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„Wir brauchen eine Bürgerrechtsbewegung“

Interview mit dem Gewerkschaftssekretär der Berliner IG-Metall, Necati Gürbaca, zu den Folgen des geplanten Ausländergesetzes  ■  I N T E R V I E W

Mit der Forderung nach sofortiger Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens für ein neues Ausländerrecht im Bundestag ist gestern ein Kongreß der Bonner Grünen und der Alternativen Liste im Berliner Reichstag zu Ende gegangen. Zwei Tage lang hatten nach Angaben der Veranstalter rund 250 Ausländerrechtsexperten aus Ost und West über Inhalte und Alternativen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten. Auf dem Kongreß forderte der IG-Metaller Necati Gürbaca eine neue Bürgerrechtsbewegung für die Gleichberechtigung der ImmigrantInnen.

taz: Wenn Sie Bundesinnenminister wären, was würden Sie mit diesem Entwurf machen?

Gürbaca: Ich würde ihn wegschmeißen - und versuchen, meiner Fraktion eine Neuorientierung der Ausländerpolitik nahezulegen. In einer Zeit, in der sich alles im Umbruch befindet, in der man vom europäischen Integrationsprozeß redet, vom europäischen Paß und vom europäischen Haus, bleibt eines gleich: die Behandlung der AusländerInnen.

Nun liegt es ja kaum an der Vergeßlichkeit der Politiker...

Natürlich nicht - man muß da eines vorausschicken: Wir haben den Rassismus in diesem Land bereits institutionell und strukturell verankert. Nehmen Sie zum Beispiel das geltende Gesetz, wonach einem Ausländer die Aufenthaltserlaubnis verweigert werden kann, wenn seine Anwesenheit „die Belange der BRD beeinträchtigt“. Mit anderen Worten: Die Interessen des einheimischen Volkes müssen vor Ausländern geschützt werden. Das hat eine psychologische Wirkung auf die Gesellschaft; es provoziert die Ausgrenzung geradezu, wenn suggeriert wird, die Interessen der deutschen Bevölkerung müßten vor den Minderheiten geschützt werden.

Die Gewerkschaften haben den Gesetzentwurf in mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen kritisiert und abgelehnt. Folgen den Worten nun Taten ?

Vor einigen Tagen wurde in den Betrieben eine Unterschriftenkampagne gegen den Schäuble-Entwurf gestartet. Darüberhinaus planen wir für Ende April eine große Veranstaltung mit den VertreterInnen der politischen Parteien. Da wollen wir sie fragen, ob sie tatsächlich der Meinung sind, daß man dieses Gesetz den ausländischen KollegInnen in diesem Land antun sollte.

Während des Kongresses geisterte mehrmals das Wort von einer neuen Bürgerrechtsbewegung herum...

Sie müssen sich eines klarmachen: Ein solidarisches und friedliches Zusammenleben ist auf der Grundlage der herrschenden und der geplanten Gesetzgebung nicht möglich. Wir brauchen Neuorientierungen. Das bedeutet für mich: gleiche Bürgerrechte für die hier lebenden ImmigrantInnen. Ein anderer Paß darf in der gegenwärtigen Entwicklung in Europa kein Grund sein, Menschen elementare Grundrechte zu verweigern. Wir brauchen keine Sondergesetze, schon gar kein Ausländergesetz, das die Beschneidung unserer Rechte weiter legitimiert.

Die politischen Umwälzungen in der DDR, die anstehende Wiedervereinigung haben maßgebliche Auswirkungen auf die ImmigrantInnen in dieser Stadt. Was würden Sie als Regierender Bürgermeister im Rathaus Schöneberg tun, um dieser Situation gerecht zu werden?

Sich das vorzustellen, ist etwas schwierig. Ich kann nicht Regierender Bürgermeister werden, weil ich gar kein Wahlrecht habe. Außerdem würden da wohl einige Anstoß daran nehmen. In den Koalitionsvereinbarungen sind ja schon einige Versprechungen bezüglich einer neuen Ausländerpolitik gegeben worden, die leider auf der Strecke geblieben sind. Mir wäre sehr viel wohler, wenn dieser Senat, insbesonders Teile der SPD, aber auch der Regierende Bürgermeister, sich anschickten, diese Versprechungen wahrzumachen - zum Beispiel hätte ich erwartet, daß nun wirklich das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen eingeführt wird und das man im Senat und in der SPD klar sagt: Wir machen das jetzt.

Gespräch: Andrea Böhm

Demo gegen das Ausländergesetz heute um 13.30 Uhr am Fehrbelliner Platz.

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