: Der Macho mit der Magnum
■ Clint Eastwood in dem heftig umstrittenen Actionkrimi „Dirty Harry“, Samstag, 22.05 Uhr, Sat 1
Also manchmal glaube ich wirklich, daß es so etwas wie einen Gott der Filmschaffenden gibt. Der muß wohl seine Finger im Spiel gehabt haben, als sich die Heulboje Frank Sinatra, das alte Mafia-Hätschelkind, 1971 eine Handverletzung zuzog und so eine Hauptrolle absagen mußte, der er mit Sicherheit nicht gewachsen gewesen wäre. So bekam Clint Eastwood die Titelrolle in Don Siegels Dirty Harry. Die Rolle war maßgeschneidert für Eastwood, denn der Film ist ein Großstadtwestern. Der Schauspieler hatte zwar zwischen 1958 und '64 in rund 250 Fernsehfilmen mitgewirkt, aber erst seine Rollen in der Spaghetti-Western-Trilogie von Sergio Leone (Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr, Zwei glorreiche Halunken) hatten ihn berühmt gemacht. Jetzt durfte er den Mann ohne Namen in einer modernen amerikanischen Großstadt spielen. Eastwood ist kein wirklich großer Schauspieler, aber seine betont physische Präsenz prädestiniert ihn für die Rolle des klassischen Westernhelden, des coolen, unabhängigen, ausgesprochen ichbezogenen Einzelgängers.
Clint Eastwood ist Inspektor Harry Callahan, den Spitznamen „Dirty Harry“ hat er von seinen Kollegen bekommen, „weil ich immer die Drecksarbeit machen muß“. Seine Devise ist die des Mannes ohne Namen: Töten oder Getötet-Werden, dafür schleppt er eine übergroße 44er Magnum mit sich herum. Seine Gerechtigkeit ist einfach: „Wenn ein geiles Schwein hinter einer hilflosen Frau her ist, um sie zu vergewaltigen, schieß ich sofort. Das ist meine Politik.“ Ein radikaler Feminist also? Weit gefehlt! Denn „Harry haßt alles auf der Welt. Das Leben, den Tod, Ausländer, Neger, Schwule, Kellnerinnen, Verbrecher und sich selbst“, wie ein Kollege ihn treffend beschreibt. Dieser mythische Held bekommt es mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun.
Ein offenbar geistesgestörter Mörder, der sich „Skorpion“ nennt (kreiert nach einem authentischen Killer namens Zodiac, der ganz San Francisco terrorisierte), erschießt eine Frau und fordert von der Stadt 100.000 Dollar, sonst „wird es mir als nächstes Vergnügen machen, einen katholischen Priester zu töten oder einen Nigger“.
Harry und sein Ballermann übernehmen den Fall. Es wird auch sofort klar, wie sie ihn zu lösen gedenken. Als Harry während seiner Mittagspause zufällig Zeuge eines Bankraubs wird, bekommt die 44er Arbeit: Der dreckige Harry erschießt gleichgültig zwei der Räuber, verwundet einen dritten und demoliert den Fluchtwagen, während er seelenruhig weiter an seinem Hot Dog herumkaut. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird dem Zuschauer klar, daß er es hier mit einem Spiegelbild zu tun hat. Denn Harry Callahan ist auf seiner Seite der Gesellschaft genau so ein Extrem wie der mordende Psychopath auf der Seite der Gesetzlosen. Beide wählen ihre Opfer aus genau demselben Katalog von Vorurteilen und behandeln sie mit der gleichen Verachtung. Beide Extreme sind natürlich nicht akzeptabel. Und in der Schlußszene, nachdem der Inspector den Killer erschoß, hat Harry das auch kapiert. Der angeekelte Gesetzeshüter betrachtet die Leiche und wirft seine Polizeimarke weg. Aber trotzdem bleibt der Killer am Ende des Films der Böse und der Bulle, trotz all seiner Fehler, der Held.
Don Siegels Dirty Harry gilt als einer der zwiespältigsten Filme der US-amerikanischen Filmgeschichte, denn der Film feiert einen Helden, der oft genug außerhalb des Gesetzes steht. Was bei einem Western zweifellos akzeptiert worden wäre, galt bei dieser modernen Version den meisten Kritikern als verabscheuenswürdig. Sie betrachteten den Film als Aufforderung zur Selbstjustiz, ja gar als „Wunschtraum eines Rechtsradikalen“, als einen „zutiefst amoralischen Film“. Clint Eastwood leugnete natürlich die Anschuldigungen, für ihn war der Film nur „die Geschichte eines frustierten Polizisten“. Und Regisseur Don Siegel hielt das Ganze für „eine sehr einfache Story“, die uns „daran erinnert, daß, egal wie gemein ein Mensch auch sein mag, er doch nicht in der Lage ist, im Spiegel die Wahrheit über sich selbst zu erkennen“.
Was soll's, der Film ist längst Geschichte und gilt inzwischen als stilbildend im Genre Actionkrimi. Außerdem haben wir es heute mit Leinwandhelden wie Rambo zu tun, gegen die Dirty Harry wie das Sandmännchen aussieht.
Karl Wegmannn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen