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Gegen eine verzweifelte Politik

Über grüne Identität und die jüngsten Auseinandersetzungen der Partei  ■ D E B A T T E

Die bedrohliche Parole „Opposition oder Tod“ als Aussage über die Grünen im Wahljahr (siehe taz vom 1.3.90) verrät mehr über die eigene Befindlichkeit und das Weltbild als über den Zustand einer Partei. Oder ist mit dem kategorischen „Leben oder Tod“ gemeint, daß diejenigen, die nicht ihre umfassende Identität als stärkstes Faustpfand, sozusagen als Waffe, auf die parteipolitische Waagschale werfen, „in Wirklichkeit“ keine Existenzberechtigung bei den Grünen haben?

Das Vokabular dieser Erklärung legt solche Assoziationen nahe. Von Verfolgung, Ausgrenzung, Vernichtung, dem Tod ist die Rede. Das ist inneres Erleben und stilisiert diejenigen, die solche Worte gebrauchen, zu extrem bedrohten WiderstandskämpferInnen in einem totalitären Staat, dessen Handlanger in den Reihen der Grünen zu finden sind.

Das bekannte Argumentationsmuster des „Entweder-Oder“, wie es Verena Krieger und Dieter Hummel in ihrer Grünen -Einschätzung bevorzugen, erinnert mich an klandestine Diskussionen der frühen siebziger Jahre über Feminismus und Terror, bei denen wir uns gefragt haben, ob nicht der bewaffnete Kampf gegen männliche Gewalt die bessere Alternative zu einem langsamen, langweiligen Hausfrauentod ist. Daß viele Frauen weder Männerfriedhöfe angelegt haben noch im Käfig eines unterdrückerischen Ehejochs zugrunde gegangen sind, haben wir jedenfalls nicht einem finalen Denken zu verdanken; eher einem kollektiven Prozeß der Inanspruchnahme öffentlichen Raums. Diese Revolte war und ist mit dem Wissen gepaart, daß Frauen nicht wie Männerimitate auftreten müssen, um - vor allem von sich selbst - als gesellschaftliches Wesen akzeptiert zu werden. Und schon längst hat sich herumgesprochen, daß das Aufzeigen und Aushalten von Widersprüchen in der Frauenpolitik deren wesentlicher Bestandteil ist. Selbst wenn die Versuchung immer wieder bei uns aufkommt, eigene Erkenntnisse zu verabsolutieren.

Was nun überhaupt nicht funktioniert, ist eine verordnete, womöglich noch per Abstimmung herbeigeführte Radikalität. Dieser Steuerungsversuch beinhaltet die logische Konsequenz, daß bei entsprechendem Fehlverhalten durch einen ZK-Beschluß Sanktionen zu erwarten sind.

Die Grünen als erste Partei nach der StudentInnen- und Frauenbewegung hatten die verschiedenen Erfahrungen, zu denen später die der Friedens- und Umweltbewegung kamen, in sich aufzunehmen - und sollten meiner Meinung nach diese ungleichzeitig gemachten Emanzipationsschritte moderierend unterstützen. Die Identität derjenigen, die innerhalb des Parteiapparats am längeren Hebel sitzen, hat als Selbstverwirklichungsmonopol gegenüber der Gesamtverantwortung vieler Menschen natürlich zurückzutreten; sie haben praktisch umsetzbare Programme und Beschlüsse anzubieten. Wir tragen den Prozeß von Emanzipation und Autonomie in Solidarität. Nicht mehr, vor allem aber auch nicht weniger!

Eine Beschimpfung des Untertanenvolkes, gepaart mit bürokratischer Rechthaberei, führt zu Aversionen des gar nicht so blöden Volkes: Die Grünen erscheinen undemokratisch und unglaubwürdig. Die Leute wollen gerade nicht hören, daß die Partei immer recht hat.

Die Verwechslung von persönlicher Identität, Familie und Gruppenintimität mit einem Parteiprogramm, einem politischen Gremium und parlamentarischen Spielregeln ist deswegen so fatal, weil sie genau zu der Seite der deutschen Medaille gehört, auf der nie universelle Menschenrechte im Rahmen einer frei gewählten konstitutionellen Staatsbildung standen. (Um einen aktuellen Querverweis zu machen.) Statt dessen gehört zu ihr das brodelnd-aggressive Gefühl, zur Gemeinschaft zu gehören, sei es zur Volksgemeinschaft, sei es zur Parteigemeinschaft. Oder aber total und verzweifelt außerhalb von ihr zu stehen.

So wie viele Deutsche „aus dem Bauch“ heraus glauben, daß ihnen Deutschland „gehört“, so glauben auch manche von uns, die Partei „gehöre“ ihnen.

Der Slogan der Frauenbewegung: „Das Private ist politisch“ erfährt dadurch eine unerwartete, ver-rückte Bedeutung. Und es ist ein Irrtum, die dazugehörige treffende provokatorische Zuspitzung gegen den Abtreibungsparagraphen, „Mein Bauch gehört mir“, auf eine Partei anwenden zu können. Eine Parteizugehörigkeit definiert sich gerade nicht dadurch, ob man sie „besitzt“ oder nicht. Man und frau übernehmen freiwillig und ohne feudale Implikationen gesellschaftliche Aufgaben und Funktionen, die unbedingt auch außerhalb ihrer selbst und außerhalb der eigenen Partei ihren Zweck haben müssen. Insofern kann auch niemand aus ihr „vertrieben“ werden wie aus einem Paradies, das man glaubte, in Besitz nehmen zu können, mit allen Privilegien und Einflußnahmen.

Die Erklärung der Hamburger Grünen-Frauenfraktion über ihren Abschied von der Feigenblattfunktion erhält so durchaus ihren Sinn, wenn sie sagen: „Wir sind nicht länger bereit, für die systemoppositionelle Strategie altlinker sozialistischer Kader das grüne, parlamentarische Feigenblatt zu liefern“, die „eine Polarisierung, die eine prinzipielle Feindschaft gegenüber der Gesellschaft zum Hintergrund hat.“

Natürlich wäre es in meinen Augen schöner und sinnvoller, wenn sich meine politischen Vorstellungen ohne zähes Aushandeln bei allen größter Beliebtheit erfreuen würden. Aber die Partei war so anarchisch, bürokratisch, autoritätsfixiert, unfertig in ihren informellen Strukturen

-vor allem aber offen für Grenzüberschreitungen zwischen verschiedenen kulturellen und politischen Kraftfeldern, daß die Neugierde und Experimentierfreudigkeit überwog, hier mitzumachen.

Mein Motiv, die Partei zu beeinflussen mit der Analyse und den Schlußfolgerungen des Feminismus, ist alles andere als zu einem befriedigenden Abschluß gekommen. Ich empfinde die Unterstellung, daß ich und andere Frauen z.B. „in Wahrheit“ CDU-Frauenpolitik bei den Grünen etablieren wollten, als hemmend für die Wirkungen der Frauen auf die Grünen und der Grünen Frauenpolitik auf die Gesellschaft. Das Motto dieser Tage: „Frauen überschreiten Grenzen“ scheint mir ein sehr passender Slogan für die innerparteiliche Diskussion zu sein.

Nach dem Politikverständnis derjenigen, die auf eine maximale Konfrontation aus sind, kann es aber nur Sieger und „Vertriebene“ geben. Zur Zeit wollen sie verantwortliche Täter für den eigenen Opferstatus dingfest machen, wobei es für mich immer wieder verblüffend ist, wie hochgradig sensibel diejenigen sind, die im Austeilen durchaus keine Skrupel oder Hemmungen kennen, wenn sie nicht das bekommen, was sie sich als unbedingtes Muß in den Kopf gesetzt haben.

Lesen wir bei den AutorInnen von „Opposition oder Tod“, daß heute „die WählerInnen die völlig realistische Einschätzung haben“, daß es eine Grün-rote Koalition auf Bundesebene nicht geben wird, haben wir es auch mit der sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu tun. Jetzt (!) schließen sie, daß „es keinerlei positive Stimmung (...) für ökologische und soziale Reformen in der BRD“ gibt. Daß der dauerhafte Ideologiekampf gegen solche Optionen als „Verrat-Kampf“ mit einer selbstverantworteten verpaßten Chance zu tun hat, kommt ihnen nicht in den Sinn. Das ist wie in einer frustrierenden Liebesbeziehung, wo man sich freut, daß niemand froh sein kann, und gleichzeitig bis zum Geht-nicht -mehr klammert.

Es ist also angesagt, mit Bescheidenheit über die politischen Gestaltungsmöglichkeiten einer innovativen kleinen Partei jeweils konkret und an den verschiedenen Orten zu reden, sie auszubalancieren und sich gegenseitig in den jeweiligen Stärken zu unterstützen. Ob sich diese Herangehensweise aus Pragmatismus, Neigung zur Gruppenarbeit, Narzismus oder inneren Flammen utopischer Ideale nährt, ist nicht Sache eines Parteiverfahrens. Mit etwas Großmut werden wir ohnehin feststellen, daß jede Person all diese Elemente in unterschiedlicher Ausprägung in sich trägt.

Erfreulicherweise nimmt die Anzahl der Leute bei den Grünen zu, die die Partei weder unterbewerten noch sich in größenwahnsinnigen Phantasien über sie ergehen. Nur so entsteht Raum für Kompromisse und Abwägungen, die für eine zivile politische Zusammenarbeit unabdingbar sind.

Gisela Wülffing

(Die Autorin ist Mitglied im Bundesvorstand der Grünen.)

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