Pretorias Homeland-Politik ist gescheitert

Mit dem Militärputsch im ärmsten und repressivsten der von den Weißen Südafrikas kreierten sogenannten „unabhängigen“ Homelands, der Ciskei, wird klar: die Säulen der Apartheid-Politik wanken / Vorerst entsendet Pretoria Militär, scheint die neue Regierung aber anzuerkennen  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Südafrika hat gestern Soldaten und Polizisten in das sogenannte „unabhängige“ Reservat Ciskei geschickt, um Plünderei nach dem dortigen Militärputsch am Sonntag unter Kontrolle zu bringen. Allem Anschein nach wird Südafrika jedoch den Militärrat in der Ciskei unter Brigadegeneral Oupa Josh Gqozo anerkennen. Damit akzeptiert die südafrikanische Regierung, die Anfang 1988 einen Putsch im Homeland Bophuthatswana mit Elitetruppen verhinderte, den De -facto-Zusammenbruch der gesamten Homeland-Politik - eine der Säulen der Apartheid-Politik.

Putschführer Gqozo hat indessen eine Volksabstimmung in Aussicht gestellt, in der entschieden werden soll, ob die nach südafrikanischem Gesetz seit 1981 politisch „unabhängige“ Ciskei sich wieder an Südafrika anschließen soll. Zehntausende hatten am Sonntag und Montag die Absetzung der Regierung von „Präsident auf Lebenszeit“ Lennox Sebe mit Freudenfeiern begrüßt. Gqozo und sein vierköpfiger Militärrat gaben Korruption, Vetternwirtschaft und weitverbreitete Gewaltanwendung durch die Sebe-Regierung als Gründe für den Putsch an. Sebe befindet sich offenbar noch auf einer Handelsreise in Hongkong. Er versuchte dort, für ausländische Investitionen in der Ciskei und verstärkte Handelskontakte mit den international nicht anerkannten „Staatsgebilden“ zu werben.

„Wir suchen nach einer neuen Zukunft“, sagte Gqozo vor Zehntausenden von Anhängern in einem Stadion in Mdantsane, dem zur Ciskei gehörenden Schwarzenvorort der südafrikanischen Hafenstadt East London. Die Fahnen des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der südafrikanischen Kommunisitischen Partei hingen hinter dem Podium. Der Putschführer kündigte die Freilassung von politischen Gefangenen an.

Doch seine Anordnung an die Sicherheitskräfte, sich zurückzuhalten, wurde von Tausenden ausgenutzt, um Geschäfte und Fabriken bei Mdantsane zu plündern. Die Plünderungen hatten schon am Sonntag in den Townships rund um die Ciskei -Hauptstadt Bisho begonnen. Die Plünderer, die gestern noch immer aktiv waren, verursachten einen Schaden von vielen Millionen Rand. Einigen Berichten zufolge versuchten Mitglieder von Anti-Apartheid-Organisationen Plünderer an weiteren Aktionen zu hindern. Sowohl Ciskei-Militär als auch Pretoria-Sicherheitskräfte hatten dem Treiben zugesehen und nicht interveniert.

Der Militärputsch in Ciskei zeigt deutliche Parallelen zu einem ähnlichen Putsch in der benachbarten Transkei vor zwei Jahren. Der dortige Führer, General Bantu Holomisa, hat Kontakte zum ANC aufgenommen und ebenfalls eine Volksabstimmung über den Wiederanschluß der „unabhängigen“ Transkei an Südafrika angekündigt.

Seit der ANC Anfang Februar von Präsident Frederick de Klerk legalisiert und ANC-Führer Nelson Mandela zwei Wochen später nach 27jähriger Haft freigelassen wurde, ist es in einer Reihe der zehn Homeland-Reservate, wo die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung nach weißem Willen ihr Dasein fristen soll, zu Protesten gekommen.

In der Ciskei und in Gazankulu wurden Leute erschossen, die Nelson Mandelas Freilassung feierten. In Venda sind 18 Menschen bei Streiks und Protesten gegen die Homeland -Verwaltung ums Leben gekommen. Auch in Bophuthatswana reagierte die Verwaltung mit Repression auf Forderungen zur Wiederangliederung des Gebietes an Südafrika.

Der alte Apartheid-Traum, der die Ausbürgerung aller Schwarzen aus Südafrika in „unabhängige“ Homeland-Reservate vorsah, ist schon lange ausgeträumt. Die Gebiete, in denen der Großteil der insgesamt 28 Millionen Schwarzen Südafrikas lebt, sind überbevölkert, wirtschaftlich nicht lebensfähig und finanziell vollkommen von Südafrika abhängig. Die Bevölkerung in diesen ländlichen Ghettos ist nicht mehr bereit, korrupte, repressive Verwaltungen und den Ausschluß aus Südafrika zu akzeptieren. Die 9.000 Quadratkilometer große Ciskei, in der über 90 Prozent der Bevölkerung dem Bantuvolk der Xhosa angehören, gilt dabei als ärmstes Reservat unter den zehn. Sein Volkseinkommen ist zu über 45 Prozent von den Überweisungen in Südafrika angestellter Wanderarbeiter abhängig.

Sogar die regierungstreue Tageszeitung 'The Citizen‘ kommentierte in Johannesburg gestern nach dem Putsch in der Ciskei: „Es wird immer zweifelhafter, ob es für die unabhängigen schwarzen Staaten noch eine Zukunft gibt... Schwarze sind Bürger Südafrikas... Das Zahlenspiel ist verloren. Die Idee, Territorium und Bevölkerung aus Südafrika auszugliedern, um das Verhältnis von Weißen zu Schwarzen zu verbessern, ist gescheitert.“