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Aus Nachbarn werden Zaungäste

■ Westeuropa und die Last mit der Vereinigung der Deutschen

Bundesaußenminister Genscher war es mal wieder, der vor zehn Tagen in Dänemark die liberal-konservative Regierung beruhigen konnte: Diese fordert nun keine direkte Teilnahme an den Zwei-plus-vier-Verhandlungen um die Einheit der beiden deutschen Staaten. Ihr Zusammengehen wird von den Dänen in erster Linie als die Konstruktion eines Gebildes aus BRD plus einer unbekannten Größe betrachtet, denn über die DDR wissen die meisten hierzulande nur wenig. Nur eines schien klar: das Leben der 16 Millionen „drüben“ sei grau, schmutzig und traurig. Die BRD dagegen, das Land südlich der eigenen Landesgrenze, kennen fast alle.

Schon heute wandern Dänen zu Tausenden hin und zurück über die Grenze: Im „Blauen Container“ bei Flensburg gibt es billige Video-Recorder und Stereoanlagen. In den 50er Jahren staunten die Dänen, wenn sie in Flensburgs „Bananen-Allee“ promenierten: Soviel exotisches Obst gab es damals zu Hause nicht. So sind die Dänen ihren Nachbarn innerlich mit einem bißchen Furcht und etwas Neid verbunden.

Wo heute die Vereinigung der Deutschen überhaupt Thema ist, wird es entweder als Drohung oder mit Genugtuung hingenommen: Werden sich die Deutschen aufführen wie 1940? Oder: Endlich sind sie wieder frei! „Mit den Zusatzforderungen an Polen vermasselt Kanzler Kohl die Sache“, schrieb Kopenhagens Tageszeitung 'Politiken‘. Im Leitartikel vom 6.März wurde eine klare Aussage zur deutsch -polnischen Grenze gefordert, als dringendes Erfordernis der europäischen Integration. Dänemarks bekanntester Karikaturist, Bo Bojesen, zeichnete den bundesdeutschen Kanzler als ungeschickten Grobian mit Lederhosen, Axt, Säge, Spaten und Werkzeugkasten am Schlagbaum an der deutsch -polnischen Grenze. „Warum können unsere Nachbarn nicht einfach lernen, uns zu vertrauen?“ fragt Kohl, der selbst die historischen Geister auf den Plan gerufen hat.

„Ein Volk, ein Reich, ein... Damals, vor 50 Jahren, waren sich die Massen auch einig und demonstrierten mit großem Eifer für ihre Vereinigung: am Anfang innerhalb ihrer Grenzen, später außerhalb - wurden sie doch bekanntermaßen ausgedehnt -; und am Ende wurde fast ganz Europa vergewaltigt und in Schutt und Asche gelegt“, so wollte es ein Leserbrief. Der Leser wundert sich angesichts der Ereignisse in der DDR seit November, „wie leicht es ist, Menschenmassen zu begeistern, so daß sie erst in einer Richtung und kurz danach in die entgegengesetzte marschieren“. Er meint, daß alle Nachbarländer die alten unbezahlten Rechnungen von 1939 bis 1945 einfordern müßten mit Zinseszinsen versteht sich.

Das ehemalige Mitglied des Folketings, des dänischen Parlaments, Carl Hahn, hat nur Vertrauen in Frau Thatcher und meint, es sei notwendig, „die Handwaffen bereitzuhalten. Die polternden Reden von Kohl wecken so manche Erinnerungen.“

Der konservative Folketing-Abgeordnete Per Stig Möller bekundete seine Irritation über den Vorsitzenden der „Republikaner“, Franz Schönhuber, „diesen deutschen Extremisten“, und meinte, daß „es logischer wäre zu sagen: Dänemark bis zur Ejderen. Aber das sagen wir nunmal nicht.“ Möller sah die Dreistigkeit der Reps als Zeichen dafür, „wie gefährlich es ist, wenn Bundeskanzler Kohl die Pandora -Büchse öffnet. Raus kommen alte Trolle.“ Er erinnerte daran, daß „ökonomische und territoriale Forderungen Deutschlands Europa oft genug ins Unglück gestürzt haben“.

Ressentiments zu Hauf in Dänemark: „Es sind nicht nur die, die in den Konzentrationslagern gesessen haben, die Bedenken haben bei dieser Entwicklung“, so eine alte Kopenhagenerin. Und sie fragt sich, ob nicht die Grenze zwischen den zwei deutschen Staaten „geschaffen wurde, um das große Reich daran zu hindern, seine Nachbarn nochmals zu überfallen“? „Wir Dänen haben uns nie besonders um unsere Angelegenheiten gekümmert. Wir waren naiv und haben uns in die 'große Politik‘ eingemischt. Das hätten wir lieber sein lassen. Es hat Dänemark nur geschadet. Da erinnere ich nur an 1972, als unser Land per Volksentscheid Mitglied der EG wurde.“

Aber es gibt auch andere Stimmen. Der alte Sozialdemokrat Kurt Francis Madsen meint, daß die Deutschen ein Recht auf nationale Einheit haben, „unter genau denselben Bedingungen wie alle anderen Völker in einer friedlichen internationalen Zusammenarbeit auch. Wenn die Verhandlungen zu einem Friedensvertrag in der Form eines Kooperationsvertrages mit den Nachbarländern führen, so wäre das für den Frieden in Europa und der Welt nur zu begrüßen.“ Letztendlich sind die meisten Dänen wohl dieser Meinung - ob aus mangelndem Wissen oder natürlicher Friedfertigkeit, ist nicht ganz klar.

Ole Jorn, Kopenhagen

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