piwik no script img

Einmal Paris und zurück

Einmal Paris sehen... Wie viele mögen sich diesen Wunsch in letzter Zeit erfüllt haben. Seit Wochen karren Luxusreisebusse DDR-Bürger in Scharen ins gelobte Land. Weltanschauung habe etwas damit zu tun, sich die Welt auch anzuschauen, sagten weiland schon die Pioniere zu Erich, als sie ihm von ihrer Fahrrad-Kreispionierexpedition (ungelogen) berichteten. Und so zeigt sich Weltanschauung denn auch beim Weltanschauen.

Am Wochenende war auch ich unterwegs in einem Bu-hus nach Paris, nur für einen Tag. Mit mir weitere 48 DDR-Bürger, rechtlich gibt's die ja noch, und zwei Busfahrer aus Westberlin. Der Scherz des einen Fahrers, Berlin habe ja jetzt sechs Besatzungsmächte, neben den vier Alliierten auch noch die Türken und Polen, war nicht unbedingt nationalistisch gemeint, fand jedoch promt Anklang bei einem Ossi im Bus. Jener entrüstete sich über die Polacken. Unmittelbarer Anlaß: ein polnischer Kleinstwagen war dem dicken Westbus im Wege. Und als in Paris Nordafrikaner viele schicke Autos steuerten, und jene nicht wie bedienstete Chauffeure aussahen, ertönte im Bus ein erstauntes: „Die Kanacker haben ja fast alle 'n Auto!“ - manchen fällt's halt in den Schoß. Während Deutsche dafür hart arbeiten müssen und in der Hauptstadt der Liebe dann noch nicht mal die Sau (besser: das Schwein) rauslassen können, denn halb sechs ist ja schon wieder Treff am Bus, und ohne Kleingeld gerät man ohnehin nicht in Gefahr, in irgendwelche Mausefallen zu tappen.

So bleibt lediglich die Hoffnung, daß die verschämt kreischende Gattin es einem daheim wenigstens mal französisch macht. Ach ja, die Stadt. Leipzig mag seine Leute auch heute noch bilden, ein Klein-Paris ist es aber gewiß nicht. Und auch Paris ist weit davon entfernt, ein Groß-Leipzig zu sein. Die Stadt ist viel zu schön, um hier nur mal kurz beschrieben zu werden. Guckt sie Euch lieber selber an. Platten könnt Ihr für Euer Westgeld immer noch kaufen.

Mario Kluge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen