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Stilvoll gemütlich

■ Was heißt schon schönes Wohnen? Selbsternannte Geschmackspäpste möchten es gern vorschreiben, aber letztendlich ist die persönliche Note ausschlaggebend.

Von

MARIANNE ARNDT

as verbindet Ikea-Kiefernholzregale mit altdeutschen Wohnzimmerschränken und diese wiederum mit italienischen Designermöbeln? Es gibt Menschen, die sie schön finden, sie entsprechen ihren jeweiligen ästhetischen Vorstellungen. Aber es gibt auch eine andere Ästhetik, eine inoffizielle, die nicht von professionellen Designern definiert ist. Eine Alltagsästhetik also, die gemeinhin als Geschmack bezeichnet wird und weit weniger individuell ist, als es den Anschein hat. Denn es gibt Regeln und Normen, die definieren, was schön ist und was nicht. Das ästhetische Empfinden, Stil und Geschmack, sind aber auch geprägt von der Person, die Schönheit beurteilt. Alter, Gesinnung, Herkunft und vieles mehr mögen Faktoren sein, die den Geschmack beeinflussen, über den sich ja bekanntlich streiten läßt.

Was ist nun schön? Sind es die liebevollen Arrangements im heimeligen Ikea-Zimmer, gehalten in Braun-Beige, wohlig und warm? Oder ist es vielleicht die kalte Pracht postmoderner Räume, die den Blick nicht durch Nebensächlichkeiten gefangennimmt, sondern ihn in ihrer Weite und Weiße sich verlieren läßt? Nicht zu vergessen auch die Ausprägungen altdeutscher Gemütlichkeit: Der Raum bestimmt durch einen riesigen, imposant furnierten Schrank, dessen Funktionalität meist unklar bleibt (Wo sonst sollte das gute Geschirr für sonntags aufbewahrt werden?), kombiniert mit den unvermeidlichen Polstermöbeln, massig, manchmal bunt, die den Couchtisch mit Marmorplatte umlagern. Rautentapete, Blümchenvorhänge und auf Echt-Perser getrimmte Teppiche komplettieren das Bild. All das ist schön, für den, der es sich so arrangiert hat.

Dem Lehrer um die 40 gefällt die unprätentiöse Naivität eines Plastiksparschweins. Eine Bankangestellte empfindet alte Möbel als schmuddelig und verstaubt. Einen Therapeuten ekelt es vor schweren Ledersesseln, die ihm „wie Schweine im Wohnzimmer“ erscheinen. Und die 50jährige Angestellte wiederum schwört auf Schrankwände aus Mahagoni.

Es wird gern vergessen, daß sich vom Studenten bis zur Architektin jeder sein Zimmer nach seinem Geschmack einrichtet. Es gibt in gewissen Kreisen eine Arroganz, die glaubt, die Stil- und Geschmacksfrage für sich und alle anderen gelöst zu haben. Modern muß es sein, aktuell und aufgeklärt, ansonsten ist es geschmacklos, stillos oder einfach häßlich. Mit solch lehrmeisterhafter Gesinnung sind schon in den 20er Jahren Architekten und Designer mit ihren schönen, funktionalen Häusern und Möbeln für die Arbeiter gescheitert: um das Proletariat auf den richtigen Weg zu bringen, weg vom falschen Pomp bürgerlicher Ideologien, bauten sie ihnen neue Häuser und Möbel. Die Arbeiter jedoch, unbekehrbar, hielten mit ihrem Plüsch, den überdimensionalen Möbeln und sonstigen Accessoires bürgerlicher Gemütlichkeit Einzug in die modernen Bauten. Die entsprechenden Möbel wurden verschmäht. Es hätte den Architekten und Designern damals und heute zu denken geben sollen. Hat es aber nicht. Immer noch wird der Geschmack des Architekten als Maßstab dessen gesehen, wie gebaut wird. Ob sich die zukünftigen Bewohner dann wohlfühlen, bleibt deren Angelegenheit.

er kleine Abstecher sei mir verziehen, denn jene Arroganz ist sehr präsent. Seltsamerweise sind es gerade die „aufgeklärten“ Menschen, die meinen, den Geschmack gepachtet zu haben, wie der Kommentar einer Rentnerin zeigt: „Die meisten Leute haben sowieso einen Kuhgeschmack.“ Wie im tiefsten Sinne konservativ eine solche Geisteshaltung im Grunde ist, wird kaum reflektiert. Unbekannten Praktiken der Gestaltung, insbesondere den kleinbürgerlichen Ausdrucksformen wird das kreative Moment oft völlig abgesprochen. Ob man nun den Gelsenkirchener Barock verteufelt, das Wohn-Schlaf-Koch-Klosett bedauert oder den Konsummöbel-Stil belächelt - ernstgenommen wird es jedenfalls nicht. Auch wenn Plüschmöbel und Rautentapeten für grauenhaft befunden werden, sollte man doch akzeptieren, daß es für manche Menschen nichts Schöneres gibt.

Und letzten Endes zählt ja auch nicht das ästhetisch perfekte Arrangement, sondern das „Sich-Wohlfühlen-Können“, die Gemütlichkeit. Ob es sich hier nun um die schwedische Neogemütlichkeit der 70er und 80er Jahre handelt, aufgelockert durch Omas alte Spitzentischdecke, oder um die weiße Ledergarnitur, der die Kühle durch einen nachlässig drapierten Blumenstrauß auf dem zierlichen Chromtischchen genommen wird, ist dabei völlig gleichgültig. Gemütlichkeit

-was immer das auch ist - ist das einigende Moment für alle.

Hier sei noch mal jener Therapeut zitiert: „Ich fand es immer bei Leuten gemütlich, wo es etwas schmuddelig war. Bei uns war immer alles so aufgeräumt und salonhaft.“ Es ist ein sehr deutsches Phänomen, ohne Frage. Ein synonymes Wort gibt es in anderen Sprachen nicht. Gemütlich ist es dort, wo das Gemüt eine Heimat findet, könnte eine poetische Erklärung sein. Pragmatischer ist es, Gemütlichkeit als die Beziehung des Bewohners zum Raum und zu den Dingen zu betrachten. Wohnen ist ja nicht einfach nur: Dinge in einen Raum stellen. Das Wie und Wo ist wesentlich, und bis auf wenige Ausnahmen wird wohl jeder seinen Wohnraum irgendwie gestalten. Die Gegenstände werden ausgesucht, gekauft, geerbt, gefunden, gepflegt, vernachlässigt oder ignoriert. Die Beziehung zwischen Besitzer und Ding mag liebevoll oder lieblos sein, sie ist auf jeden Fall existent. Und Geschichten sind es, was den Besitzer mit den Gegenständen verbindet. Sie sind immer einzigartig, nicht übertrag- oder wiederholbar. Die Erinnerungen bekommen dadurch einen Halt und lassen das Zimmer zu dem werden, was vielleicht auch Heimat ist. Eine 23jährige Krankenschwester, befragt über ihre Wohnung, sagte zu mir: „Die Sachen auf dem Regal, die Figur, die Kugel, das hat alles seine Geschichte, da könnte ich mich von nichts trennen.“ Und dadurch wird es dann gemütlich?!

in weiterer Aspekt ist: Wohnen hinterläßt Spuren, meistens jedenfalls. Die putzwütige Hausfrau, die hinter jedem Gast sofort wieder die Sofakissen aufschüttelt und mit geübtem Handkantenschlag in die richtige Position bringt, Sinnbild des Zwanghaften, eher Witzfigur als Realität, ist die Gemütlichkeitsmörderin par excellence. (Es gibt sie wirklich, ich habe sie erlebt.)

Ein vergessenes Kleidungsstück, der volle Aschenbecher oder die abgefallenen welken Blumenblätter sind Zeichen des Lebens, das sich im Raum abspielt. Den allzu geordneten Zimmern fehlt eben jenes Stückchen Persönlichkeit, das der Bewohner im Raum ausleben muß, um sich von der Perfektion und Kühle des in Möbelhäusern und Zeitschriften vorgeführten Stils zu distanzieren.

Kreative Eigenleistung ist unbedingtes Muß. Neben der Ästhetik und der Gemütlichkeit gibt es also noch ein drittes Kriterium für schönes Wohnen: die Darstellung der eigenen Individualität. Wohnen ist Selbstdarstellung. Der Wohnraum ist die gestaltete Bühne, auf der man und frau die ganz privaten, persönlichen Auftritte inszeniert. „Sage mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist.“

Zudem gibt es Unterschiede in der Betrachtung männlichen und weiblichen Wohnens. Den chauvinistischen Höhepunkt lieferte hier ein Student, jung, dynamisch und aufgeschlossen, der mir erklärte, daß es für Frauen schwer bis unmöglich sei, ihre Räume sachlich und gut zu gestalten. Also: Frauen wohnen verspielt, verrüscht und plüschig; Männer wohnen sachlich nüchtern und klar. Klischees: Die Witwe wohnt traurig, der Geschäftsmann sachlich und der Student improvisiert. Jeder nach seiner Facon, wobei es sich hier eher um ein Müssen als um ein Dürfen handelt. Man hat sich und seine Bedürfnisse authentisch und glaubhaft darzustellen. Der Zeitgeist diktiert die Regeln. Also: Wohnen Sie bitte jetzt!

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