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Die Geheimnisse des Deutschen Doms

■ Der Deutsche Dom in Ost-Berlin soll ein Kunstforum aufnehmen / Vorgesehen ist der Bau eines hochmodernen Kunsttempels / Geplante Baukosten von 65 Millionen sollen durch eine Stiftung aufgebracht werden

Wolfgang Polack, Direktor des Zentrums für Kunstausstellungen, türmte auf der Pressekonferenz in Ost -Berlin zum „Kunstforum Deutscher Dom“ phantastische Zahlen aufeinander: 2.600 qm Ausstellungsfläche mit sieben möglichen Bereichen habe man im Dom projektiert, um zwölf Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche lang internationale Kunst zu präsentieren; 40 bis 60 Ausstellungen plane man im Jahr, Umbauten sollen nachts mit einer höchst flexiblen Ausstellungstechnik vorgenommen werden. Im Jahr erwarte man eine bis anderthalb Millionen Besucher. Modernste Licht-, Klima- und Sicherungstechnologie, im Westen schon bestellt, aber noch nicht bezahlbar, sei Voraussetzung, um den Konditionen von Versicherungen und Museen im internationalen Leihverkehr gerecht zu werden. Doch die für die Fertigstellung dieser Hochleistungsarchitektur veranschlagten 65 Millionen Mark bis 1993 sind vom Staat allein nicht zu erhoffen. Deshalb riefen Polack und der Vertreter des Kulturministeriums, Peter Lorf, zur Gründung einer Stiftung „Kunstforum Deutscher Dom Berlin“ auf. Kein Grund zur Euphorie

Doch der nüchterne Zustandsbericht der Bauleitung über den Rohbau des Deutschen Doms dämpft Polacks Euphorie. Der im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte Dom war 1708 gebaut und bis zu seiner Zerstörung von der im Westteil der Stadt gelegenen Jerusalem-Gemeinde genutzt worden. 48 Jahre lang lag die klassizistische Kirche am ehemaligen Gendarmenmarkt in Trümmern. In den Siebzigern wurde sie von der evangelischen Kirche an den Ostberliner Magistrat übergeben. 1983 begann man mit Sicherungsarbeiten, dem Abriß gefährdeter Teile und der Entkernung der Kirche. Dieses Jahr will man die Kuppel mit Kupfer eindecken, Fenster einsetzen und mit dem Verputz der Fassade beginnen. Dann wird der Bau erst mal dicht sein. Mit dem Bauaufzug

aufs Dach

Noch aber regnet es durch, und der Putz rieselt. Während bei der Baubesichtigung die erste Performance im Kunstforum, „Die Werktätigen packen an“, lautstark mit Erfolg aufgeführt wurde, scharten sich die Journalisten um den Vertreter des Kulturministeriums. Die Anpassung der Kirche an den modernen Ausstellungsbetrieb erfordert eine komplizierte Umstrukturierung der baulichen Elemente. Um Stellfläche zu gewinnen, ließ der Architekt der Innenräume, Roland Steiger, in der großen Kuppelhalle eine Zwischendecke einziehen, über der noch einmal zwei Galerien schweben. 650 Quadratmeter künftiger Kunstheimat splitten sich in kleine Seitenräume des Turms und in vier Pavillons auf dem Dach der symmetrischen Kreuzanlage auf.

Mit ruckelndem Bauaufzug durften die Journalisten dorthin hinauffahren und auf den Platz der Akademie herunterschauen, dem nach der Fertigstellung des Domhotels im November dieses Jahres international pulsierendes Leben prophezeit wird. Eine halbzerfetzte Eisentreppe hängt jetzt noch in dem leeren Turmschacht, durch den ein gläserner Aufzug die Besucher zur Turmspitze pumpen soll. Das verwinkelte Gebäude, in dem jede Schulklasse sofort wie die Stecknadeln im Heuhaufen verloren gehen wird, läßt sich nur durch ein kostspieliges computergestütztes Sicherungssystem kontrollieren. Als Polack auf die als Sicherheitskräfte ausgebildeten Ticketverkäufer verwies, die den engen Eingangsbereich bewachen werden, hatte jeder eine kurze Vision vom „Kunstforum“ als Endlager für Stasi-Beamte. Ausstellung

„bleibender Werte“

Polacks Utopie eines reibungslos geölten Ausstellungsapparates stand die Entdeckung dieser abenteuerlichen Architektur entgegen. In diesem Paradies für mit der Umwelt spielende Künstler kann sich die Kunst in kryptischen Räumen verstecken, von der Kuppel schweben, durch den Turm fliegen, sich über Wendeltreppen und unüberschaubaren Gängen winden. Es fehlen die toten, großen, geraden Wände, die sich selbst hinter das Kunstwerk zurücknehmen. Kunst, die auf diesen Ort nicht vorbereitet ist, wird in dieser beredten Architektur untergehen.

Doch leider ist der Dom weniger als Spielstätte experimenteller Künstler gedacht denn als Forum zur Aufarbeitung der Nachkriegsmoderne, vor allem beider deutscher Staaten. Nicht der flüchtigen Installationen will man die Tür öffnen, sondern der von „Kunstkommissaren“ getroffenen Selektion „bleibender Werte“ aus dem Wust der Moderne. Doch kaum ein Gehäuse scheint funktional der Präsentation gigantischer Leinwände und tonnenschwerer Objekte der internationalen Kunstszene so entgegenzustreben wie diese Kirche.

„Deutsch“ nannte man die Kirche, um sie von der „französischen“, der Hugenottengemeinde zu unterscheiden. Mit dem Anbau des Turms 1780 durch Gontard erst wurde sie in einen Dom umbenannt. Doch mit dem eingeschliffenen Sprachgebrauch des Volksmundes läßt sich nun nationalstolze kulturelle Identität verkaufen.

Den ersten Scheck erhielt die Stiftung, die für ihre Gründung nach dem bürgerlichen Recht und die damit verbundene steuerliche Absetzbarkeit der Spenden noch eine Gesetzesänderung braucht, von der FDP Tiergarten: 105 DM. Doch bis ein Stiftungskonto eingerichtet war, verfiel der Scheck. Nun wird er, eingerahmt, als historisches Dokument aufbewahrt.

Katrin Bettina Müller

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