: Der „Markt“ für Greenpeace-DDR ist unerschöpflich
■ Gestern stellte sich die neugegründete „Sektion DDR“ der Umweltorganisation in Ost-Berlin vor / Mitte März geht's im eigenen Büro los / An Themen herrscht ein trauriger Überfluß: AKWs, Müll, Abwasser, Pflanzenschutzmittel... / Die „Beluga“ soll die Elbe erforschen
Die DDR soll nicht länger zur Weltspitze gehören. So jedenfalls will es die neugegründete „Sektion DDR“ von Greenpeace International. „Man hat uns jahrelang gesagt, daß wir in vielen Bereichen eine Spitzenposition in der Welt einnähmen. Aber die DDR liegt zum Beispiel auch in der Energieverschwendung und der Umweltverschmutzung an der Weltspitze“, markierte gestern Dr. Christof Tannert einen der Bereiche, in denen sich die DDR-Greenpeace-Organisation künftig engagieren will.
Der Leipziger Biochemiker, Christ, Marxist und Stasi -Verfolgter, ist einer von fünf Umweltschützern, die nach Kontakten mit Hamburger Greenpeacern eine eigene Ost -Organisation gründeten und sich gestern der Öffentlichkeit vorstellten.
Die 35jährige Mathematikerin Heidi Rottenbach verließ nach Konflikten mit der SED vor zwei Jahren die Partei und engagierte sich danach verstärkt im Umweltschutz und war maßgeblich am Aufbau der Grünen Liga beteiligt. Neben der Pressearbeit will sie die Arbeit lokaler Gruppen koordinieren. Jörg Naumann (31), Seemann und Atomenergietechniker, will sich unter anderem mit den Problemen der Wasserverschmutzung und Chlorchemie beschäftigen. Peter Grützmacher (46) ist fast schon ein „alter“ Greenpeacer. Er unterstützt die Organisation seit 1983 und war vor vier Jahren dabei, als Umweltschützer aus Flüssen destilliertes Kalisalz vor das Ostberliner Umweltministerium kippten. Künftig will er auch die Organisation und Recherchen für Aktionen mit übernehmen. Der gelernte Landschaftsgärtner Mathias Voigt (27) gehörte zu den Mitbegründern der Ostberliner Umweltbibliothek in der Zionskirche und ist seit Jahren in kirchlichen Umweltgruppen engagiert. Er will sich nun vor allem um den internationalen Müllhandel kümmern.
Ihr Büro in der Hannoverschen Straße 1 wird erst Mitte März für den Publikumsverkehr geöffnet, doch etwas Licht ließen die Umweltschützer schon auf ihre Vorhaben fallen: Das Greenpeace-Schiff „Beluga“ wird im Frühjahr die Elbe hinauffahren, um zu erforschen, welche Gifte wo in den Fluß gelangen.
In Rostock und Magdeburg gebe es bereits kleine Gruppen, die sich aktiv für die Umwelt einsetzen möchten, und dem heiklen Thema Umweltschutz und Angst vor Arbeitsplatzverlust widmen sich Basisgruppen, die Möglichkeiten für neue Arbeitsplätze überdenken wollen.
Konkrete Ziele für die DDR sind zum Beispiel die drastische Reduzierung der industriellen Abwassereinleitungen, das Abschalten des Atomkraftwerkes Greifswald, Baustopp für das AKW in Stendal, die Verringerung der Massentierhaltung, die Minimierung des Pflanzenschutzmittelgebrauchs und das Anschließen aller Haushalte an moderne kommunale Kläranlagen. Laut Greenpeace wurden noch 1988 nur knapp 58 Prozent der Haushalte überhaupt über Kläranlagen entsorgt.
Vor der Zukunft ist den Umweltschützern nicht bange. Auch im Falle einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten werden die Ostberliner ihre Arbeit fortsetzen und dabei weiter mit den Hamburger Kollegen kooperieren. Sehr optimistisch beurteilt Heidi Rottenbach das Interesse in der DDR-Bevölkerung: „Wir haben in den letzten Monaten gespürt, daß hier Hunderttausende von Menschen auf Greenpeace hoffen.“
Karsten Peters
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