: Satanischer Zins oder Wachstumsmotor?
Alle Welt fürchtet ein dramatisches Anwachsen des Zinsniveaus im Zuge der deutsch-deutschen Währungsunion und vor allem infolge des Geldbedarfs zur Sanierung der DDR-Wirtschaft. Was ist das: Zins? Was dachten unsere Altvordern darüber, und wer ist heute der Dumme bei der Zinszahlung? Ginge es nicht auch ganz ohne Zinsen? ■ Von Mathias Bröckers
„Wer Geld gegen Zins verleiht, soll dastehen wie einer, der vom Satan erfaßt ist.“ (2. Sure des Koran)
Lange Zeit war dieses Gebot des Heiligen Buchs des Islam nahezu in Vergessenheit geraten, erst in neuerer Zeit hat es bei moslemischen Fundamentalisten wieder an Bedeutung gewonnen, wenn auch in bescheidenem Rahmen. Nur etwa 50 Banken, rund zehn Prozent aller Geldhäuser in islamischen Ländern, halten sich an das Zinsverbot ihres Propheten und verleihen 20 Milliarden Dollar pro Jahr, vor allem im Iran und im Sudan, ohne Zins. Doch dabei handelt es sich eigentlich um Etikettenschwindel, meint der Wirtschaftspublizist Helmut Creutz, der Mitte Februar auf Einladung der Frankfurter Öko-Bank zur Frage Islamic Banking - Ausweg aus der „Zinsknechtschaft“? referierte. Etikettenschwindel
Auch die islamischen Banker wissen schließlich, daß die Freigabe von Geld nur gegen Belohnung erfolgt. Und so bieten sie ihren Anlegern statt des verbotenen Zinses einfach „Gewinn“: Sie beteiligt sich mit dem ihr übergebenen Geld direkt an einem Handelsgeschäft oder einer Firma und belohnen den Kreditgeber mit Gewinnbeteiligung. Daß diese Methode keine Lösung darstellt, liegt auf der Hand: Der Einfluß der Banken auf die Wirtschaft ist dabei eher noch größer als im „ungläubigen“ zinsnehmenden Abendland. In einigen strenggläubigen, ländlichen Gegenden des islamischen Raums hat die Praxis des Zinsverbots zur Folge, daß überhaupt kein Geld verliehen wird, was die Wirtschaft, durch Entzug ihres Kreislaufmittels, zum Kollaps verurteilt.
„Wer auf Zins leiht und Zuschlag nimmt, soll der am Leben bleiben? Er muß sterben, sein Blut komme über ihn!“ (Hesekiel, 18,13)
Daß ohne den Zins als „Zuckerbrot“ die Umlaufsicherung des Mediums Geld gefährdet ist und ein Verbot zu einem Run auf Sachwerte (Boden, Immobilien) führt, wußten schon die jüdisch/christlichen Propheten und Gesetzgeber. Auch Moses brachte vom Berg Sinai ein Zinsverbot mit, eingebettet in weitere Regeln: ein „Erlaßjahr“, wonach in jedem siebten Jahr alle Schulden zu erlassen sind, und ein „Halljahr“, das im 50. Jahr den Besitz an Boden an den ursprünglichen Eigentümer zurückfallen läßt und seinen Preis sich nur noch am Wert der ausstehenden Ernten bemißt. Für das Volk ein Grund zum Jubeln (was sich noch heute in dem Ausdruck „Alle Jubeljahre“ niederschlägt), doch hat das Zinsverbot diese für seine Durchsetzung notwendige Verbindung mit dem Sozialrecht der Regierung Moses in der Geschichte schnell verloren - mit fatalen Folgen. Vor allem für das jüdische Volk, dem die mosaischen Gesetze (anders als später die christlichen) das Zinsnehmen nur untereinander, nicht aber gegenüber Ausländern verboten. So waren die Juden, denen auf dem Höhepunkt der allgemeinen Geltung des Zinsverbots im christlichen Mittelalter der Zugang zu Zunft und Ackerbau versperrt war, auf Nischen angewiesen. Sie schlüpften als Geldverleiher in die Rolle des Sündenbocks.
Spartakistischer Rost
Daß die Christen, denen von der Zeit Karls des Großen bis ins 15. Jahrhundert für das Zinsnehmen sofortiger Kirchenausstoß und Gefängnis drohte, das Verbot überhaupt so lange durchsetzen konnten, hatte mit einer Finanzpolitik zu tun, die die Umlaufsicherung des Gelds statt mit dem Zuckerbrot Zins durch gezielte Peitschenschläge gewährleistete: Nach Ablauf einer Frist wurde das Geld ungültig und mußte, zu schlechterem Kurs, gegen neues umgetauscht werden. Auf diese Methode, das Horten von Geldschätzen zu verhindern, hatte schon der griechische Revolutionär Spartakus zurückgegriffen. Er brachte statt beständigem Edelmetall rostendes Eisengeld in Umlauf - ein Kompromiß, den der antike Autonome Diogenes scharf kritisierte und empfahl, Münzen der Ehrlichkeit halber gleich aus menschlichen Knochen zu machen: „Es verrottet noch schneller, und es stinkt!“
Dennoch sorgte die regelmäßige „Verrufung“ des Gelds zwischen 1150 und 1350 für jenen, von den Historikern erst jüngst wiederentdeckten Wohlstand und die soziale Ausgeglichenheit des „Goldenen Mittelalters“. Wie eng später der ökonomische und soziale Niedergang im 14./15. Jahrhundert mit der Einführung „harten“, beständigen Geldes einherging, wird in Martin Luthers leidenschaftlichen Schriften gegen den Zinsnehmer als „Werwolf“ ebenso deutlich wie in den Aktionen des zum christlichen Konzernherrn aufgestiegenen Jakob Fugger. Der protegierte den Theologie -Professor Johannes Eck und erhielt ein Gutachten, daß ein effektiver Jahreszins bis zu fünf Prozent mit dem Himmelreich durchaus vereinbar sei. Dieses Zugeständnis an die Werwolf-Natur, das nur die Überhöhung, nicht aber den Zins schlechthin als Wucher brandmarkte, setzte sich durch.
Auch wenn Kirchen- und Staatsmänner in den folgenden Jahrhunderten immer wieder die schlimmen Folgen der „Zinsknechtschaft“ beklagten, an den Wurzeln - dem realpolitischen Dogma, daß es sich beim Zins um eine gottgefällige, gemeinnützige Einrichtung handele - rüttelte niemand. Auch nicht die Nazis, deren Parole: „Brechung der Zinsknechtschaft!“ gezielt gegen die jüdischen Gläubiger gerichtet war. Dieser deutschen Vergangenheit ist es geschuldet, wenn das Wort Zinsknechtschaft auch auf der Einladung der Öko-Bank in Anführungszeichen gesetzt wird.
Daß eine solche gleichwohl besteht, wird schon einer einzigen Zahl deutlich: Jeden Tag zahlt die Dritte Welt an die westlichen Industrieländer etwa 250 Millionen Dollar Zinsen, doppelt so viel, wie sie als „Entwicklungshilfe“ von uns erhält. Doch nicht nur im Verhältnis zu den Ländern der Dritten Welt sorgen die satanischen Zinsen dafür, daß die Schere zwischen Arm und Reich täglich auseinandergeht, auch prosperierende Wirtschaftsnationen wie die Bundesrepublik ächzen unter der Last der Zinsen.
Daß die Zahlen, die Helmut Creutz nach seinem historischen Rückblick zur aktuellen Schuldenlage präsentierte, auf ungläubiges Staunen stießen, wundert kaum: Jeder Säugling ist bei seiner Geburt zur Zeit mit 42.000 Mark verschuldet, die durchschnittliche Zinsbelastung aller Waren liegt bei 30 Rpozent, jede dritte Arbeitsstunde arbeiten wir ausschließlich als „Zinsknechte“. „99 Prozent der Menschen“, so wurde der Sozialökonom Binswanger zitiert, „sehen das Geldproblem nicht.“ Sie haben in der Schule gelernt, daß Geld „arbeitet“ und „wächst“, und freuen sich, wenn ihnen zum Jahresende auf dem Sparbuch die Zinsen gutgeschrieben werden. Sie ahnen gar nicht, daß diese Zinsen niemand anderes bezahlt als sie selbst. Der Unternehmer, der sich die Sparbuchsumme geliehen hat, legt die Kreditkosten auf seine Waren um, mit dem erhöhten Preis, den die Sparer als Konsumenten dafür zahlen, bedienen sie ihre eigenen Zinsen. Um die durch Bezahlung von Waren und Mieten indirekt erbrachten Zinsen auszugleichen, muß sich auf dem Sparbuch mindestens das Siebenfache der Jahresausgaben befinden. Wer weniger auf der „hohen Kante“ hat, und das ist die überwältigende Mehrheit der BundesbürgerInnen, zahlt nicht nur die eigenen, spärlichen Sparbucherträge selbst. Er sorgt vor allem für die Zinsen der wenigen, die ein unvorstellbar Vielfaches dieses Betrags besitzen. Ein Prozent der steuerpflichtigen Haushalte der Bundesrepublik verfügt über 25 Prozent des gesamten Geldvermögens, zehn Prozent verfügen über 52 Prozent, 50 Prozent über 96 Prozent - um die restlichen vier Prozent Geldes prügelt sich die Hälfte des Volkes.
Zinsträchtiger Müll
Wie wir Zinsen bedienen, ohne es zu merken, verdeutlichte Helmut Creutz anhand der Zinsanteile in Preisen und Gebühren: Im Preis für die Müllabfuhr stecken zwölf Prozent Zins, im Trinkwasserpreis 38 Prozent, bei Kanalgebühren von 1,87 pro Kubikmeter Abwasser beträgt die Zinslast 47 Prozent oder 87 Pfennige, im kapitalintensiven Wohnungsbau liegt der Zinsanteil der Kostenmiete bei mehr als drei Viertel: 77 Prozent. Über diese Zahlungen hinaus müssen durch Steuereinnahmen die Zinsen für die Staatsschulden beglichen werden, die mittlerweile ins gigantische gewachsen sind (allein unter der Regierung Kohl von 692 Milliarden 1982 auf 1.081 Milliarden im Jahr 1989). Mit dem Ergebnis, daß der Schuldendienst zum größten Posten der öffentlichen Haushalte heranwächst. Im Saarland wurde 1987 jede zweite Steuermark für den Schuldendienst ausgegeben. Jeder Arbeitnehmer zahlt mit seinen Steuern im Durchschnitt dafür etwa 4.000 DM pro Jahr.
Steigende Zinsbelastungen wären zu verkraften, wenn Produktion und Einkommen ebenso steigen, was jedoch ist nicht der Fall ist. Die reale Leistung der Volkswirtschaft stieg zwischen 1950 und 1982 um das 4,5fache, die Verschuldung aber um das 11,5fache. Seitdem hat sich das Mißverhältnis noch verschärft: das Volkseinkommen kletterte seit 1982 um 20 Prozent, die Schulden wuchsen um 70 Prozent. Das Stück, das die Zinsforderungen des Kapitals vom gesamten „Leistungskuchen“ abschneiden, wird immer größer, es ist heute schon dreimal so groß wie in den 50er Jahren Tendenz: exponential steigend.
Daraus läßt sich nicht nur eine stetige Einkommensverschiebung von unten nach oben ablesen, sondern ein Trend, der angesichts der ökologischen Verwüstung weitaus fataler ist als die soziale Ungerechtigkeit: der Zwang zum Wachstum um jeden Preis. Wo ständig mehr Geld gedruckt wird, um steigende Zinszahlungen zu erfüllen, muß, wenn die Währung stabil bleiben soll, die wirtschaftliche Leistung entsprechend steigen - „Nullwachstum“, so Helmut Creutz, „ist nicht möglich, weil jede geleistete Mark heute 1,80 Mark kostet“ - jeder verdienten Mark stehen 1,80 Schulden gegenüber. Da auf Dauer das Wirtschaftswachstum mit dem des Kapitals und seiner Zinsansprüche nicht mithalten kann und zur Abwehr der Inflation die Geldmenge begrenzt werden muß, werden die fehlende Zinszahlungen an die Kapitalbesitzer aus dem Leistungskuchen herausgeschnitten das bedeutet nicht nur in Hochzinsphasen reale Einkommenseinbußen für die Beschäftigten. In den 80er Jahren ist denn auch die Lohnquote, der Anteil pro Arbeitnehmer am gesamten Volkseinkommen, deutlich gesunken und befindet sich heute auf dem Niveau der 50er Jahre.
Immer mehr und relativ immer ärmere Zinszahler opfern den gesellschaftlichen Reichtum für immer weniger und immer reichere Kapitalbesitzer - zwar wird in letzter Zeit verstärkt über die „Weltschuldenkrise“ diskutiert, sowohl was die Dritte Welt als auch was Industrienationen wie die USA betrifft, deren Präsident Reagan in seiner Ära mehr Schulden machte als alle Präsidenten in 200 Jahren zusammen
-bei aller Dramatik der „Schuldendiskussion“ folgen daraus aber allenfalls kosmetische Operationen, die den Kreislauf gerade noch in Fahrt halten. Die „Krankheitsursache“ hingegen - eine auf Zins beruhende Geldordnung - wird hingenommen wie ein Naturereignis. Zu Recht, wie die Mehrzahl der ökonomischen Experten meint, denn ohne Zins kein Umlauf des Kapitals und keine Investitionen. Gibt es tatsächlich keinen Ausweg aus dem Joch der Zinsen und dem Zwang zu ewigen Wachstum, der jeden Organismus, auch den der Wirtschaft, auf immer kürzer werdende Sicht zerstört?
Für Helmut Creutz schon. Am Ende seines Vortrags umriß er das Modell einer neuen Geldordnung, die im Unterschied zu den Taschenspielertricks islamischer Banker eine Perspektive aus dem satanischen Zinskreislauf weisen könnte: Sie geht letztlich zurück auf die Prinzipien der mosaischen Gesetze und die Praxis des gotischen Mittelalters, dessen zinslose Wirtschaft uns keinen Kollaps, sondern herrliche Kathedralen hinterließ. Wenn eine Umlaufsicherung für das Medium Geld unverzichtbar ist, der Zins diese Funktion aber nur mit destruktiven Nebenwirkungen erfüllt, dann gelte es eine Alternative zu suchen: Ein Geld, das mit Durchhaltekosten ausgestattet ist und ständig an Wert verliert, so daß jedermann es wie eine heiße Kartoffel möglichst rasch weitergibt, um Verluste zu vermeiden.
Heiße Kartoffel
In einer solchen Wirtschaft, so hat es der Freigeld -Theoretiker Silvio Gesell (Marktwirtschaft ohne Kapitalismus) analysiert und so wurde es in einigen Kommunen zu Beginn dieses Jahrhunderts erfolgreich praktiziert, ist der Zins nicht verboten, er tendiert aber tendenziell gegen Null: Geld, das an Wert verliert, wird nur zu gern und deshalb billig verliehen. Auch der bürgerliche Ökonom John Meynard Keynes schlug ähnliches vor. Einen ähnlichen Effekt wie die geforderten Durchhaltekosten bewirkt die Inflation. Auch Gesell und Keynes haben die destruktive Geld-Peitsche „Inflation“ berücksichtigt. Daß trotz dieser höchst prominenten Fürsprache die Freigeld -Lehre seit über 100 Jahren ein akademisches Außenseiterdasein führt, liegt indes nicht daran, daß die Geldentwertungsrate das Problem schon löste.
Gefahr fürs Kapital
Der Grund ist vielmehr die Tatsache, daß diese Idee für den Kapitalismus sehr viel gefährlicher ist als die (jetzt endgültig entlarvte) Scheinalternative „marxistische Planwirtschaft“. Weil sie, wie schon von Moses gefordert, nur die private Nutzung, nicht aber den privaten Profit an Grund und Boden zuläßt und darüber hinaus das Geld als Macht - und Herrschaftsmittel zerstört, um es wieder seinem ursprünglichen Zweck zuzuführen: als ökonomisches Transportmittel, Tausch-Medium und Wert-Messer ausbeutungsfrei, neutral und marktwirtschaftlich im besten, organischen Sinne. Also genau das, was die erlahmten Volkswirtschaften in Osteuropa brauchen - wäre da nicht die Machtwirtschaft, die nach neuen, sprudelnden Zinsquellen giert und die Existenz eines Dritten Weges notorisch bestreitet. Ist Freigeld tatsächlich die Alternative zu kapitalistischer und sozialisitischer Mißwirtschaft? Fast scheint es, als ließe uns unser heutiges Geld („Die D-Mark ist das Beste was wir haben“, Manfred Hausmann) keine andere Wahl: Ohne Wachstum gehen wir einer Krise der Wirtschaft entgegen, mit Wachstum der Zerstörung des Planeten.
Weitere Informationen, Bücherlisten, Referenten zum Thema Freigeld, Freiwirtschaft: INWO, Internationale Vereinigung für natürliche Wirtschaftsordnung, Sektion BRD, Jakobstr.54, D-7550 Konstanz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen