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PS UND WSV

■ Autofan Pietsch aus Bremsdorf bei Eisenhüttenstadt vermißt seine Lieblingspartei und muß bitter umlernen

Warum nun gerade Dieter Pietsch zu einem unserer Wahl -Probanden wurde, ist recht einfach zu erklären: Der 26jährige Maschinen- und Anlagenmonteur aus Bremsdorf bei Eisenhüttenstadt kollidierte rein zufällig mit dem Reporter an der zentralen Ampelanlage von Möbiskruge. Trabant gegen Döhschewoh. Und dabei stellte sich heraus, daß Herr Pietsch einen Aufkleber am Heck seines Kleinwagens angebracht hatte, der sich von allen anderen („Wir sind ein Volk“) deutlich abhob.

Im unverwechselbaren politischen Bekennermut ( “...bei uns kommt der Strom aus der Steckdose“) stand da geschrieben, schwarz auf gelb: Wählen Sie Gegner von Motorsportveranstaltungen? Ich nicht! Womit klar war, daß Dieter Pietsch keiner von diesen lt. Umfrage 53 % unentschlossenen DDR-Bürgern ist, die sich am Wahlsonntag mit zitterndem Kugelschreiber in die Kabine begeben, um wie beim Zahlenlotto zwischen AJL, EFP und VAA zu schwanken, im festen Wissen, nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung sowieso einen ehemaligen Stasimann zu treffen.

Nein, das Kriterium von Pietsch ist fest und unverrückbar: Wer läßt heulen die Motoren, kann mit seiner Stimme rechnen. Ein Prachtexemplar für jeden Demoskopen, weshalb wir uns mit unserem WSV (Wahlsimulationsvideo) bei ihm zuHause in der Wilhelm-Pieck-Straße 8 schmal gemacht haben (2-Raum -Wohnung). Das Mobiliar ist gemütlich furniert, die Wand ziert ein Michelin-Kalender, der, wie Pietsch sagt, alles Wesentliche vereint: „PS und nackte Weiber“.

Auf dem Boden spielen Andre (4) und Katja (3) Formel 1 auf dem vom Papa aufgemalten Kurs von Hockenheim, der Proband wird intravenös mit Radeberger Pils und einem Salzletten-Extrakt versorgt: Video ab. Nun wäre es übertrieben zu behaupten, Autofreund Pietsch sei - um im Bild zu bleiben - bereits auf 180. Vom SED-Staat entwöhnt sieht er den ersten Infas-Auswertungen eher untertourig entgegen, und wäre da nicht die treffliche Mischung aus „Sport und Freiheitswahl“ mit einer Reportage von den ersten Trainingsläufen des neuen Ferrari in Brasilien, wer weiß...?

Helmut G. Müller vom Süddeutschen Rundfunk jedenfalls hält den Probanden mit einem Hintergrund über die computertomographische Auswertung der Belastung von Radaufhängungen in S-Kurven bei Laune, bis erstmalig - um 19.13 Uhr - die kleinen putzigen Säulen aus dem Nichts wachsen: „VL 0,8 Prozent, B 90 4,6 Prozent...“ Sind da nicht kleine Schweißperlen auf Pietschs Oberlippe zu sehen, überzieht da nicht eine leichte Fahlheit sein Gesicht?

„Und der ADAC“, brabbelt der Proband entsetzt, während wir zügig die Dosis Radeberger erhöhen, „und der ADAC?“ Nun sollte sich zeigen, daß selbst umfängliche Nachhilfesendungen der westlichen Fernsehanstalten Wähler wie Dieter Pietsch nicht in ausreichendem Maße staatsbürgerlich haben bilden können. Eigenmächtig die Parteien durchstreichen und ADAC einsetzen, Edzard Reuter zum Spitzenkandidaten ernennen? Nein, Herr Pietsch, so geht das nicht.

Obwohl seine Plagen zu verstehen sind. Hat er nicht unter der griffigen Parole Auto gut eine kleine, motorisierte Demo in Bremsdorf organisiert (vier Teilnehmer), waren nicht beim Schleizer-Dreieck-Rennen vergangenen August 250.000 Gleichgesinnte versammelt, und hatte nicht eine Umfrage von Männern in Ost-Berlin ergeben, daß bei 82 Prozent der Wunsch nach einem Auto mit klarem Abstand an der Spitze aller Kaufwünsche steht? Und hatte er in seiner Verzweiflung weit und breit kein BMW und VW auf der Wahlliste - nicht beinahe der Sex-Liga seine Stimme gegeben, weil die Abkürzung SL ihm irgendwie vertraut war?

Dieter Pietschs Glaube in die Demokratie, das sollte sich herausstellen, war mit dieser ersten Hochrechnung aufs Tiefste erschüttert. Nicht einmal ein fröhliches „Brumm, brumm“ von Katja und Andre brachte ihn wieder auf die Beine. Später dann würde der Anstaltspsychologe in seinem Bericht schreiben, eine Fehlassoziation des Brandtschen „Demokratie wagen“ habe Pietsch frühpubertär disponiert: Demokratie Wagen. Und noch während der Reporter mit dem Wahlsimulationsvideo abzog, hörte er den Maschinen- und Anlagenmonteur unablässig murmeln: „Was zusammengehört, will ich zusammenschweißen.“

Die 'Junge Welt‘, ehemaliges FDJ-Blatt aus Ost-Berlin, hatte ja bereits nach der Wahl in Nicaragua blitzgescheit gefolgert: „Freie Wahlen bergen eben immer gewisse Unabwegbarkeiten in sich.“ Nach Daniel Ortega sind nun die Pietschs aus Bremsdorf die Opfer dieser grausamen Wahrheit.

Herr Thömmes

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