piwik no script img

HEIMLICH SAUBER

■ Meine illegitime Untermieterin, die Naßzelle

Die meisten Altbauwohnungen bergen nur armselige Geheimnisse: die Tapetenblase unter einem Otto Dix und den Wasserfleck hinter'm Efeu. Interessanter wird es schon da, wo das Klofenster nur synchron mit geschlossener Gangtür geöffnet werden kann, soll es nicht bei stürmischem Wetter hinausfallen, oder wo die Steckdose auch im Sommer nur beleuchtet benutzt werden kann, da sie aus unerfindlichen Gründen mit dem Licht verschaltet ist. All das sind harmlose Privatvergnügungen, nette Foppereien mit Freunden, die vergessen, den Boiler abzudrehen, während man im Urlaub ist und sich dort auf die heimatlichen vier Wände freut. Ich habe auch von einem gehört, der sein Wohnzimmer zu einem Aquarium umgebaut hatte, was dann leider irgendwann ausgelaufen ist, als er nicht da war. Aber der wahre Nervenkitzel fängt erst in der Illegalität an, zum Beispiel wenn man im Besitz einer nicht genehmigten Naßzelle ist.

Zwar läßt sich eine nichtgenehmigte Naßzelle prinzipiell überall aufstellen. Mir bot sich jedoch meine Mietwohnung, insbesondere die sich darin befindliche Küche an, schon weil sie - klein und deshalb schwierig möblierbar - durch die kompakten Maße meiner Naßzelle (1x1x2m) einen nicht mehr überholbaren Akzent erhielt. Hinzu kam die Frischluftatmosphäre - gewährleistet durch Einfachverglasung und Ofenrohrkrepierer - die durch einen köchelnden Wasserkessel bequem reguliert werden konnte. Das Handtuch fand je nach Trockenzustand im Spülbecken oder auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine seinen Platz; und im Falle eines allzu leidenschaftlichen Waschvorgangs, verbunden mit der manchmal vorkommenden Erosion der Zu- und Ablaufschläuche und der mit ihnen korrespondierenden Klemmen, war die Rekonstruktion der Deckenbemalung des Unterwohners in einem Aufwasch mit den Folgen der regelmäßigen Überläufe der anliegenden Waschmaschine zu erledigen. (Ein Freund versuchte mich übrigens zu überreden, die Dusche in die Speisekammer einzubauen. Ein paar Kacheln genügten schon für's Badezimmerambiente, ansonsten seien dafür geringe Kenntnisse in der Umleitung der Stromkabel und Wasserschläuche nötig. Er selbst beging allerdings den Kapitalfehler, ebendiese miteinander zu verknoten und entkam nur knapp einem vorzeitigen ewigen Purgatorium. Heute lebt er legalisiert in einer zweibädrigen Eigentumswohnung, dieses Schwein.)

Ich hatte also nur gute Erfahrungen mit meiner Untermieterin, der Naßzelle gemacht. Und konnte das menschenrechtswidrige Reinigungsverbot meines Hausherrn Du sollst keine Naßzelle neben mir haben (er wohnte im Haus nebenan) nur im Sinne feudalistischer Abschröpfung außer du löhnst fünf Mark monatliches Schöpfgeld auslegen. „Wehret den Anfängen“, das war mir noch aus meiner Studentenstreikzeit in den Ohren, und ich sagte es jetzt zu dem über meinem Briefwechsel mit dem Vermieter grübelnden Mieterberater, einem jungen engagierten Rechtsanwalt, zu dem ich sofort viel Vertrauen hatte, weil er sich aus der Stadtteilsanierung hochgearbeitet hatte, wie man sich erzählte. Er war sich auch sofort der Unbotmäßigkeit des Zehnten sicher, aber konnte zwischen all den Buchstaben des Gesetzes ausgerechnet den Bade-Zusatz im Unterpunkt, in dem über Sein oder Nichtsein einer mobilen Naßzelle befunden wird, nicht herausdestillieren.

So blieb mir - nach der frustrierenden Erfahrung, daß ein Engagement in Bürgerbewegungen nicht lohnt - nur der Weg in die Illegalität. Ich brach alle Brücken hinter mir ab und lebte eine Zeitlang gut und sauber. Vor meinen Nachbarn hatte ich in weiser Vorahnung und soweit es diverse Wasserflecken zuließen, immer schon den verbotenen Besitz verheimlicht und konnte auch gut auf ihre Badegesellschaft verzichten. Die Hälfte hatte ihr Klo auf halber Treppe und täglich zwei bis sieben Halbwüchsige zu polieren; wie sie das vollbrachte, blieb mir ewig ein Rätsel (Die Männer mögen noch gelegentlich bei Einbruch der Dunkelheit ins Badehaus schleichen, aber die massigen Mammas habe ich außer zum Einkauf und zur wöchentlichen Moscheenverladung das Haus nie verlassen sehen). Der Rest der Hausbewohner hatte ein In-Klo und war Student, vorwiegend der Theaterwissenschaften, wo ja schließlich auf Ausdruck Wert gelegt wird. Hier beobachtete ich mehrere Lösungen: Der Wissenschaftler wechselte Schwimmbad mit Zweitwohnungsfreundin ab, bis das Schwimmbad schloß und er die Wohnung wechseln mußte; der Bühnenbildner verreiste oft und hatte, wie mir sein Zwischenmieter berichtete, eine geheime Schubladenbadewanne unterm Spültisch verborgen; der türkische Hitlersympathisant wiederum produzierte regelmäßige Überschwemmungen im Klo und wollte es dann nicht gewesen sein. All das erschienen mir keine Alternativen für eine junge Halbstadtpflanze wie mich.

Zwar war meine Zelle mit Plastiktüte gestopft, hatte einen Pappendeckelpfropfen als Krone und war auch die Pumpe, obgleich volltönend, eher schwach auf der Brust, bis sie ganz versagte und das Wasserschöpfen einen eigenen Ehrgeiz in mir entstehen ließ. Aber es war ein nasses Reich, das man, müde, beladen und stinkend betrat und wie die leibhaftige Aphrodite, wenngleich etwas fröstelnd, wieder verließ, was sage ich, dem man entschwebte, quer durch den Küchenschlauch.

Irgendeiner muß mich dann doch angezeigt haben, denn der Vermieter wollte sich aus eigener Anschauung Badebeweise verschaffen. In dieser Situation faßte ich den folgenschweren Entschluß, meine Naßzelle kurzfristig unterzutauchen. Zwei Vertraute halfen mir am Vorabend des Ereignisses, Seitenwände und Schläuche abzumontieren, Wasserreste in langwierigem Prozedere in Behälter und Eimer zu kippen. Da man den Nachbarn nicht trauen konnte, war die Aktion für Mitternacht geplant. Einer stand Schmiere, zwei trugen in übermenschlicher Anstrengung die Teile die Treppe hinunter. Die dunklen Stufen durchs Treppenhaus, zweimal um die Kehre, dann übern Hof, in den Kohlenkeller. Leicht hätte uns der Vermieter überraschen können. Aber es ging gut. Bis zur vorletzten Stufe - da rutschte mir das Becken aus der Hand - es war noch etwas lavendelseifig. Ein Sprung. Harmlos und zierlich, eine Grafik von geradezu ästhetischem Reiz. Wir schleppten das Teil noch an seinen Bestimmungsort. Aber das Spiel war aus. Ich wußte es. Am nächsten Tag ging alles wie erwartet glatt über die Bühne. Der Vermieter war jovial. Nachmittags besichtigte ich bereits das etwa zweihundert Meter entfernte Naherholungsstadtbad samt Brausen. Die Demütigung, von zwei schmierigen Weißkitteln eingewiesen, in einer gemieteten Naßzelle abzusteigen, konnte ich, wenn auch schwer, verkraften. Zu schaffen macht mir vielmehr meine geheimnislose, öffentlich ausgestellte Wohnung.

Letzte Woche hat mir ein Freund eine Kalaschnikov zum Unterstellen anvertraut. Ich habe sie gleich in die Auslage getan, aufs Fensterbrett. Man muß doch wissen, daß ich was zu verbergen habe.

DoRoh

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen