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„Das geht mich nichts mehr an“

■ Übersiederler in West-Berlin nehmen den Wahlausgang in der DDR mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis / „Hier hat jeder seine eigenen Probleme“

Ralf Hoffart hat nichts gegen Rote, solange sie ihren Fehler einsehen - seine Nachbarin zum Beispiel, ehemals FDJ -Funktionärin, hat jetzt ihre Parteiabzeichen für 30 Mark im Westen verscherbelt. Dafür ist ihr Hoffarts Respekt sicher, dafür erklärt er sich auch bereit, im Westen nach Käufern für ihre Honecker-Biographien zu suchen. Anderen Parteifunktionären steht er weitaus unversöhnlicher gegenüber - das Abschneiden der ehemaligen SED, heute PDS, ist das einzige, was ihn an den Wahlen in seiner alten Heimat interessiert. Den Wahlkampf hat er mit zunehmendem Mißtrauen verfolgt. Was sich da als Spitzenkandidaten präsentierte, „das sind doch fast alles Studierte“. Und wer studiert hat, muß sich für Ralf Hoffart mit der SED arrangiert haben. Hoffart ist heute 29 und seit September in West-Berlin. Fünfmal hat er in der DDR gesessen - insgesamt 56 Monate. „Der 213 war mein Lieblingsparagraph“, sagt er und kann heute darüber grinsen. Paragraph 213 des Strafgesetzbuchs der DDR bedeutete „versuchte Republikflucht“. Meist legte der Staatsanwalt noch was drauf - Paragraph 249 zum Beispiel: „Asoziales Verhalten“.

Seinen Richter hat Hoffart neulich in West-Berlin auf dem Flohmarkt wiedergetroffen. Dem sei jetzt auch klar geworden, daß das „alles Verbrecher waren“. Vertrauen würde der ehemalige Fabrikarbeiter nur noch ganz wenigen - den Pfarrern Schorlemmer und Eppelmann zum Beispiel oder Bärbel Bohley. „So etwas müßte drüben an der Regierung sein - so was wie der Havel in der CSSR.“ Aber was soll's - er hat damit abgeschlossen. „Schlimmer kann's nicht mehr werden“, sagt er enttäuscht.

Die Wahlen sind kein Thema im Übersiedlerheim - statt dessen Wut und Ablehnung wie bei den Hoffarts oder betonte Gleichgültigkeit und Desinteresse bei den anderen. Man ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Kinder seien die einzigen, sagt ein Nachbar, die sich hier auf dem Flur miteinander abgeben. Die Erwachsenen sind nur von einem beseelt: raus aus diesen Löchern, wo sich die Menschen sechzehn Quadratmeter zu viert teilen - bei Hoffarts kommen allerdings noch drei Fernseher dazu. CDU würde der Nachbar wählen, aber eigentlich „geht mich das alles nichts mehr an“, und eine Wohnung bringt ihm das auch nicht.

Auch im Aus- und Übersiedlerheim am Tempelhofer Weg, einer schmucken Fertigbausiedlung mit aufgemaltem Regenbogen an den Wänden, werden die ersten Trendmeldungen ohne größere Gemütsregung zur Kenntnis genommen. 40 bis 50 Prozent für die Allianz heißt es im Radio. Benita Kittner, seit Oktober mit Mann und zwei Kindern in West-Berlin, ist der Wahlausgang nach eigenem Bekunden egal. Was sie interessiert, ist, „wie die regieren wollen“. Entweder SPD oder CDU hätte sie gewählt. Beim Neuen Forum seien sicher ein paar nette Leute, „aber die können doch das Land nicht aus dem Dreck ziehen“.

Auch hier wird kaum diskutiert, obwohl bei sommerlichem Wetter fast alle Türen offen stehen. Man hat genug mit sich selbst zu tun, mit Job- und Wohnungssuche. Jeder will sich fit machen für die Konkurrenzgesellschaft. „Wer am besten drängelt, kommt am weitesten“ ist die Devise der Kittners. „Gemeinsamkeiten gibt's hier nicht. Hier hat jeder seine eigenen Probleme.“

Daß sich die bundesrepublikanischen Parteien massiv in den DDR-Wahlkampf eingemischt haben, finden sie und ihr Mann ganz normal. Der 18. März, sagt er, das sei höchstens ein Ritual, „damit die eben auch mal wählen dürfen“.

Als um Mitternacht das Endergebnis bekanntgegeben wurde, lag Norbert Kittner schon im Bett. „Was soll's - der Laden wird eh vom Westen aufgekauft.“ Und das, findet er, ist ohnehin das Beste, was der DDR passieren kann.

anb

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