will jetzt wissen, wer hier links ist und wer nicht“, rief ein empörter Delegierter, der von dem neben „Sozialismus“ meistgehaßten Begriff in der DDR partout nicht lassen wollte. Ein anderer drohte sogar mit Spaltung, ehe schließlich, wie so oft bei diesem Parteitag, die erlösende Kompromißformel gefunden war.
Der Reihe nach: Den Delegierten war am Samstag abend ein Erklärungsentwurf zur deutschen Frage vorgelegt worden, um wie einer der Autoren begründete - den „ausufernden Streit in den eigenen Reihen“ einzugrenzen. In dem Papier, das schließlich nach fast zwei Stunden mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, befürwortet die Grüne Partei eine „einheitliche deutsche Republik in einer europäischen Friedensordnung“. Vor der Einheit allerdings soll eine KSZE -Gipfelkonferenz noch in diesem Jahr die Auflösung beider Militärbündnisse „bei schnellstmöglicher vollständiger Abrüstung“ einleiten und ein „gemeinsames europäisches Sicherheitssystem“ schaffen. Erst danach soll - nach den Zwischenschritten „Konföderation“ und „Friedensvertrag mit allen am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten und Israel“ eine „vom Volke getragene“ Verfassung für die neue Republik erarbeitet werden.
Wie gesagt: Nicht diese Position, die das strikte Beharren auf Zweistaatlichkeit explizit aufgibt, löste die heftigen Turbulenzen aus und rührte ans Selbstverständnis einer Mehrheit der Delegierten. Es war vielmehr die Frage, ob die Grüne Partei dafür „ein Bündnis der linken und aller demokratischen Kräfte“ anstreben oder sich auf die „demokratischen“, die „grünen und demokratischen“ oder die „linken demokratischen“ beschränken solle. Am Ende löste eine opportunistisch-realistische Formel zwar nicht den Konflikt, aber das aktuelle Problem: Man möge das „Bündnis mit allen Kräften anstreben, die diese Erklärung unterstützen“.
Der heftige Streit kam überraschend. Denn zuvor hatten die meist sehr jungen Delegierten Programmpunkt für Programmpunkt verabschiedet - in einer Atmosphäre, die in manchen der zahlreich angereisten Sympathisanten aus dem Westen Erinnerungen an die Aufbruchzeit der Grünen weckte. Vieles im Programm erinnert an die Vorstellungen der europäischen Schwesterparteien. Unterschiede sind meist Ergebnis von Spezifika der DDR: Etwa, wenn nicht nur die „gleiche Anerkennung“ für alle „intakten Lebensgemeinschaften“ gefordert wird, sondern auch eine „Aufwertung der Familie“, oder mehr „Teilzeitarbeit für Frauen und Männer„; wenn auch die Grüne Partei der DDR sich mit einer strikten Quotenregelung selbst in den eigenen Reihen schwer tut, Parität höchstens „anstrebt“.
Die Grüne Partei tritt ein für eine ökologisch-demokratisch -soziale Wirtschaft, in der alle denkbaren Eigentumsformen ihren Platz finden. Sie wendet sich grundsätzlich gegen den „Erwerb von Grund und Boden durch ausländische Investoren“. Sie will eine basisdemokratische, solidarische und ausdrücklich auch eine „multikulturelle“ Gesellschaft mit Wahlrecht für dauerhaft in der DDR lebende Ausländer.
Die Formulierung zum Ausstieg aus der Atomenergie schließlich mag manchem Anti-AKW-Kämpfer im Westen nicht genügen. Sie spiegelt jedoch genau die angesichts der Katstrophenalternative Braunkohle weit verbreitete Unsicherheit der DDR-Umweltschützer.
Effiziente Energienutzung, heißt es da, könne den „Energiebedarf auf weniger als die Hälfte senken, so daß auch der von uns geforderte schnellstmögliche Ausstieg aus der Kernenergie möglich wird“. Nicht nur an diesem Punkt ist die Grüne Partei in der DDR auf Eigenständigkeit bedacht. Eine Umbenennung in die „Die Grünen“ lehnten die Delegierten mit großer Mehrheit ab. Die Unterstützer aus dem Westen unter ihnen mindestens vier Bundestagsabgeordnete verstanden das wohl und hielten sich im Hintergrund. Nur Willi Hoss beschwor die Delegierten, sie mögen sich des „ungeheuren Werts“ eines Bündnisses der Ökologie- und Bürgerrechtsbewegung bei den anstehenden historischen Wahlen bewußt sein.
Unterdessen rauften sich die Delegierten im Foyer um die Überbleibsel manch wenig erfolgreicher Wahlkämpfe der West -Grünen - die Plakate waren alt, die Themen nicht.
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