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Freudenfeiern: Mandela ist frei

Nach 27 Jahren Haft erfüllt die Apartheid-Regierung weltweite Forderungen / Freudenkundgebungen in ganz Südafrika / Polizei erschießt 15 Schwarze bei Feiern / Mandela: „Bewaffneter Kampf geht weiter“  ■  Aus Kapstadt Hans Brandt

Nelson Mandela ist kein politischer Gefangener mehr. Der Mann, den das südafrikanische Regime 27 Jahre lang in Haft gehalten hatte, durchschritt gestern Hand in Hand mit seiner Frau Winnie inmitten einer begeisterten Menge das Tor der Victor-Verster-Gefängnisfarm. „Er war im Gefängnis, um für unsere Rechte zu kämpfen“, erklärte eine schwarze Frau, die stundenlang mit Hunderten anderen in der sengenden Sonne stand und auf Mandela wartete. „Jetzt, wo der ANC legalisiert ist, kann Mandela einen Platz am Verhandlungstisch einnehmen, jetzt muß es endlich besser werden in Südafrika“, hofft sie.

Als Mandela, auf den sich fast übermenschliche Erwartungen konzentrieren, dann kommt, ist alles schnell vorbei. Der fast zwei Meter große, grauhaarige Mann steigt in einen Wagen. Unter Polizeibegleitung setzt sich die Kolonne in Bewegung. Anfangs stockt alles in der Menge. „Viva Mandela! Viva!“ rufen die Menschen ihm nach und schwenken Fahnen des ANC. Auf der gesamten, 50 Kilometer langen Strecke nach Kapstadt, wo Mandela auf einer Versammlung reden sollte, wird er von AnhängerInnen begrüßt: an Brücken hängen Transparente „Welcome Home Mandela!“, am Straßenrand winken Tausende.

Doch Mandela trifft erst viel später ein, da 50.000 Menschen in der Innenstadt ein Chaos auslösen. Die Stimmung wird immer unruhiger. Am Rande des Platzes, wo die Menschen dicht an dicht gedrängt stehen, werden Schaufenster eingedrückt. Jugendliche springen in die Geschäfte, greifen Kleidung, springen wieder raus. Da kommt ein Polizeiauto. Schrotgewehrschüsse, immer wieder. Die Menschen rennen davon. Später stellt sich heraus, daß ein Jugendlicher erschossen wurde.

Auch im Rathaus weiß zu der Zeit niemand, wo Mandela ist. Der Bürgermeister von Kapstadt, der die Benutzung des Rathauses und des Paradeplatzes erlaubt hat, wandert etwas hilflos durch die Gänge, begleitet von einigen Leibwächtern. „Mandela ist auf dem Weg“, sagt er. „Aber die Straßen sind so verstopft, er kommt nicht durch.“ Mehr will er nicht sagen.

Kurz drauf huscht Jesse Jackson, der schwarze amerikanische Anti-Apartheid-Kämpfer und ehemalige Präsidentschaftskandidat, durch die Gänge. Auch er wird begleitet von Leibwächtern, zusätzlich einigen Ordnern in ANC-Uniform - Khaki mit schwarz-grün-goldenen Epauletten. „Bitte, lassen Sie uns jetzt in Ruhe“, drängt man mich zurück. „Wir wissen auch nicht, was los ist.“

Drinnen kommt ein Ordner auf mich zu: „Presse ist im Rathaus nicht erlaubt, geh raus.“ „Mandela ist nicht hier“, wird indessen verbreitet. „Er ist im District Six, da ist mehr Platz.“ Das ist die Gegend, wo die Regierung Tausende Häuser niederwalzte und die Bewohner brutal zwangsumsiedelte. Deshalb ist dort viel Platz: District Six

-die Narbe Kapstadts. „Geht alle dorthin“, lautet die Parole.

Da entdeckt man den bösen Journalisten wieder. „Geh raus!“ Vor der Tür drängt die Menge. Ich habe Angst. Doch trotz aller Proteste werde ich von zwei Sicherheitsleuten zur Tür gezerrt, hinausgeworfen.

Eine Autokolonne hupt durch die Menschen. Mandela? Leute schlagen auf die Blechdächer, schütteln zum Fenster herausgestreckte Hände. Anti-Apartheid-Prominenz, aber kein Mandela. Ich frage einige Fahrer. „Wo ist Mandela?“ „Schon drin“, „Hinter uns, er kommt gleich!“, „Auf der anderen Seite des Gebäudes, zu einem anderen Eingang gefahren.“ Oben kreisen die Hubschrauber, Polizei, Fernsehen. Am Rande der Menge knallen Schüsse. Da wird wohl wieder geplündert.

Bis Redaktionsschluß hatte Mandela öffentlich noch kein Wort gesagt. Wahrscheinlich ist, daß sein Auftritt aus Sicherheitsgründen abgesagt wurde.

Schon die Nachricht der bevorstehenden Freilassung war am Freitag mit Freudentänzen und spontanen Demonstrationen im ganzen Land begrüßt worden. In Soweto marschierten Tausende zu Mandelas Haus in Orlando West, einem der ältesten Viertel der Zwei-Millionen-Stadt. Erzbischof Desmond Tutu tanzte, als er von der Freilassung Mandelas hörte. „De Klerk, du hast etwas Großes getan“, rief er aus. „Wir hatten zwar auf eine allgemeine Amnestie und die Freilassung aller politischen Gefangenen gehofft. Aber heute ist kein Tag für Ungnade. Es ist Zeit, 'Ja, gut!‘ zu sagen und zu feiern.“

Doch die Freude blieb nicht ungetrübt. 14 Menschen wurden bei Feiern von Sicherheitskräften erschossen, mehr als 50 verletzt. Die in den letzten Wochen gehäuften brutalen Übergriffe der Polizei bestärken die Vermutung, daß es im Sicherheitsapparat offenbar Gegner der de Klerkschen Politik gibt.

Ungehindert von der Polizei konnten sich am Samstag Hunderte ultrarechter Weißer in der Hauptstadt Pretoria versammeln und skandieren: „Hängt Mandela!“ Fortsetzung und Tagesthema auf Seite 3

Breyten Breytenbach Seite 9

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Südafrikanische Geschäftsleute hoffen nach Mandelas Freilassung auf eine Verbesserung des Wirtschaftsklimas. „Mandelas Freilassung schafft die Möglichkeit für alle Beteiligten, in vernünftiger Debatte über die Strukturen einer zukünftigen demokratischen Politik in Südafrika zu diskutieren“, sagte Gavin Relly, Vorsitzender der „Anglo American Corporation“, des größten Bergbau- und Industriekonzerns in Südafrika. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher betonte in ihrer ersten Reaktion, daß sie sich jetzt weltweit für die Milderung von gegen Südafrika verhängten Wirtschaftssanktionen einsetzen werde: „Wir glauben, daß es keinen Sinn mehr hat, neue Investitionen in Südafrika zu vermeiden. Die Maßnahmen, die Präsident De Klerk durchgeführt hat, verdienen eine positive Antwort.“ Thatcher wird darüber mit ihren EG-Kollegen in zehn Tagen bei einem EG-Gipfel diskutieren können.

Regierungssprecher haben in den letzten Wochen wiederholt betont, daß Sanktionen der Wirtschaft Südafrikas schwer geschadet haben. Die wichtigste Rolle hat dabei wohl der

von Banken verhängte Kreditstopp gespielt. Probleme mit der Rückzahlung erheblicher Auslandsschulden haben die südafrikanische Regierung in letzter Zeit dazu gezwungen, das Wachstum der Wirtschaft durch erhebliche Importschranken schwer einzuschränken, um so Devisen ansammeln zu können. De Klerk gab deshalb bei der Pressekonferenz am Samstag, auf der er auch die Freilassung Mandelas ankündigte, der Hoffnung Ausdruck, daß Sanktionen demnächst aufgehoben werden könnten.

Nelson Mandela wird einen Tag nach seiner Freilassung sofort mit einem persönlich und politisch schwerwiegenden Problem konfrontiert werden. Am heutigen Montag wird das Mordverfahren gegen Mitglieder des „Mandela Fußballklubs“ wieder aufgenommen. Diese Gruppe jugendlicher Leibwächter von Mandelas Frau Winnie soll Anfang letzten Jahres einen 14jährigen Jugendlichen ermordet haben. Winnie Mandela soll die Entführung des Jungen durch ihre Leibwächter angeordnet haben. Das wird Fragen nach der zweideutigen politischen Rolle von Winnie Mandela wieder aufwerfen. Ob der Zeitpunkt von Mandelas Freilassung mit der Wiederaufnahme des Verfahrens zusammenhängt, bleibt offen.

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