Die Liebe, die Knödel und die Angst

■ „Eine alltägliche Verwirrung“, Monodram von Dagmar Schwarz nach Texten von Milena Jesenska und F. Kafka

Milena Jesenska, etwa 1917

Es beginnt mit einer Stimme vom Tonband: der Nachruf auf Franz Kafka, den Milena Jesenska geschrieben hat. Dann der Sprung ins Spiel. Milena Jesenska (Dagmar Schwarz) in Wien, vor ihrem Frisierspiegel. Sie zieht sich langsam an und erzählt dabei von sich, von ihrem Selbstmordversuch - und wie sie von ihrer Hausbesorgerin, Frau Kohler, mit böhmischen Knödeln gerettet worden ist: „Ich denke, daß ich mich nie mehr vergiften werde. Nicht aus Furcht vor dem Tode:

aus Furcht vor Frau Kohlers Knödeln.“ Milena ist fertig angezogen, sie holt aus ihrer Handtasche einen Brief, liest. Franz Kafka an Milena.

Er ist, 1920, in Meran, seine tuberkulöse Lunge zu kurieren, sie ist in Wien, unglücklich verheiratet, ohne Geld. Sie jobbt, schreibt Feuilletonartikel für tschechische Zeitungen, übersetzt die frühen Erzählungen Franz Kafkas, eines noch ziemlich unbekannten Autors. So lernen sie sich kennen. Sie schreiben sich Briefe über Übersetzungsfragen, dann freundschaftliche, bald Liebesbriefe. Als sie einander treffen, holt Kafka bald die Angst vor der Liebe wieder ein. Er zieht sich zurück.

Dagmar Schwarz will mit ihrer Montage aus Texten von Kafka und Milena Jesenska diese Liebe und deren Unmöglichkeit zeigen, was beide verbunden und was sie getrennt hat: die Voraussetzungen dafür sind schlecht, Milenas Briefe an Kafka sind nicht erhalten, ihre Stimme nur aus seinen Briefen herauszuhören. Dagmar Schwarz montiert deshalb die

Briefstellen Kafkas in Texte Milenas, in denen sie zwar von sich erzählt, aber nicht ihm, sondern der ganzen Welt, im Feuilleton tschechischer Zeitungen. Durch diese Texte Dagmar Schwarz spielt sie mit wenig Requisiten sehr unterkühlt und läßt dadurch viel vom leidenschaftlichen Temperament dieser Frau spüren - entsteht ein facettenreiches Porträt Milenas: sie ist eine genaue Beobachterin des Alltags, witzig, ironisch, manchmal von Angst gebeutelt.

Aber ihre Texte und die Briefe Kafkas bleiben auf zwei Ebenen: hier die stilisierten, von sich weggerückten Artikel, da die ungeschützten Briefe; eine Disparatheit, die ich nicht als sinnstiftende erlebt habe. Dabei fügen sich manche Feuilletons sehr gut zu den Briefen, zum Beispiel der Angsttraum von der Eisenbahn, in die sie steigt, um sich zu retten und die sie in den Tod fährt. Ein Text, der besonders eindringlich ist, wenn man an das Ende Milena Jesenskas denkt: mit der deutschen Reichsbahn ist sie 1940 ins KZ Ravensbrück gebracht wor

den, wo sie 1944 umkam.

Am Ende des „Monodrams“ jedoch verbinden sich die zwei sich reibenden Ebenen: als Dagmar Schwarz Briefe Milenas vorträgt, die sie an Kafkas Freund Max Brod geschrieben hat, Briefe, aus deren Ton ganz unmittelbar zu spüren ist, was uns mit ihren Briefen an Kafka verloren ging: „Nur eines sagen Sie mir ..: bin ich schuldig oder bin ich nicht

schuldig? ... Ich will wissen, ob ... auch unter mir Frank leidet und gelitten hat wie unter jeder andern Frau, so daß seine Krankheit ärger wurde, so daß auch er vor mir in seine Angst fliehen mußte und so daß auch ich jetzt verschwinden muß, ob ich Schuld daran bin, oder ob es eine Konsequenz seines eigenen Wesens ist.

Christine Spiess

Weitere Vorstellungen: 22. u. 24. März, 20 Uhr, Concordia