: Wer darf Geheimnisse verraten?
Bundesminister Gerhard Stoltenberg ist nun auch in den Verdacht geraten, im U-Boot-Geschäft Ermittlungen wegen Geheimnisverrats verhindert zu haben / Diesbezüglichen Hinweisen aus dem eigenen Amt wurde auch in diesem Fall nicht nachgegangen ■ Von Gerd Nowakowski
Wenn zwei das gleiche tun, ist das noch längst nicht dasselbe: An dieser schlichten deutschen Weisheit hat gegenwärtig ein Peruaner zu knabbern, der seit Herbst 1989 in U-Haft sitzt. Das Oberlandesgericht Schleswig hat jetzt Anklage wegen des Verdachts „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ gegen den ehemaligen Marineangehörigen erhoben. Unteroffizier Chunga hatte 1972 als Mitglied einer Inspektionstruppe den Bau von zwei U-Booten für das südamerikanische Land überwacht, die bei der Howaldtswerke -Deutsche Werft (HDW) gebaut wurden. Peru wollte die Geheimhaltung sicherstellen - und HDW hatte das vertraglich zugesagt. Unteroffizier Chunga wollte aber besonders clever sein: Nach seiner Ausmusterung blieb er in der Bundesrepublik und verscheuerte angeblich die auf Mikrofilm aufgenommenen Baupläne 1982 an den sowjetischen Geheimdienst.
Der Fall hat brisante Parallelen. Auch Indien hatte ein deutliches Geheimhaltungsinteresse, als es Anfang der achtziger Jahre bei der staatseigenen HDW U-Boote orderte. Die Weitergabe der Pläne sollte durch ein Geheimschutzabkommen ausgeschlossen werden. Tatsächlich reichte HDW 1985 jedoch exakt diese Baupläne im Rahmen des illegalen U-Boot-Geschäfts weiter - und zwar an Südafrika, das sich im Indischen Ozean aber auch als strategischer Gegenspieler von Indien versteht. HDW verstieß mit diesem Handel nicht nur wissentlich gegen das völkerrechtlich bindende UN-Waffenembargo gegen das Rassistenregime, sondern auch gegen das Geheimschutzabkommen. Zweifel daran, welche Bootspläne Südafrika haben wollte, ließ man am Kap erst gar nicht aufkommen: Im Vertrag wird ausdrücklich auf das „z.Zt. bei HDW gebaute U-Boot“ hingewiesen.
Seit die Kieler Staatsanwaltschaft Anfang dieses Jahres bei zwei Durchsuchungen jede Menge Akten - teils aus Geheimverstecken - beschlagnahmte, drohen nun der Bundesregierung und HDW auch in diesem Tatkomplex Unheil. Bei den Durchsuchungen - teilweise am Rand von Tätlichkeiten, wie die Fahnder erzählen - scheint der Staatsanwaltschaft genügend Material in die Hände gefallen zu sein, um auch den Vorwurf des Geheimnisverrats zu belegen. Stoltenberg gerät erneut in Verdacht, alles getan zu haben, um derartige Ermittlungen zu verhindern und HDW auch in diesem Fall den Rücken frei zu halten, nachdem bereits Ermittlungen wegen des Waffenembargoverstoßes noch bis Ende letzten Jahres verhindert werden konnten.
Der seit Beginn des Geschäfts eingeweihte Stoltenberg hat mutmaßlich auch als einer der ersten von der Verletzung des Geheimschutzabkommens gewußt. Spätestens jedoch im Sommer 1987 wurde der damalige Finanzminister durch den erst jetzt bekanntgewordenen geheimen Bericht aus seinem Bonner Ministerium auf diesen Tatbestand hingewiesen. „Für diesen Bereich ist aber nur die Staatsanwaltschaft zuständig“, betonte der Beamte und unterstrich das Wort „nur“ ausdrücklich. Tatsächlich aber geschah auch in diesem Fall zuerst nichts und dann das Gegenteil: Zwei Jahre später, im Sommer 1989, wurde unter tätiger Mithilfe Stoltenbergs der Kieler Staatswanwaltschaft ausdrücklich die für Ermittlungen notwendige Genehmigung verweigert.
Das - formal dafür zuständige Bundesverteidigungsministerium bescheinigte Anfang 1987 lapidar dem Bundesfinanzministerium, es läge gar kein Geheimnisverrat vor. Der Bonner Regierungsrat bewertet diese Stellungnahme in seinem Bericht als unseriös: „Beurteilungsmaßstab war auch hier weitgehend die Angabe der Firma, welche Unterlagen (...) nach Südafrika ausgeliefert wurden“. Und die will nur soviel Pläne übermittelt haben, daß damit kein funktionsfähiges U-Boot gebaut werden könnte, und erst recht will sie keine als geheim eingestuften Unterlagen geliefert haben. Aufklärungsinteresse bestand wohl nicht. Jedenfalls folgte Stoltenberg den Hinweisen aus seinem Amt nicht - angeblich, weil er den brisanten Geheimbericht nie gesehen habe. Der sei nur in der „zuständigen Abteilung“ „geprüft und bewertet“ worden, verteidigt sich Stoltenberg heute. Nun scheint aber die Kieler Staatsanwaltschaft nachweisen zu können, daß die Unterlagen komplett an Südafrika gingen.
Der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident setzte sich jedenfalls nachdrücklich für HDW ein. Nicht nur das Ermittlungsverfahren der weisungsabhängigen Oberfinanzdirektion Kiel endete mit Freispruch. Am 24.Mai 1989 ließ er auch bei einem Treffen der ins U-Boot-Geschäft verwickelten Ministerien klare Front gegen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wg. Geheimnisverrats machen. Beim Treffen - kurz nach der Regierungsumbildung spricht Stoltenberg pikanterweise mit zwei Stimmen. Der Vertreter seines gerade verlassenen Finanzministeriums weist darauf hin, „daß bei Erteilung einer Ermächtigung mit nachteiligen Folgen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der beiden Firmen zu rechnen ist“. Und das von Stoltenberg neu übernommene Verteidigungsministerium vertritt mit atemberaubender Dreistigkeit, „daß die mit einer Verweigerung der Ermächtigung zwangsläufig verbundene Durchbrechung des 'Legalitäts- prinzips‘ hingenommen werden könne, weil der Unrechtsgehalt (...) verhältnismäßig gering zu bewerten ist“. Die neue Stoltenberg-Behörde schiebt noch ein „Argument“ nach: Weil man in der Vergangenheit immer behauptet hatte, es seien gar keine geheimen Akten weitergereicht worden, könnte die Ermittlungsermächtigung „zu dem Eindruck führen, daß die damaligen Erklärungen unrichtig gewesen seien“. Ergebnis: Die Ermächtigung wurde verweigert.
Ungemach droht der Bundesregierung nun nicht nur von der Kieler Staatsanwaltschaft. Auch Indien, das in der Vergangenheit wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen an den im letzten Jahr gestürzten Ghandi-Clan nie protestierte, will seine Geheimschutzrechte nun verteidigen. Möglicherweise bekommt das Oberlandesgericht Schleswig bald neue Arbeit.
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