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SPD sucht letzten Regierungschef der DDR

Die Wahl des Parteichefs und Spitzenkandidaten für die Volkskammerwahl steht im Zentrum des ersten SPD-Parteitags in Leipzig / Die Wahl zwischen Markus Meckel und Ibrahim Böhme ist keine Richtungsentscheidung / Lafontaines erster Wahlkampfauftritt in der DDR  ■  Von Matthias Geis

Für den ersten Parteitag der Ost-SPD in Leipzig ist eine Personalentscheidung schon lange beschlossene Sache: Die Wahl Willy Brandts zum Ehrenvorsitzenden der kleinen DDR -Schwester. Sie wird - auch das ist von den Parteitagsstrategen fest eingeplant - der theatralische Höhepunkt der viertägigen Veranstaltung, die heute nachmittag in der AGRA-Halle im Leipziger Vorort Markkleefeld beginnt. Die andere, für die Zukunft der SPD bedeutendere Personalsache ist noch immer offen: die Wahl des Vorsitzenden und des Spitzenkandidaten für die Volkskammerwahl, der - allen Prognosen zufolge - auch das Amt des wohl letzten Regierungschefs der DDR bekleiden wird.

Neben den Spitzenämtern muß der Parteitag den gesamten Vorstand neu besetzen. Der amtierende geht noch auf das Gründungstreffen der Partei am 7. Oktober letzten Jahres in Schwante zurück und wurde von der Basis nie bestätigt. Der durchschlagende Erfolg der sozialdemokratischen Interessengemeinschaft von Schwante, die heute unter dem Namen SPD 100.000 Mitglieder stark ist, sichert den GründerInnen zwar ihren Platz in der Parteihistorie, doch nicht unbedingt im neu zu wählenden Vorstand. Denn der alte Führungszirkel, der unter den Bedingungen der Illegalität noch von der Realisierung eines demokratischen Sozialismus in der DDR träumte, repräsentiert trotz seines pragmatischen Reaktionsvermögens auf die Trendwende der letzten Monate kaum mehr das politische Spektrum der Gesamtpartei. Verschiebungen der Mehrheitsverhältnisse bei den Vorstandswahlen gelten als ausgemacht.

Meckel contra Böhme

Auch wenn in den Bezirken noch von einem Phönix aus der Asche geträumt wird, der am Ende die beiden Gründungsmitglieder Ibrahim Böhme und Markus Meckel überflügeln könnte - der unbekannte Dritte im Rennen um die Spitzenposition ist nicht in Sicht. Daß Böhme und Meckel, obwohl an der Parteibasis nicht unumstritten, die einzigen ernstzunehmenden Kandidaten sind, macht deutlich, wie dünn die Personaldecke der gerade vier Monate alten Partei bislang noch ist. Die neben Böhme und Meckel wenigen exponierten Vorstandsmitglieder kommen für die Spitzenämter nicht in Frage. Der nominelle, derzeitige Parteichef Stefan Hilsberg ist zu jung, sein Auftreten zu „alternativ“ für die - vier Monate nach der Revolution - schon saturierte Parteibasis. Gründungsmitglied Martin Gutzeit hat sich eher durch ungelenkes Agieren am Runden Tisch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Steffen Reiches in letzter Zeit eher verblaßtes Renommee rührt von dem Zufall, daß er sich gerade in Bonn aufhielt, als die West-SPD sich nach anfänglichen Berührungsängsten entschloß, die Ost-Gründung zum Partner zu küren.

Daß die Wahl zwischen Meckel und Böhme keine Richtungsentscheidung ist, macht die Prognose über den Ausgang des Rennens unsicher. Beide werden dem „linken“ Flügel zugerechnet, was die eher mäßige Akzeptanz an der Parteibasis erklärt. Doch für die künftige Orientierung der Partei ist die politische Herkunft der Spitzenfiguren ohnehin kaum ausschlaggebend. Sicher ist nur, daß der programmatische Trend der letzten Monate vom Druck der Basis bestimmt wird: das mittlerweile pathetische Bekenntnis zur staatlichen Einheit; die Akzentverschiebung von der anfänglich favorisierten „Mischwirtschaft“ zu einem marktwirtschaftlichen Programm, von dem die Westgenossen hinter vorgehaltener Hand vermuten, das sei im Westen nie durchsetzbar gewesen.

Kaum inhaltliche Unterschiede

Programmatische Differenzen zwischen den beiden Kandidaten sind nicht zu erkennen. Böhme, der trotz des gegenläufigen Trends der Gesamtpartei immer wieder auf die Traditionslinie der DDR-Opposition der 80er Jahre und den Aufbruch von unten verweist, gilt deutlicher als Meckel als integrierende Kraft ins linke Spektrum. Trotz der generellen Enttäuschung über eine SPD, die die Herbstrevolution zunehmend erfolgreich in Parteipolitik kanalisiert, können sich exponierte Vertreter der Bürgerbewegungen wie Konrad Weiß eine Regierungsbeteiligung unter Böhme durchaus vorstellen. Die Wertschätzung ist beidseitig. Auch Böhmes Wunschkoalition liegt in dieser Richtung. Meckel - taktisch geschickter als Böhme - gehen auch pragmatische Entscheidungen besser von der Hand. Er wäre, wenn die „nationale Aufgabe“ es erfordert, auch als Regierungschef einer großen Koalition denkbar. Zudem hat er - außer Vogel, Bahr und dem in jüngster Zeit wieder unentschiedenen Brandt - die Unterstützung aus der Bundes-SPD. Für den Fall einer nationalen Vereinigungskoalition in Bonn scheint er der fungiblere Kandidat für die anstehenden Einheitsverhandlungen. Böhme ist da schwerer auszurechnen. Auch gehen Meckel die marktwirtschaftlichen Floskeln verteilt könne nur werden, was vorher erwirtschaftet wurde merklich glatter über die Lippen als seinem Konkurrenten.

Ein Splitting der beiden Ämter - Vorsitz und Spitzenkandidatur -, mit dem das Entscheidungsdilemma entschärft werden könnte, ist nicht nur wegen der konkurrenzbedingten Entfremdung der beiden Bewerber unwahrscheinlich. Auch verträgt die ohnehin prekäre Rolle des zukünftigen Verhandlungsführers mit Bonn nur schwer konkurrierende Einlagen aus der Partei.

Die Personalempfehlung an den Parteitag soll vorher hinter verschlossenen Türen im Vorstand ausgehandelt werden. Eine Kampfkandidatur schließen beide Bewerber aus. Möglicherweise fällt die Entscheidung darüber, wer von beiden zuerst zurückzieht. Denn für den Wahlendspurt setzt die Partei auf Geschlossenheit und den schon obligaten Identitätstransfer der Westgenossen. Für den Parteitag angekündigt haben sich Brandt, Vogel, Momper, Gansel und Lafontaine. Wie sich der West-Spitzenkandidat in den DDR-Wahlkampf einklinkt gilt als spannender Nebenaspekt der Marathonveranstaltung.

Neun Stunden Programm

Der erste Parteitag der DDR-SPD ist Wahl- und Programmparteitag zugleich. Der Diskussion des 36seitigen Grundsatzprogramms, für die neun Stunden anberaumt wurden, wird die Verquickung mit dem Wahlkampf kaum bekommen. Schon auf der ersten Landesdelegiertenkonferenz Ende Januar in Berlin konzentrierte sich das plakative Hin und Her auf einige symbolträchtige Themen, die Einheit, den Parteinamen, die Sozialismustradition. Letztlich wurden alle konfliktträchtigen Aussagen in die entsprechenden Kommissionen zurückverwiesen. Die Antragskommission erwies sich - in sozialdemokratischer Manier - als fungibler Filter des Vorstands, um allzu populistische Anträge abzubügeln.

Dennoch wird es auch in Leipzig wieder konfliktträchtige Anträge geben. Die Frauen wollen mit der Quotenforderung trotz gegenläufiger Mehrheitsmeinung nicht klein beigeben. Vor allem aus der Provinz droht erneut die Forderung, den Begriff „demokratischer Sozialismus“ aus dem zu verabschiedenden Statut zu streichen. Zudem ist die Regelung, die Mitgliedschaft ehemaliger SEDler in der Partei dürfe maximal 30 Prozent betragen, umstritten. Vielen gilt sie als zu hoch und kaum wählerwirksam.

Zudem dürfte dem Parteitag, nach der einheitseuphorischen Trendwende auch die Diskussion um die sozialen Folgekosten ins Haus stehen. Der SPD-Ruf nach Währungsunion „sofort“ hat die sozialen Ängste in der Bevölkerung beflügelt. Gespannt sein darf man dabei auf die als „Regierungsprogramm“ angekündigte Wahlplattform, Sonntag, 9 Uhr - Einführung: Ibrahim Böhme.

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