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Sportlich durch A Abgaswolken

■ Schlechte Zeiten für sportive Radler in der City: Engbehost, festgeschnallt auf dem superleichten Rennrad und im Affenzahn radelnd, haben sie in der Großstadt kaum eine Chance, zu sportlichen Höchstleistungen zu gelangen. Doch für all jene, die sich nicht den dilettantischen Freizeittretern unterordnen wollen, gibt es eine Lösung.

MICHAELA SCHIESSL entdeckte den Hometrainer.

ahrradfahren kann Sport sein. Ein wunderschöner sogar. Stundenlang auf schier endlosen Landstraßen rasend schnell vor sich hin strampeln, verbissen, im ersten Gang aus dem Sattel kommend, den Zweikampf mit dem Berg aufnehmen, um gleich nach dem Triumph waghalsig auf serpentinenreicher Abfahrt die Belastbarkeit der Bremsen zu testen - da ist es wieder, das Marlboro -Feeling von Freiheit und Abenteuer. Modifiziert natürlich, als Asphaltcowboy.

Eine völlig andere sportliche Herausforderung findet der Fahrradsoziologe dagegen in der Großstadt. Statt Freiheit lockt das Abenteuer Alltag. Was auf dem Land der Cowboy ist, mutiert in der Stadt zwangsläufig zum Radelrambo.

So ist dann auch der hervorstechendste Trainingseffekt des städtischen Fahrradfahrens das gewaltlose Verarbeiten der enormen Mengen an Adrenalin, die unvermeidbar während einer noch so kurzen Trainingsfahrt ausgeschüttet werden. Wo sich obiger Asphaltcowboy, mit sich und der Natur im reinen, gleichmäßig und ausdauernd seinem Muskelwachstum hingeben kann, trainiert der City-Rambo in erster Linie Nervenstärke, Durchsetzungsfähigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, Reaktion und schnelles Aufstehen.

Der Sportspaß endet eigentlich schon im Moment des Besteigens der superleichten, licht- wie gepäckträgerlosen Rennmaschine: Ring frei zur ersten Runde. Die städtischen Fahrradwege, sowieso Mangelware, fordern vom sportiven Benutzer trotz ihrer zur Schau getragenen Harmlosigkeit vergleichsweise soviel Planung, List und Tücke wie die Bewältigung der Tour de France. Schon das ständige Bordstein -hoch, Bordstein-runter setzt eine exakte Beherrschung des diffizilen Sportgeräts voraus. Denn die zentimeterdünnen, knallhart aufgepumpten Leichtmetallräder bestrafen jede Anstößigkeit mit sofortiger Acht.

ie eigentliche Gefahrenzone jedoch befindet sich zwischen den Trottoirs. Dort herrscht gnadenlos das Recht der Pferdestärken. Die Autofahrer, überzeugt, die höchste Form der Fortbewegung gefunden zu haben, lenken ihr Gefährt hemmungslos selbstbewußt wie blind, dafür aber im Affenzahn auf Kreuzungen zu und aus Ausfahrten heraus. Daß die nichtswürdigen Fahrradfahrer eigentlich Vorfahrt haben und nur durch artistische Brems- und Ausweichmanöver aus voller Fahrt den meist schmerzhaften Kontakt mit der Motorhaube verhindern können, wird mit Ignoranz quittiert.

Obgleich dieses Schicksal täglich Tausende von Radfahrer ereilen kann, löst es doch beim Sportradler gesteigerte Angstzustände aus. Bei einer Eigengeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern hat er praktisch keine Chance zum Ausweichen. Und wo der Freizeitradler durch beherzten Sprung vom Gerät seine Haut retten kann, sieht der Sportler, durch Riemen an den Pedalen festgezurrt, kerzengerade dem sicheren Jochbeinbruch ins Auge.

och nicht nur das Auto ist der natürliche Feind des sportiven Radfahrers. Psychologisch auffällig ist die geheimnisvolle Anziehungskraft, die der farblich vom Gehweg abgesetzte Fahrradweg auf Fußgänger ausübt: Sobald die Konzentration nur einen Moment nachläßt, der Fußgänger sich sekundenlang seinen Tagträumen hingibt, die Steuerung seines Weges auch nur einen Moment lang dem Unterbewußtsein überläßt - schon findet er sich paralysiert auf dem Radweg latschend wieder. Die Verlockung des Geordneten, Abgegrenzten, Geraden im chaotischen Ganzen scheint unwiderstehlich. Hochgeschreckt von der wütenden Klingel des Radfahrers, weicht der solcherart Geweckte mit 90prozentiger Sicherheit dann in die Richtung aus, die auch der Radler zum Umrunden des Hindernisses auserkoren hat.

Berüchtigt sind auch die Bushaltestellen, wo die Wartezonen hinter dem Fahrradweg stationiert sind. Nähert sich ein Bus, blockieren auf einen Schlag Menschenmassen den Radweg. Weicht der dahersausende Radler der Blockade reaktionsschnell auf das Trottoir aus, erwischt er mit ein wenig Pech immer noch den letzten Bussprinter.

Doch der wahre Horror für Fahrradfahrer in der Stadt sind Hunde, vorzugsweise angeleint. Nicht weil sie des öfteren nach Radlerbeinen schnappten oder sich losrissen, um die Verfolgung derselben aufzunehmen. Diese Lappalie bringt keinen abgebrühten Radler mehr aus dem Gleichgewicht. Die Gefahr lauert im Anhang. In den Herrchen und Frauchen nämlich, die, dicht am Fahrradweg wartend oder schwatzend, ihrem Hunden dank der sich selbst auf- und abrollenden meterlangen Leine den notwendigen Auslauf gewähren. Waldi, unbedarft, rennt samt Leine kurzerhand zum nächsten Straßenpfosten, die Leine tückisch und kaum sichtbar über den Radweg gespannt. Der Radler, der in diese Seilfalle fährt, fehlt mit Sicherheit beim nächsten Frühstück.

uch das Verhältnis zwischen dem Normal- und Sportradler in der Stadt hat eher den Charakter eines Nichtangriffspaktes als den der Kooperation. Verachtungswürdig beäugt jeder Rudi -Altig-Verschnitt die Studis auf den Klapperkisten, die Yuppies auf dem Tourenrad oder die Youngster mit Mountain -Bike. Die Krone der Nichtswürdigkeit erreichen im Sportlerauge die Liebhaber der Hosenklammern und Miniräder. Allesamt jedoch stören sie - durch zu langsames oder wenig zielbewußtes Rumeiern - das gleichmäßige, tempo- und effektvolle Training des Engbehosten.

Leistungsradfahren in der Stadt - eine Unmöglichkeit? Wo weder hohes noch überhaupt konstant ein Tempo gefahren werden kann, man mannigfaltigsten Unfall- und Umweltrisiken ausgesetzt ist, gemieden von allen anderen Verkehrsteilnehmern, heimatlos, da von den Planern vergessen, und in der ständigen Angst um den Verlust des geliebten Sportgeräts, scheint der Abgesang des Radsports in der Metropole besiegelt.

Gäbe es da nicht eine Erfindung, die alle Vorteile bietet bei gleichzeitiger Eliminierung jedweder Nachteile. Lange bekannt und zu Unrecht geschmäht, erlebt es im Zeitalter der versporteten Gesellschaft in chromglitzernden Krafträumen wie gemütlichen Wohnzimmern eine Renaissance: das Ergometer. Aus sportlicher Sicht die noch einzig praktikable Möglichkeit zum gesunden und sportiven Fahrradfahren in der Stadt.

ie Krönung der F a h r r a d s c h ö p f u n g ist ausgerechnet diejenige, die weder Räder hat noch fährt. Denn das Ergometer steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Es bedarf eines vorurteilsfreien Blicks auf das modern-spacig gestylte Trimmgerät, damit die Vorzüge zutage treten. Das geht schon beim Wetter los. Quält sich der vorgestrige Radler bei Wind und Wetter durch die feindselige Umwelt, radelt der Ergometer in den trauten vier Wänden heiter und gelassen, wahlweise mit Musik, sein Tagespensum herunter. Die Temperatur regelt er überlegen durch die Wahl des Standortes (Keller oder Dachboden) oder einfach durch den Griff zum Heizungsthermostat. Auch mit dem nervenaufreibenden Klappern loser Schutzbleche ist Schluß: Ein leichtes Schleifen des gummierten Riemens, der Ursache des stufenlos zu regelnden Tretwiderstandes, ist das einzig vernehmbare Geräusch der Maschine. Und während der Radler draußen über seine genaue Leistung meist im dunkeln bleibt, ist das Heimfahrrad ein Wunderwerk an Transparenz. Computergesteuert liefert es dem wißbegierigen Nutzer mehr als nur die schnöde Stundenkilometeranzahl: Auf Befehl errechnet es in jedem Moment die Anzahl der gefahrenen Kilometer, die momentan von den Muskeln aufzuwendende Kraft, den Trainingseffekt, die bereits verbrauchten Kalorien, den Kalorienmehrverbrauch, wenn er nur noch zehn Kilometer mehr auf die Uhr bringt...

Staus und Abgasprobleme, Verkehrshindernisse und Hundeleinen: darüber kann der erfahrene Ergometer nur lachen. Dem Vorwurf, er sähe ja nichts von der Welt, setzt er gekonnt die Macht der Phantasie entgegen: Je nach Tageslaune versetzt er sich mitten in die Bremer Six Days oder auf einsame Bergstraßen. Und wenn ihm nichts einfällt, radelt er halt vor dem Fernseher, vorzugsweise während der Sportschau vor den gestrengen Augen der Sportmaster Kürten und Jauch.

Geht die Entwicklung zur Sportgesellschaft so rasend schnell weiter, kann das Ergometer bald die heimische Wohnsitzgruppe, exakt auf die Glotze ausgerichtet, ablösen. Dann endlich wird der wöchentliche Familienrat gemeinsam strampelnd abgehalten, die Motorik befriedigt und der Geist frei für die wahrlich wichtigen Entscheidungen des Lebens. Und Sportler wie Normalmenschen stehen, wie ihr Sportgerät, endlich mit beiden Beinen fest auf dem Boden.

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