: Berlin wird Trambahnstadt
■ Straßenbahnen in Ganz-Berlin - auf Rasengleis oder Rillenschiene? / Über „Stummelchen„-Verlängerung von Straßenbahnlinien nach West-Berlin nun Konsens zwischen BVB und BVG.
Die Ostberliner Verkehrs-Betriebe (BVB) haben jetzt gegenüber der BVG ihre Bereitschaft erklärt, mit gemeinsamen konkreten Planungen zur Verlängerung von Straßenbahnlinien nach West-Berlin zu beginnen. In etwa sechs Wochen hoffe man, daß ein erstes abgestimmtes Grobkonzept vorliegen werde, erläuterte jetzt BVG-Planungschef Hartmut Schmidt auf Anfrage. Laut Schmidt will die BVG dazu dann westliches Know -how bei der fälligen Schätzung künftiger Fahrgastzahlen anbieten.
Auf beiden Seiten der Stadt beginnt im Moment die Sammlung entsprechender Daten. Parallel dazu, so BVG-Planungschef Schmidt, seien in nächster Zeit gezielte Exkursionen in westdeutsche Städte mit Trambahnen beabsichtigt, um aus dem dortigen Betrieb praktische Erkenntnisse zu gewinnen. In Würzburg etwa sind die Gleise umweltfreundlich in Rasen eingebettet. Der BVG-Planer möchte selbiges für Berlin nicht ausschließen: „Das sieht ganz toll aus“.
Einvernehmen besteht in Sachen zeitlich vorgezogener Verlängerung der Ostberliner Linie 3 bis zum U-Bahnhof Osloer Straße. Geprüft wird ferner die Weiterführung gleich einer Reihe von BVB-Linien:
Die Linien 4 und 13 könnten beispielsweise im Norden entlang der Eberswalder und Bernauer Straße bis zum Lehrter Stadtbahnhof, im Süden über die Oberbaumbrücke bis zum U -Bahnhof Schlesisches Tor geführt werden.
Die Linie 17 von Johannisthal wäre in die Gropiusstadt (mit den U-Bahnhöfen Zwickauer Damm oder Lipschitzallee als Endpunkt) zu verlängern.
Die Linie 22 böte sich als Verlängerung ins Märkische Viertel bis zum S-Bahnhof Wittenau-Nordbahn an.
Die Linie 84 könnte Adlershof mit dem U-Bahnhof Rudow verknüpfen.
Vor dem Weiterbau der Linie 3 müßte allerdings die Bösebrücke saniert werden. Vieles bereitet den Planern aber noch Kopfzerbrechen. Beispielsweise wurde am U-Bahnhof Osloer Straße gerade ein Behindertenaufzug fertiggestellt, der nun genau in der Mitte der vorgesehenen Trasse liegt. Eigentlich bräuchten die aus Ost-Berlin kommenden Straßenbahnen an ihren Westberliner Endpunkten auch Plätze für ordentliche Wendeschleifen mit einem Mindestdurchmesser von 60 Metern. Dafür gibt es am Osloer Platz aber kaum geeignete Stellen. Bei relativ kurzfristigen Gleisverlängerungen wären die Wendeschleifen schon deshalb unabdingbar, weil Ost-Berlin derzeit überwiegend nur sogenannte Einrichtungswagen betreibt - mit lediglich einem vorderen Führerstand und Türen auf der rechten Seite. Da die erste Verlängerungsstrecke voraussichtlich „nicht vor vier Jahren“ fertiggestellt sei, ging BVG-Verkehrsplaner Schmidt indes von einer einfacheren Lösung des Problems aus: Bis dahin gebe es vielleicht ein paar neue zusätzliche Straßenbahnwagen, die in beiden Richtungen fahren könnten.
Mehr als ein paar hundert Meter neue Gleise wird es wohl zu Beginn nicht geben. Dennoch, so der Planer, wolle sich die BVG alle Möglichkeiten der „großen Lösung“ eines Straßenbahnbetriebes auf modernstem technischen Niveau offenhalten - freilich beschränkt auf die Stummelverbindungen nach West-Berlin. BVG und Verkehrsverwaltung sind nämlich nach wie vor eisern gegen eine generelle Wiedereinführung der 1967 zu Grabe getragenen Straßenbahn als fünftes Verkehrssystem. Doch stichhaltige verkehrspolitische Argumente gegen einen solchen (Rück -)Schritt zum Bewährten gibt es kaum noch. So führte Schmidt in erster Linie die fehlenden Grundstücke für neue Straßenbahndepots und Betriebshöfe an.
Vor die Sisyphusaufgabe einer Bewältigung neuer Verkehrsströme in der plötzlich zusammenwachsenden Vier -Millionen-Stadt gestellt, sind es zuvorderst die Regionalplaner der Umweltsenatorin Schreyer, die in der Frage Flagge zeigen. In ihren Überlegungen zur Weiterentwicklung des Berliner Schienenverkehrs nach Öffnung der Grenzen sprechen sie sich explizit für eine Wiedereinführung der Straßenbahn in West-Berlin „auf wichtigen Relationen“ aus. Neben einer Ergänzungs- und Zubringerfunktion zur U- und S-Bahn sei hier insbesondere der „übergeordnete Tangentialverkehr“ in den äußeren Bezirken sowie der Erholungsverkehr von Bedeutung. Straßenbahn-Direktverbindungen von städtischen Nebenzentren und ihren Einzugsbereichen könnten nach Auffassung der Schreyer-Vordenker die „polyzentrale Struktur“ (viele regionale Zentren) der neuerstandenen Metropole Berlin unterstützen.
Zur Integration des Verkehrssystems Straßenbahn wird vorgeschlagen, einen Katalog von Anforderungen aus städtebaulicher Sicht zu entwickeln. Eine neue Westberliner Straßenbahn, so die Vorstellungen, müßte durchweg über einen vom Autoverkehr getrennten eigenen Gleiskörper verfügen. Und möglichst das schon erwähnte Rasengleis beziehungsweise unauffällige Rillenschienen haben. Dazu wird die Entwicklung von weniger störenden Fahrleitungskonstruktionen als die bisher bekannten angeregt. Eingesetzt werden sollten ausschließlich behindertenfreundliche Niederflugwagen, die ein sehr leichtes Einsteigen vom Bürgersteig aus ermöglichen.
Unterdessen schlug der verkehrspolitische Sprecher der AL, Michael Cramer, in diesem Sinne schon ein historisches „Straßenbahn-Bündnis“ zwischen den Alternativen und der Lieferfirma AEG vor. (Kapitalistentango also, statt, wie versprochen, Walzer mit mir. Welche Alternative! d. s.in.) Cramer zur taz: „Die AEG ist ja an uns herangetreten und wollte uns überzeugen, daß ihre M-Bahn ein tolles Verkehrsmittel ist. Dann stellte sich an dem Gesprächsabend heraus, daß die AEG auch Straßenbahnen produziert. Sie haben uns auch Prospekte gegegen. Da haben wir ihnen gesagt, wenn sie Interesse hätten, Straßenbahnen zu verkaufen, dann sollen sie das mit uns machen.“
Thomas Knauf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen