: Kaufen, Verkaufen, Ausverkaufen
■ Impressionen vom Werder-Spiel in Rostock / CDU und Rostock-Fans wollen Deutschland über alles
Aus Rostock D.Mützelburg
„Wir sind nicht gekommen'um Rostock aufzukaufen, sondern um Rostock zu helfen.“ Werder Bremens Hans-Dampf-in-allen Gassen Willi Lemke war mit seiner Aussage ganz zufrieden. Die anwesenden Rostocker, über hundert Journalisten und very important persons lächelten. Natürlich wußten sie selbst, daß mit der Fussballtruppe vom FC Hansa Rostock im Augenblick kein Geschäft zu machen ist. Das 2:6 gegen eine in jeder Beziehung überlegene Werder-Mannschaft zeigte erneut: DDR-Spieler, die in der Bundesliga das grosse Geld machen werden, sind zumindest im Norden der Republik nicht auf dem Markt.
Bei Werders Rostock Besuch am Wochenende ging es aber wohl vorrangig auch um zwei andere Märkte: den Werbe-und den Politmarkt, und die sind im kapitalistischen Westen ja wohl ähnlich strukturiert. Nicht nur 35 Tonnen lila Pause reisten mit 4.000 Fußballfans nach Rostock, auch Eduscho, Becksbier und Weser-Kurier waren im Fussballtrubel. Dafür brauchte man aber viel DDR-Mark (zwei Mark kostete Original Becks, Rostock Pils dagegen nur 0.56 Mark).
Außer den West-Waren reisten auch Bürgermeister Klaus Wedemeier, seine treueste Senatsfrau Evi Lemke-Schulte, SPD -Fraktionschef Claus Dittbrenner und jede Menge Leute aus der Jungen Union an. Die einen verkauften die neue SPD-nahe Mecklenburger Volkszeitung (MVZ), die anderen verteilten hastig gemachte Flugschriften („Nie wieder So
zialismus, Bernd Neumann hilft Rostock“). Diese Art Hilfe flog in die Gosse, die eine Mark für die MVZ half bald auch nicht weiter. Die Zeitung war bald ausverkauft.
Überhaupt: „Ausverkauf, Ausverkauf, ausverkauft.“ Kein anderes Thema war wichtiger rund ums Spiel. Natürlich - wie immer - war das Essen in Rostocks Kneipen schon um ein Uhr mittags ausverkauft. „Sie brauchen sich nicht zu setzen“, erklärt die Wirtin der Kogge, „es gibt nur noch Bier“.-„Bei uns hätten Sie
längst ausgesorgt“, schwadroniert ein Bremer Gast. „Aber nicht mit dem Kampf um Ware, mit der Suche nach Personal, mit den Arbeitsbedingungen in der Küche“. Sie schüttelt den Kopf. „Sobald das geht, kriegt den Laden jemand aus der BRD, und wir gehen rüber“.
„Ob de bleibst, ob de gehst, es ändert sich nichts.“ Die Punker waren beim Fussball, weil „lila Schiri, das ist geil“. Schokolade mochten sie nicht, und Skins und Reps, meinen sie, haben nichts zu suchen in Rostock. „Der Norden
bleibt klar“, sagen sie zu solchen Aussichten. Aber rüber gehen sie nur (noch) nicht, weil der Wehrdienst und Ersatzdienst im Westen länger ist als in der DDR und „die hier sowieso nicht mehr alle ziehn.“
Abends bei der Hanseatenfete in Rostocks Kongresshalle: Fans in ihren Vereinsschals, dunkelbekleidete Damen und Herren, Abschlussball-Prinzessinen und Disco-Queens turtelten neben sportiven Jugendlichen. Doch das gesellschaftliche Ereignis hat seinen Rahmen noch nicht gefunden. Wer seinen Parteibutton zu deutlich trägt wird angemacht. „Sport ist nicht Politik“, immer wieder, aggressiv, werden die Wahlkämpfer drauf hingewiesen. Sport als Politik, das kennen die Rostocker von der SED.
Und trotzdem wird Sport zur Politik, ein Bremer CDU-Fürst hat die Form gefunden: Deutsches Bier mit dem deutschen Liedgut.„Zieht den Bayern die Lederhose aus“, das ist ein Anfang, den sowohl Hansa-Fans als auch die Anzüge aus der CDU mitsingen. „Wir scheißen auf die DDR“, das klingt gemeinsam machtvoll. Und schliesslich „Deutschland, Deutschland über alles“. Die Grünbeschalten singen längst mit. Ich starte schnell nach Bremen zurück. Wahrscheinlich werden wir bald viele solcher Rostocker wiedersehen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen