: „Ein Atomkraftwerk ist kein Kühlschrank“
Großer Nachholbedarf nach zwanzig Jahren Geheimhaltung: Die DDR streitet über Energie und Atom / Internationaler Energiekongreß des Neuen Forums ging am Sonntag in der Ostberliner Charite zu Ende / Die einschlägige Zunft scheute das Licht der Öffentlichkeit ■ Aus Ost-Berlin Manfred Kriener
Der Dresdner Philosoph und PDS-Politiker Hegewald drückte aus, was in diesen Wochen alle spüren: „Die Revolution hat die Kernenergie erreicht“, die Energiekombinate, Atomforscher und Ingenieure müßten mit ihren morschen Meilern endlich heraus aus der jahrzehntelangen „absoluten Geheimhaltung“. Für Hegewald war der Auftritt der Greifswalder Atomwerker, die sich vor dem Runden Tisch verantworten mußten, eine „historische Stunde“. Seitdem holt die DDR das nach, was in der westlichen Welt die Energiediskussion der letzten 20 Jahre bestimmt hat: Sie streitet übers Atom.
Beim dreitägigen Internationalen Energiekongreß des Neuen Forums, der bisher größten offenen energiepolitischen Diskussion in der Geschichte der DDR, fehlte für diesen Streit allerdings der Widersacher. Zur Podiumsdiskussion am Samstag abend hatten sich nur der Rossendorfer Atomforscher Flach und einige Ingenieure in die Charite getraut. „Wo bleiben denn die vielen guten Argumente für die Kernenergie?“ fragte der Hallenser Atomgegner Melzer in die Runde. Für ihn haben die Atomwissenschaftler der DDR nach jahrelangem Schweigen eine „Bringschuld der Information“, der sie sich gefälligst stellen müßten.
Schließlich rang sich im Publikum ein Kraftwerksingenieur zu einem Geständnis durch. „Ich baue seit 30 Jahren Kernkraftwerke“, und „ich habe diese Kraftwerke mit Leidenschaft gebaut“, rief er bekennend in den Hörsaal. An dem Kongreß allerdings hatte der Mann wenig Freude. Hier sei zu häufig von der (Energie)„Mafia“ die Rede, und es werde im „'Spiegel'-Stil“ diskutiert. Außerdem werde den Experten viel unterstellt und wenig geglaubt. Der Kraftwerker wollte weg von der häßlichen Konfrontation, denn „auch wir versuchen uns zu erneuern“, und „auch wir sind doch sicherheitstechnisch mit unseren Kraftwerken nicht zufrieden“. Die Gegenfrage kam viel zu leise: „Warum schaltet ihr sie dann nicht ab, ein AKW ist doch schließlich kein Kühlschrank“.
Eine kritische Abrechnung mit der eigenen Zunft servierte der Ostberliner Wärmetechniker Mattke vom Kombinat „Kraftwerkanlagenbau“. Es gebe eine Epidemie derjenigen SED -Genossen in den Kraftwerken, die eigentlich schon immer das Richtige gewollt hätten. Mattke machte in seinem Berufsstand „grenzenlosen Opportunismus“ aus. Für die Zukunft sei nichts Gutes zu erwarten, denn diese Leute seien die geborenen Partner des Monopolkapitals und „schlimmer als die eigentlichen Kapitalisten“.
Das sich jetzt offenbarende Desaster von Greifswald ist für Mattke logische Konsequenz einer Energiepolitik, die vor allem an der „Unfehlbarkeit der SU“ orientiert war. Deshalb habe man deren AKWs gebaut, ohne jemals hart mit den Russen zu verhandeln, ohne günstige Preise und sicherheitstechnische Notwendigkeiten zu fordern. „Da war der Kunde nicht König, da mußte er nehmen, was er kriegen konnte.“ Eine wirksame Atomaufsicht habe es in der DDR nie gegeben. Das staatliche Amt für Strahlenschutz (SAAS) mit dem „Leisetreter und Schwiegersohn von Mielke an der Spitze“ sei zu keinem Zeitpunkt tätig geworden. Erst jetzt habe es als krönenden Abschluß des Lebenswerks im Chor mit bundesdeutschen Behörden die Teilstillegung von Greifswald verlangt.
Der Rossendorfer Atomphysiker G.Flach verlangte vor allem eines: wissenschaftliche Analysen. Bis heute gebe es keine objektive Bestandsaufnahme der Energiesituation der DDR. Die alte SED habe nicht auf wissenschaftlicher Basis gehandelt, sondern nur das Dogma der Braunkohle um jeden Preis exekutiert. Flachs Plädoyer für die Forschung brachte den Münchner Atomexperten Peter Kafka in Rage. „Wissenschaft ist Opium fürs Volk“, gab er zurück. Der Mensch habe längst erkannt, was gefährlich und nützlich sei, jetzt komme es darauf an, zu handeln und das bleiben zu lassen, was als gefährlich ausgemacht ist: die Atomenergie. Wenn nicht, werde sich dieses Thema von selbst erledigen - nach der nächsten Reaktorkatastrophe.
Die wartenden Atomhaie des Westens, spielten in der Charite -Diskussion kaum eine Rolle. Das Vertrauen in die Möglichkeit eines eigenen energiepolitischen Weges für die DDR ist offenbar ungebrochen. Beinahe nebenbei warnte ein Magdeburger Atomgegner, sich von Töpfer und der westdeutschen Atomlobby über den Tisch ziehen zu lassen, bevor die Atomenergie in der DDR breit diskutiert worden sei. „Dazu brauchen wir Zeit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen