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Nationale Wiedergeburt im heiteren Spiel

Zweiter Teil der taz-Olympia-Serie / Ob Berlin 1936 oder Seoul 1988: Das symbolträchtige olympische Zeremoniell wird gern als nationale Gebärhilfe genutzt / Daß der Sport von der Politik „mißbraucht“ wird, ist eine schönfärberische und selbstmitleidige Legende  ■  Von Thomas Alkemeyer

Sport und Olympische Spiele haben nichts mit Politik zu tun, so tönten die Sportideologen über Jahrzehnte. Sport sei durch und durch politisch, entgegnete die kritische Sporttheorie Ende der sechziger Jahre Disziplinierungsinstrument par excellence, Olympische Spiele Werkzeug „zeremonieller Machtentfaltung“ und Herrschaftsmittel zur Manipulation und Täuschung der Massen. Beide Seiten haben nur zur Hälfte Recht, und dennoch liegt die Wahrheit nicht in der Mitte.

1988 in Seoul trug der 76jährige Kee Chung Son das olympische Feuer ins Stadion. 1936 in Berlin hatte er unter dem aufgezwungenen Namen Ki Tai Son für das verhaßte japanische Besatzungsregime zum Marathonlauf antreten müssen - und gewonnen. Sein Einlauf mit der olympischen Flamme in Seoul demonstrierte einen späten nationalen Triumph. Ein politisches Ausdrucksinteresse war verschoben aufs Feld der Symbole - und wirkte um so subtiler. Olympische Spiele zeitigen politische Effekte, ohne selbst - im engen Sinn politisch zu sein. Damit aber sind sie nicht nur einfach Spielball der Politik oder ihr unschuldiges Opfer, wie es aus den Vorstandsetagen der Sportorganisationen schallt, sondern selbst Täter; als Netzwerk von Zeichen, welche die Gefühle ansprechen und sinnliche Gemeinschaften erzeugen, bringen sie selbst politische Kräfte hervor.

„Cola“ Kuhn:

Edler als Coubertin

Bereits das von Coubertin gefeierte männliche Idealbild des schönen, uneigennützigen und starken Menschen hatte seine heimlichen politischen Kehrseiten: es richtete sich unausgesprochen gegen alles „Weibische“, gegen Untüchtige und Schwache, aber auch gegen diejenigen, die es sich nicht leisten konnten, als „reine Amateure“ Sport zu treiben. Schon beim ersten Olympia der Neuzeit 1896 in Athen - dem vermeintlich so erhabenen Ursprung der olympischen Idee, zu dem „Cola“ Kuhn zurückfinden möchte - durchdrangen die Niederungen des politischen Alltags das ruhmreiche Fest. Geschickt wußte die Königsfamilie die olympische Bühne zu nutzen. Die Regierung Trikupis, die aufgrund der finanziell desolaten Situation Griechenlands gar erwog, den Auftrag zur Durchführung der Spiele zurückzugeben, mußte 1895 den Hut nehmen. Das Königshaus hingegen engagierte sich stark und ermöglichte letztlich den Beginn der Spiele am 6. April. Für König GeorgI., der die bis heute gültige Eröffnungsformel sprach, und für den Kronprinzen Konstantin - er hielt die Eröffnungsrede - wurde die Eröffnungszeremonie zum eindrucksvollen Bad in der Menge. Als dann noch der zum einfachen Bauernjungen stilisierte Grieche Spyridon Louis den Höhepunkt der Spiele - den Marathonlauf - gewann, gab es bereits damals keinen Halt für nationalen Taumel und pathetische Wir-Gefühle.

Olympische Rache

für Versailles

Wenn von Sport und Politik die Rede ist, dann denken die meisten zuerst an die Olympischen Spiele von 1936 - auch hier übrigens wurde penetrant der Anschluß ans „echte, wahre“ Olympia gesucht und Spyridon Louis als Sinnbild dieses Anschlusses in die Theater-Szenerie der Eröffnung eingespannt: als Hirte verkleidet überreichte er Hitler den Olivenzweig aus dem „Heiligen Hain“ Olympias. Tatsächlich trugen die „Spiele unterm Hakenkreuz“ wesentlich zur Festigung der Nazi-Herrschaft bei. Das Regime konsolidierte sich, und ein stimmungsmäßiger Höhepunkt war erreicht: Mit den Spielen, die zu einer Art internationaler Reichsparteitag gerieten, wurde eine mythische „Wiedergeburt“ Deutschlands nach der „Systemzeit“ Weimars gefeiert und symbolisch Rache genommen für den „Versailler Schandvertrag“.

Der Sport sei von den Nazis mißbraucht worden, auf diese Phrase hat man sich gemeinhin geeinigt. Diejenigen aber, die so reden, verschweigen: Der Sport ist nicht „mißbraucht“ worden, er hat sich selbst an die Nazis herangedrängt. Seine Repräsentanten wollten sich nichts aus den Händen nehmen lassen und sahen ihre hochfliegenden Träume verwirklicht, als Hitler und Goebbels eine Olympiade versprachen, die alles in den Schatten stellte, was die olympische Bewegung bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte.

Arbeitslosenheere fürs „Gesamtkunstwerk“

Carl Diem, führender Vertreter der deutschen und der internationalen Sportbewegung, gestaltete die Spiele maßgeblich. Mit Hilfe der ungeheuren finanziellen Mittel und der Arbeitslosenheere, die der NS-Staat bereitstellte, schuf er ein olympisches „Gesamtkunstwerk“, dessen Einzelteile schlüssig aufeinander und auf einen Gesamtsinn bezogen waren: den Opfertod fürs Vaterland, architektonisch gegenständlich im heimlichen Zentrum der eigens errichteten Olympia-Anlage, der Langemarckhalle unterm Glockenturm, und symbolisch erbracht von den deutschen Athleten: „Allen Spiels heil'ger Sinn / Vaterlandes Hochgewinn / Vaterlandes höchst Gebot / in der Not / Opfertod“, hieß es auf dem dramaturgischen Höhepunkt eines von Diem geschriebenen Festspiels mit dem Titel Olympische Jugend, das den Eröffnungstag einleitete.

Völkerfest & Rassegesetz

Diem hatte eine mustergültige Verbindung von Olympismus und NS-Ideologie hergestellt. Trotz der Nürnberger Gesetze von 1935 und dem Wissen um massenhafte Internierungen ließ es das IOC letztlich bereitwillig geschehen - und war so begeistert, daß es die Winterspiele 1940 nochmals ans Deutsche Reich vergeben wollte. Auch Coubertin war überwältigt und sandte Diem ein Glückwunschtelegramm.

Die Begeisterung war allenthalben groß. Zu schön war das, was sich über den Folterkellern erhob, trefflich fügte es sich in die Tradition des modernen Olympismus. Noch heute bekommen die berühmten „Zeitzeugen“ leuchtende Augen, wenn sie davon erzählen. Tatsächlich stellten die Olympischen Spiele von 1936 einen Markstein dar. Wichtige symbolische Neuerungen wurden damals eingeführt und bis heute beibehalten: der olympische Stafettenlauf beispielsweise eine Idee aus Goebbels Propagandaministerium, die man später schamvoll Diem zuschrieb. Und auch die Ehe zwischen Sport und Medien ward geschlossen, die den Weg zu großartiger Spektakularisierung eröffnete und den Einflußbereich der inszenierten Ideologien ins Unermeßliche wachsen ließ: Erstmals wurde eine Sportveranstaltung weltweit im Radio übertragen. Selbst TV-Versuche wurden unternommen.

Bei den Zweiten Olympischen Spielen auf deutschem Boden 1972 in München - tat man alles, um Erinnerungszeichen an Berlin zu vermeiden. Eine genesene, bundesrepublikanische Identität wurde zur Schau gestellt. Freilich, auch hier wollte man „so etwas wie ein Gesamtkunstwerk“ (Willi Daume, NOK-Präsident) aus Fahnen, Fackeln und Fanfaren schaffen und engagierte mit Zeffirelli Bundesdeutschlands ersten Opern -Inszenator. Aber statt der Monumentalität grauer Quadersteine gestaltete man den Größenwahn „leicht und beschwingt“ (Daume) mit zeltartigem Riesendach aus Acrylglas, zeugend „vom Geist unseres Volkes im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“ - so die Urkunde im Grundstein des Bauwerks. „Mit Farben kann man Politik machen“, erkannte auch Otl Aichinger, einst von rechts verpönte Hauptfigur der Ulmer Hochschule für Gestaltung und jetzt Olympia-Designer. Schlichte Schriftzüge und sanfte Farben sollten München und den Deutschen ein frisches Image verschaffen. Statt farbloser Uniformen gab es jetzt poppige fürs Ordnungspersonal, und an Stelle preußischer Militärmärsche plattelten lederbehoste Bayernburschen Schuh.

Zwei Milliarden für

das „menschliche Maß“

Angekündigt waren - wer fühlt sich nicht an die aktuellen Pläne des Berliner Senats erinnert - „Spiele der Heiterkeit“ und des „menschlichen Maßes“ (Daume). Heraus kam - nicht nur wegen des Überfalls arabischer Terroristen auf die israelische Mennschaft am 5. September - etwas anderes: Zwei Milliarden - mehr als je zuvor - wurden für das Zwei-Wochen -Ereignis ausgegeben. Eine Superschau fürs Prestige entstand, nicht zuletzt aufgrund der Forderungen von internationalem Leistungssport und Wirtschaft. Die verlockende Chance aber, mit der aufwendigen Inszenierung in kürzester Zeit bewerkstelligen zu können, wozu man sonst Jahrzehnte gebraucht hätte, erwies sich als Illusion: Städtebauliche Sanierung und Verbesserungen in der Infrastruktur gingen Hand in Hand mit Verkehrschaos, Luftverpestung, Trabantenstadt-Tristesse und Bodenspekulation. Trotz gegenseitiger Verlautbarungen wurde auch hier eine Entwicklungslinie des Olympismus vorangetrieben, die 1936 ihren ersten großen Schub erhalten hatte: die zu Gigantismus, Vermarktung und Medialisierung. Noch nie wurde ein Sportereignis so lückenlos ausgebeutet: kein Lauf, kein Sprung, kein Wurf, der nicht live übertragen wird. Das Fernsehen wurde zum „Multiplikator der Gefühle“ in bisher unbekanntem Ausmaß. Olympia 1972 sollte etwa eine Milliarde Zuschauer haben.

Alles deutet darauf hin, daß zwischen dem unaufhörlichen Anschwellen der Bilderfluten, das die Grenzen zwischen Illusion und Realität verwischt, und der Mobilisierung auch nationaler Emotionen ein Zusammenhang besteht. Das Fernsehen macht aus den Wettkämpfen Showdowns und Duelle, aus den Athleten Helden: optische Identifikationsobjekte für unzählige Wohnzimmer. Großaufnahmen und Zeitlupen erst lassen den Sportler wirklich sichtbar werden und heben scheinhaft die anonyme Distanz auf, die im Stadion besteht. Die abendliche Zusammenfassung der Höhepunkte schließlich bietet all das in verdichteter Form, worin vom Alltag nur noch ein entferntes Echo zu vernehmen ist: Nervenkitzel, Sex, Sensationen, Sentimentalität und vertrauliche Nähe zum Idol - eine Mischung aus „Tatort“, „Dallas“ und „High Noon“: Zehntausende von Bundesbürgern verzichteten 1972 auf den Sommerurlaub und kauften sich statt dessen einen Farbfernseher.

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