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Zwei aufrechte Horngestelle

■ Abgesang im Haus der Demokratie auf das Ende des DDR-Wahlkampfes Demokratischer Aufbruch beseitigt letzte Spuren von Wolfgang Schnur

Ja, das ist Pluralismus. Die Sonne scheint. Die Straßen voller Touries aus aller Herren Länder, besonders einem, die Mauern doppelt und dreifach bunt beschichtet, die Bauernpartei hat ihren Block grün beflaggt. Schräg gegenüber vorm Haus der Demokratie, dem Geschenk der SED an die Opposition, stehen die Massen sogar 400 Meter lang Schlange. Allerdings nicht um im Ex-Parteigebäude den Unabhängigen Frauenverband, die Grüne Liga oder die Vereinigte Linke um Propagandamaterial zu bitten. Um die Ecke in der Behrenstraße werden von einem Lastwagen aus die druckfrischen „Befehle und Lageberichte des Ministeriums für Staatssicherheit“ verkauft.

Drinnen im Erdgeschoß des demokratischen Hauses, ziehen die Spitzenkandidaten des „Bündnis 90“ Professor Reich und Doktor Fischbek ihr Wahlkampf-Resummee. Ganz im Duktus der Universität, ohne Pathos und volksnahe Schleifen bedauern beide, daß ihre Vorstellung, ein Wahlkampf ganz ohne Plakate und Slogans, nicht durchsetzbar war. Gern hätten sie nur durchs argumentative Gespräch überzeugt. Zwei aufrichtige, integre Horngestelle, „Bürger für Bürger“, die chancenlos scheinen gegen die Wahlkampfwalzen der SPD und CDU. Fischbeck, gerade von der wiedervereinigten Synodalsitzung kommend, dankt sogar Gott. Immerhin sechs Kamerateams und mehr als 80 Zuschauer sind zur Schlußpressekonferenz gekommen.

Im Flur vor dem Saal warnt das Plakat der vereinigten Linken: Keine Kapitulation, keine Kapitalnation, es ist mit SAT 1-Aufklebern befestigt. Daneben eine Selbstdarstellung des hausinternen Kinderhorts. Jozek Templin, Sprecher der „systemkritischen Kinder“ ruft zum Lernstreik auf, „Kriegsspielzeug wird sofort vernichtet“, steht da getuscht neben dem Bettina-Wegener-Gedicht.

Die Luft ist raus. Durch die verwinkelten, braun-beigen Flure klettert die Weltpresse, letzte Statements vor'm Sonntag. Auf der Rauschebart-Etage geben bleiche WahlkämpferInnen Auskunft. Der Sprecher der Linken berichtet von den Schwierigkeiten eine Druckerei zu finden, die auch für Linke druckt. Beim Bündnis ist noch nicht raus welche Promis zur Wahlfete kommen. Nina? Bettina? Wolf? Zuviel West -Künstler, beschwert sich eine potentielle Wählerin. Die Grüne Partei macht schon die Montagspressekonferenzen in Bonn und im Rathaus Schöneberg klar. Ein paar Engländer wollen Aufkleber.

Ein Stockwerk höher, beim „Demokratischen Aufbruch“ geht es gesitteter zu, weniger Aufkleber und Plakate an den Türen, stattdessen ordentliche Schildchen, „Vorzimmer“, „Sekretariat“, „Schatzmeisterin“. Zimmer voller Material, umtriebige JU-Typen mit dicken Aktenkoffern. Die SPD ist schon ausgezogen, nur ein einsames Plakat im vierten Stock erinnert noch. Im Treppenhaus kratzt ein DA-Angestellter akribisch die Reste eines Flugblatts von den Wänden: „Hetze gegen Wolfgang Schnur“. Geordneter Rückzug aus der Polit -WG.

kotte

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