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Tina turnt wieder

■ Tina Turner - the best, Samstag, 0 Uhr 55

Oh ja, sie war gut. Anfang der Siebziger war Tina Turner zweifellos das Heißeste, was man auf einer Showbühne irgendwo auf der Welt erleben konnte. Zu Recht sprach man von „mehreren Megatonnen Energie“, mit denen sich die schwarze Rockkönigin „in einen Song stürzte“. Denn aus dem unbeschreiblichen Lärm, den die Gruppe in einer gnadenlos fetzigen Mischung aus Soul, Gospel und purem Rhythm and Blues in die Menge peitschte, konnte nur diese Jerichostimme herausragen und das professionell arrangierte Chaos dirigieren.

Mir ist immer ein Rätsel geblieben, wie ein Mensch so unglaublich kraftvoll und perfekt singen und sich gleichzeitig ausdauernd akrobatisch bewegen kann. Dabei waren ihre „Tanzschuhe“ so hochhackig, daß man sich unwillkürlich fragte, ob sie dafür womöglich einen Waffenschein brauchte. Die schwarze Rache für Marika Rökk.

Annie Mae Bullock, am 26.November 1939 in Brownsville, Tennessee, geboren, war wohl auch verdammt hart im Nehmen. Mit ihrem Mann Ike gelang ihr zwar schon 1960 ein erster Zufallstreffer. Doch während der nächsten neun Jahre blieb der Erfolg trotz harter Arbeit aus. Erst eine Tournee als Vorgruppe der Stones brachte ihnen den Durchbruch auch in den USA. Für Ike war es die Blüte seiner Karriere, Tina fing erst an.

Sie kam 1981 wieder, steigerte sich stetig und hatte mit Private Dancer 1985 ihren bislang größten verständlichen Erfolg. Aber von da an schwand die Wirkung des magischen Afrodisiakums rapide. Doch galt sie noch immer und stärker denn je als „brünstige Löwin“ auf der Bühne, als eine, die „jeden Song packt und zu Tode stranguliert“.

Dabei war die „schaumgeborene Göttin mit dem verzückten Lächeln ewiger Wollust“, so ein Kritiker in einer gerontophilen Anwandlung noch 1987, doch nichts weiter als ein Beweis für die Allmacht der Medien. Wenn eine sehr rüstige ältere Dame fortwährend als explodierende Sexbombe und Stimmwunder gepriesen wird, ist sie das auch. Fertig.

Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich bin auf Tina damals voll abgefahren. Bei dem Song Nutbush city limit Anfang der Siebziger konnte ich oft nicht zu Ende tanzen, weil immer irgendwelche Leute dachten, ich sei in eine Steckdose geraten oder hätte eine Überdosis Speed erwischt.

Aber die Zeiten ändern sich, und die Kehle der einstmals brünstigen Löwin produzierten schon auf ihrer letzten Tournee mehr die gebrochenen Schreie eines waidwunden grauen Panthers. Allen Lobeshymnen der Medien (einschl. der taz) zum Trotz waren Schwung und Kraft längst dahin, und übrig blieb das, was man eine mißhandelte Stimme nennen könnte, an der Schwelle zur schieren Heiserkeit.

Und was das Gehopse angeht; als ich Mick Jagger das letzte Mal auf der Bühne sah - er hatte ihren Stil vor Jahren schon kopiert -, wirkten seine Verrenkungen bizarr, eher abstoßend. Wie ein seniler Hagestolz auf Freiersfüßen.

Für die Fans liegt jedoch genau da das Problem. Man will seine Lieblingsstars, mit denen man großgeworden ist, in guter Erinnerung behalten. Aber diese diktatorischen Pepsi -Comebacks vermasseln einem das natürlich. Und so schleicht sich fast unmerklich Mitleid ein bei der Beobachtung der transpirierenden Seniorin auf der Bühne. Das ungute Gefühl entsteht, aufspringen und ihr zurufen zu wollen: „Nicht stürzen, Tina, Liebes!“

Doch gibt die leider sehr spät ausgestrahlte Sendung am Samstag abend Anlaß zur Hoffnung. Denn Tina wird auch übers Aufhören reden, teilt das Programmheft mit. Und wir werden Songs von ihr hören. Die dürfen dann ruhig auch etwas älter sein.

Philippe Andre

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