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BLÖD IM ORBIT

■ Eva Anderson und Lutz Fleischer in der Ostberliner Galerie „Weißer Elefant“

„Zum sonnenfernsten Punkt der Zeit/ fliegt ein Insekt auf Ewigkeit / und hat es ihn gefunden / beginnt's ihn zu umrunden.“ (Fritz Viereck): Dieser Ausstellungstitel läßt nur jene lange rätseln, die ein ausgeklügeltes Wortspiel darin vermuten. Pragmatischeren Geistern genügt ein Blick in den Duden, um zu erfahren, daß es sich um den sonnenfernsten Punkt eines Planeten, Kometen oder Wasdanochsorumfliegenmag handelt. Daß die Ausstellung so und nicht anders heißt, ist weder Zufall noch Notwendigkeit, eher entropisches Absprengsel einer abwegigen Kollision von Gleichgesinnten. Der Schnittpunkt zweier notorischer Querschläger, wie Eva Anderson und Lutz Fleischer es sind, liegt zwar nicht im astronomischen, aber doch im philosophischen Bereich: out of sense, dort, wo es schön dunkel ist. Zum gemeinsamen Zeichen wurde das Bild eines Insekts, das nach Verlassen seiner Umlaufbahn um einen Batzen Dreck zwei Chancen hätte: auf eine Fensterscheibe zu knallen, hinter der sich der Sinn des Lebens verbirgt, oder auf den Schein der Erlösung losrasen, um da zu verkohlen. Darum bleibt es 1. in seiner elliptischen Kurve, 2. doof und 3. am Leben.

Mit Zerstörungen hat Eva Anderson eigene Erfahrungen, seit rührige Galeristen in Jena ihre Arbeiten vorsorglich auf eine Müllhalde transportiert haben. Die scheinen die Revolte in ihren Formen ganz richtig verstanden, aber nicht gemocht zu haben! Da ist nämlich nix vom anheimelnden Realismus praller Popos, über die man zum Brigadenachmittag anregend diskutieren könnte, aber dummerweise auch keine verruchte Dekadenz, an der sich ein engagierter Kulturfunktionär angemessen profiliert hätte. Diese Formen sind unter Überdruck aus sumpfigem Boden erwachsen und ähneln daher exotischen Pflanzen. Über Fixpunkte vegetabiler und organischer Erscheinungen findet die Plastikerin zur anschaulichen Gestaltung von Erlebnissen wie Bewegung, Tanz, Erregung und Zusammenbruch. Ihre Arbeiten realisieren den sinnlichen Aufschrei: spitz und sperrig, angegriffen und verhärtet, dabei trotzdem in großen Zügen fließend - und immer „durchschaubar“. Im Gestrüpp ihrer plastischen Körper wird der Durchblick motiviert, Bögen zu schlagen, die über Mißklänge hinausweisen.

Lutz Fleischer kontert dieses Figurendrama mit Bonmots aus dem unerschöpflichen Arsenal des Doppelbödigen. In Zeichnungen, Collagen und Objekten verbreitet er handfeste Blödeleien mit tragischem Ausgang: wer's mag, ist selber schuld! Denn zu allem Überfluß herrscht eine Raffinesse vor, die das Makabere zum Erlebnis macht. Fleischer kommentiert im reinsten Sächsisch: „Noja.“ Zu helle kann's ihm gar nicht werden, doch den Übermut zu bremsen wird vorsorglich ein schwarzes Licht installiert. Und so geht er hin, der Blick durchs „rote Kabinett“: über Wattering und Oberschenkel bis zum Nasenstüber und dem fatalen Farbfleck der „Vereinigung“. Blutsturz, Brandstiftung und andere Naturschauspiele sind die Attraktionen in diesem Theater. Das Nervenkostüm ist an der Gaderobe abzugeben! - Wenn er was meint, dann meint er es verfänglich, sagt altklug hier der Rezensent (Fleischer grinst dazu). Und nur um eine der heute vieldiskutierten Fragen noch anzuschneiden, sei des Künstlers Erklärung zur bevorstehenden Marktorientierung zitiert: „Mein Zeug wird verdammt teuer!“ - Recht hat er!

Ralf Bartholomäus

Die Ausstellung ist bis 24. März zu sehen in der Galerie Weißer Elefant, Berlin-Mitte, Almstadtstr. 11, Di-Fr 11-19, Sa 15-18 Uhr.

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