: Stoltenbergs Geleitschutz im U-Boot-Geschäft
Schwere Vorwürfe gegen Bundesminister Stoltenberg: Vertrauliche Unterlagen aus dem Bundesfinanzministerium beweisen, daß Ermittlungen wegen des illegalen Exports von U-Boot-Plänen an Südafrika gezielt unterdrückt wurden ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Der Beamte aus dem Bundesfinanzministerium fand viele Gründe, sich zu wundern: Bestimmte Kosten seien für das U -Boot-Projekt gebucht worden, andere Kosten liefen über ein „unter einem Decknamen geführtes Konto“, heißt es zum Beispiel in seinem vertraulichen Bericht an seinen Minister. Wer da unter dem Decknamen eines Kapitäns verborgen werden sollte, ist Fertigungsleiter Rademann, Angestellter der Firma Howaldtswerke - Deutsche Werft AG (HDW), der sich seit April 1986 angeblich beurlaubt in Südafrika befindet.
Der alarmierende Bericht mit einer Vielzahl von Hinweisen auf den illegalen Export von U-Boot-Bauplänen an Südafrika, der im Juli 1987 im Bundesfinanzministerium eigentlich alle Warnglocken hätte auslösen müssen, blieb ohne Folgen. Obwohl der Beamte in seinem Bericht an den damaligen Finanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU) dringlich anrät, die Staatsanwaltschaft einzuschalten und betont, für die Einstellung des Verfahrens sei „auf keinen Fall Raum, schon um sich nicht den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt ausgesetzt zu sehen“, passiert genau dies. Wenige Monate später wird ein Ordnungswidrigkeitsverfahren der Oberfinanzdirektion Kiel gegen die staatseigene HDW-Werft und das Planungsbüro Lübecker Industrie-Kontor (IKL) eingestellt. Mit den gelieferten Unterlagen sei kein funktionsfähiges U-Boot herzustellen, insbesondere weil die zentralen und als geheim eingestuften Pläne nicht geliefert worden seien, heißt es lapidar im Einstellungsbescheid.
Das ist offenbar falsch. Bundesminister Stoltenberg, der durch den Bericht in schweren Verdacht gerät, wußte es bereits damals besser. Die Feststellungen, welche Pläne in dem seit 1984 laufenden Geschäft an Südafrika unter Verletzung des völkerrechtlich bindenden UN-Waffenembargos geliefert wurden, beruhten „lediglich auf Angaben der Firma“, schrieb der Berichterstatter damals. „Es ist also nicht auszuschließen, daß wesentlich mehr ausgeführt worden ist.“ Keine der Vorstandsunterlagen seien überhaupt angesehen worden. Dies sei „besonders mißlich, weil dort, wenn überhaupt, Hinweise über Verhandlungen mit Südafrika über Vertragsbedingungen oder Weiterführung des Geschäfts vorhanden sein können“, merkt der Untersuchungsbeamte lakonisch an. Er stellt der Oberfinanzdirektion Kiel ein denkbar schlechtes Urteil für die von ihnen geleiteten Untersuchungen aus. So sei man „Ungereimtheiten bei der Prüfung teilweise nicht nachgegangen“, andere würden „nicht einmal im Prüfungsbericht erscheinen“.
Staatsanwaltschaft kommt Jahre zu spät
Welchen Umfang die Lieferungen an Süfafrika tatsächlich hatten, ermittelt mit mehrjähriger Verspätung nun erst die Staatsanwaltschaft Kiel. Die hat das Verfahren gegen die staatseigenen Waffenschieber wieder aufgenommen, nachdem die UN Ende vergangenen Jahres die Bundesrepublik für den U-Boot -Export verurteilt hat. Die für ein Strafverfahren notwendige Schädigung des Ansehens der Bundesrepubklik Deutschland schien der Staatsanwaltschaft damit endgültig gegeben, obwohl Außenminister Genscher gegenüber der Strafverfolgungsbehörde insgesamt fünfmal einen solche Schaden verneint hatte. Erstmalig wurden vor wenigen Tagen in einer zweiten Durchsuchungsaktion auch die privaten Wohnsitze der verantwortlichen Manager von HDW und der IKL gefilzt. Die teilweise aus Geheimverstecken zu Tage geförderten Akten werden von der Kieler Staatsanwaltschaft intern als „entscheidender Durchbruch“ gewertet. Eine Anklageerhebung erscheint nun als fast sicher; selbst den Nachweis, daß die Unterlagen komplett an Südafrika geliefert wurden, sei möglich, heißt es. Kommt es zum Prozeß gegen die Manager, dann kommen auch die Bundesminister Stoltenberg, Genscher und Kanzler Kohl ins Schwitzen. Denn der Verteidiger der Manager hat bereits im Sommer 1987 darauf verwiesen, sein Mandant habe „zwar ohne formelle Genehmigung, nicht aber ohne Kenntnis offizieller Stellen gehandelt (...) und sich erforderlichenfalls noch erheblich besser als bisher verteidigen könne“.
Damit ist auch der Hintergrund der bemerkenswerten Inaktivität Stoltenbergs beleuchtet. In mehreren Gesprächen hatten die HDW-Manager die Bundesregierung frühzeitig über den Deal mit Südafrika informiert. Die Bundesregierung hatte Unterstützung signalisiert und - in Kenntnis der eigentlich notwendigen Ausfuhrgenehmigung - Straffreiheit zugesichert, falls die Sache doch ruchbar werden sollte.
Welche Interessen der eingeweihte Finanzminister Stoltenberg verfolgte, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des HDW-Mutterkonzerns Salzgitter war, war dem ministeriellen Gutachter freilich nicht bekannt. Die nun bekanntgewordenen vertraulichen Unterlagen offenbaren deshalb unfreiwillig, welche Anstrengungen unternommen wurden, die Ermittlungen abzubiegen. Diese Ermittlungen waren überhaupt nur unfreiwillig in Gang gekommen, nachdem sich HDW und IKL im Sommer 1985 überraschenderweise selber wegen des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz angezeigt hatten - wohl auch mit der trickreichen Überlegung, die von der Bundesregierung versprochene Rückendeckung auf diese Weise zu erzwingen. Übergeben wurden die Ermittlungen der Oberfinanzdirektion Kiel - direkt unterstellt dem Bundesfinanzministerium und geleitet von dem alten Stoltenberg-Freund Hansen. Der ermittelte planmäßig wegen Ordnungswidrigkeit und wollte ein formelles Bußgeld von 50.000 Mark verhängen - lachhaft angesichts der von Südafrika überwiesenen 42 Millionen Mark für die Baupläne. Dennoch protestierten die Firmen-Manager: es geht Ihnen nicht ums Geld, es geht um Freispruch und damit ministerielle Rückendeckung.
Kontrolleur spielt nicht mit
Der Beamte des Bonner Finanzministeriums, der sich - wie er im Bericht anmerkt - zuvor niemals mit dem Fall beschäftigt hat, wird im Sommer 1987 offenbar mit dem Ziel nach Kiel geschickt, plausible Einstellungsgründe zu finden. Dieses Ziel aber erreichen Stoltenberg und sein Staatssekretär Tietmeyer nicht; der Beamte ist vielmehr entsetzt über den vorgefundenen Sumpf. Ermittlungen, so notiert er, „sind nicht ergiebig gewesen, weil entweder das Können fehlte oder/und an die Sache mit einer bestimmten Einstellung herangegangen wurde“. „Verwunderung“ wird über die Anmerkung des OFD-Chefs Hansen geäußert, daß Staatssekretär Tietmeyer die HDW vor Aufnahme der Ermittlungen und möglicher Durchsuchung warnte. Damit seien „Fahndungsmaßnahmen sehr gefährdet, weil dann evtl. belastendes Material rechtzeitig beseitigt werden kann“, betont der Bonner Untersuchungsbeamte fast naiv.
„Vollkommen unglaubwürdig und wenig schlüssig“ werden im Bericht an anderer Stelle die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen der Oberfinanzdirektion genannt, was den angeblichen Abbruch des Geschäfts mit Südafrika angeht. Vielmehr erhärtet sich der Verdacht, das Geschäft sei auch nach der reuevollen Selbstanzeige unverdrossen und wie geplant fortgesetzt worden. Der Bonner Ministerialbeamte weist auf ein Treffen der Südafrikaner mit ihren deutschen Geschäftspartnern Anfang 1986 in Paris hin. Dieses Treffen war bereits im Vertrag vereinbart worden für den Fall, daß es Schwierigkeiten mit der Abwicklung gibt. Ziel: „alternative Wege“ zu finden, um „Geist und Absicht dieser Vereinbarung Wirksamkeit zu verleihen“. Dieses Treffen in Paris nennt der Untersuchungsbeamte „Kernpunkt und Ansatzpunkt für weitere Aufklärung“ - die OFD aber untersuchte diese Spur nicht einmal. Sie gab sich zufrieden mit der Auskunft der U-Boot-Bauer, man habe dort über die Beendigung des Geschäfts gesprochen - allerdings ohne eine Rückzahlung der gezahlten 42 Mio. zu erörtern. Das mag dem Beamten nicht einleuchten, zumal der HDW-Vorstand und die OFD immer behauptet haben, die unvollständigen Unterlagen seien für Südafrika „quasi wertlos“. „Dafür zahlt niemand weit über 40 Millionen Mark und sagt dann, behalte die man, auch, wenn bis jetzt alles wertlos war“, räsoniert der Beamte mit einem Schuß Empörung. Für ihn „liegt der Verdacht nahe“, daß IKL und HDW den Südafrikanern nach der Lieferung der Zeichnungen auch beim Bau der U-Boote helfe - unter anderen durch den HDW-Fertigungsleiter Rademann. „Dann wäre auch erklärbar, warum nach über zwei Jahren immer noch keinerlei Geldrückforderungen geltend gemacht worden sind“, weil Südafrika den „Vertrag als erfüllt ansieht“, folgert der Beamte.
Eine Wirkung erzielte er mit seinem Bericht allerdings nicht. Im Bundesfinanzministerium verschwand das Dokument gleich im Panzerschrank, der Straatsanwaltschaft liegt es bis heute nicht vor. Stattdessen wurde das Verfahren von der Oberfinanzdirektion Kiel wie geplant zu den Akten gelegt.
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