: DDR Spitze bei Selbstmordrate
■ Sozialreport 90: Erstmals tabuisierte Daten über die soziale Lage veröffentlicht / Bevölkerung schwindet
Berlin (taz)-Was jahrelang nur hinter verschlossenen Türen studiert wurde und allein die Staats- und Parteiführung in maximal zehn Exemplaren zu Gesicht bekommen durfte, ist nun öffentlich: der Sozialreport 90, eine umfassende statistische und soziologische Untersuchung über die soziale Lage und Befindlichkeit der DDR. Auf 350 Seiten hat das Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften zusammen mit anderen Forschern bisher schon vorhandenes, aber im Giftschrank liegendes Material zusammengetragen und aktualisiert.
Die wenig überraschende Grundaussage der Untersuchung betrifft eine „wohl einzigartige Situation in der Welt, nämlich den durchgängigen Bevölkerungsverlust eines Landes über den gesamten Zeitraum seines Bestehens.“ Dieser Bevölkerungsschwund wird nach der Prognose des „Sozialreports“ für die Zukunft schwerwiegende Folgen haben. Denn auch ohne weitere Abwanderung in den Westen wird die Bevölkerung der DDR im Jahr 2.000 auf gerade mal 15 Millionen Einwohner gesunken sein und insbesondere das Potential an Arbeitskräften wird rapide schrumpfen.
Eines der brisantesten Themen des Reports, weil bisher tabuisiert: die Selbstmord- und die Straftatenstatistik der DDR. 4768 Menschen haben sich laut dieser Statistik 1988 in der DDR das Leben genommen, darunter doppelt so viele Männer wie Frauen. Umgerechnet auf die Bevölkerungsgröße liegt die DDR mit diesen Zahlen deutlich über der Suizidrate in der Bundesrepublik. Nach der jüngsten Umfrage der Forscher der Akademie der Wissenschaften äußerte sich ein Drittel der DDR -Bevölkerung alles in allem „zufrieden bis sehr zufrieden“ mit ihrem Leben.
Deutlich wird an den verschiedenen Statistiken des „Sozialreports“, daß es ein deutliches Einkommensgefälle gibt, unter dem vor allem die alten Menschen und die Frauen leiden. So liegt das jetzt ermittelte Einkommen der 2,8 Millionen Rentner und Rentnerinnen in der DDR am Rande der Armutsgrenze. 443 Mark beträgt die durchschnittliche monatliche Rente, wobei die älteren Frauen mit 100 Mark Rente weniger leben müssen als die Männer. Deutliche Einkommensunterschiede werden auch anhand der Sparguthaben sichtbar, die der „Sozialreport“ erstmals genauer aufschlüsselt. Bei einem Gesamtsparguthaben von mehr als 170 Milliarden Mark in der DDR hat zwar rein statistisch jeder Bürger satte 11.000 Mark auf dem Konto. Tatsächlich jedoch verfügen 20 Prozent der Kontoinhaber über 80 Prozent der gesamten Sparsumme (120 Milliarden Mark).
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