: Eppelmann, geh du voran
Demokratischer Aufbruch ernennt neuen Chef / Wolfgang Schnur ausgeschlossen / 33 Aktenordner über und von dem fleißigen Stasi-Mitarbeiter ■ Von Petra Bornhöft
Berlin (taz) - In Windeseile versuchte der Demokratische Aufbruch (DA) gestern die Affäre um den Stasi-Mitarbeiter Wolfgang Schnur unter den Teppich zu kehren. Zunächst schloß der DA-Hauptausschuß den am Vortag zurückgetretenen Vorsitzenden aus der Partei aus, um dann Minister Rainer Eppelmann (47) flugs zum neuen, „amtierenden“ Chef und Spitzenkandidaten für die Volkskammerwahl zu bestimmen.
Die Sache hat jedoch einen Pferdefuß: Die zentrale Wahlkommission sieht keine Möglichkeit, Schnur von der Wahlliste zu streichen. Laut Wahlgesetz können Wahlvorschläge nach ihrer amtlichen Veröffentlichung nicht mehr geändert werden, teilte das Gremium mit.
Schnur selber meldete sich über die 'Bild'-Zeitung zu Wort und deutete an, er sei von Stasi-Chef Mielkes Nilpferdpeitsche zu seinen Spitzeltätigkeiten gezwungen worden. „Ich bin 1964 durch Prügel und folterähnliche Methoden gezwungen worden, ein Verpflichtungserklärung für das Ministerium für Staatssicherheit zu unterschreiben“, zitiert das Blatt den Rechtsanwalt, „ich bin in den vergangenen zwei Jahrzehnten verfolgt, überwacht, erpreßt und bedroht worden“. Fortsetzung auf Seite 2
Kaum hatte 'Bild‘ das Interview vorab verbreitet, da meldete 'adn‘, in Rostock habe der Unabhängige Untersuchungsausschuß im Gebäude der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung 33 Aktenordner zu Schnur gefunden. Es handele sich, so ein Ausschußsprecher, um elf
Ordner zur Person und 21 Ordner mit sogenannten Treffberichten beziehungsweise Berichten des Informanten selbst. Ein Ordner enthalte Quittungen über empfangene Gelder des Informanten.
Daß Schnur sich nicht sonderlich bedroht gefühlt haben kann von den Knechten des alten Systems, dafür spricht auch, daß in seiner neuen Berliner Anwaltskanzlei ein gewisser Peter Fischer als juristischer Mitarbeiter beschäftigt ist, der bis zum 15. Februar 89 als Direktor des Kreisgerichtes Eberswalde einen Posten bekleidet hat, an den ohne SED -Parteibuch nicht heranzukommen war.
Dies und der Verzicht Schnurs auf die vom 'Spiegel‘ verlangte Gegendarstellung hielten den DA-Vorstand keineswegs davon ab, am Mittwoch abend in einer Stellungnahme zu behaupten, der eigentliche politische Skandal bestehe darin, daß „die früheren politischen
Machthaber ihren Kampf offensichtlich weiterführen“.
Die DA-Partner in der Allianz, CDU und DSU, reagierten scheinbar gelassen auf die Schnur-Affäre und betonten ihre „Eigenständigkeit“ in dem Wahlkampfpakt. CSU-Generalsekretär Huber nannte den Grund: Man müsse fragen, ob Schnur „nicht von Anfang an ein Unterseeboot der Stasi gewesen ist, um in letzter Minute vor den DDR-Wahlen“ etwas zum Scheitern zu bringen.
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