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Treten, Rasen, T Tricksen

■ Gebremst wird erst am Ziel: Fahrradkuriere sind wahre Prachtexemplare todesmutiger innerstädtischer Abenteurer, aber auch Vorreiter eines ökologischen Kleintransportsystems.

KOLJA KUGLER strampelte einem Zweiradjockey hinterher.

s geht los. Ich stehe im Büro des „Messenger Courier Service“ in der Joachimstaler Straße und warte auf mein Zugpferd. „Ich will einen Schnellen“, hatte ich gesagt. Mit einem, wie ich meine, höhnischen Grinsen funken sie mir den schnellsten, der im Moment auf der Strecke ist, ins Büro. „In drei Minuten bin ich da“, quäkt es aus dem Funkgerät. Zufällig in der Nähe, denke ich. Noch weiß ich nicht, wie weit man in drei Minuten kommen kann.

Die Rede ist von Fahrradkurieren, die von eiliger Post bis zu Nylonstrumpfhosen alles von einer Ecke Berlins in die andere und anderes wieder zurückbringen. Time is money, und darauf kommt es an, je schneller, je besser. Ich will mich an einen dieser frisierten Postboten anhängen.

Der schnellste überhaupt sitzt hinter mir auf einem Stuhl. Er sitzt da nur, weil er eigentlich krank ist. Sonst wäre er längst wieder weg. Er ist der einzige hauptberufliche Fahrer des Kurierdienstes, fünf Tage die Woche, bis zwölf Stunden am Tag. Während er erzählt, daß es etwa 90 Kuriere in Berlin gibt, davon etwa 15 motorisiert, kann ich mir eine mitleidige Schadenfreude in seiner Stimme nicht wegdenken. Einbildung, beruhige ich mich. Er hat gerade noch Zeit zu erzählen, daß pro Tag etwa 20 Bike-Messenger im Einsatz sind und daß er M1 und mein Fahrer M7 ist, da kommt der auch schon angerauscht. M7 heißt Robert, war früher Trainer und fährt ein Mountain-Bike, was mich zuversichtlich stimmt, da ich auch eins fahre. Gegen ein Rennrad hätte ich keine Chance gehabt.

M7 ist mit der typischen gelben Messenger-Tasche und einem Funkgerät ausgestattet und wird sogleich mit vier Aufträgen versorgt. „Paßt auf euch auf, und das ist ernst gemeint“, sind die Abschiedsworte von M1, aber mein Selbstvertrauen hält sich wacker.

ie erste Fahrt soll zu einem Büro in der Nähe gehen. Relativ zivil fahren wir quer über die erste Kreuzung. Plötzlich geht ein Gehupe los, daß ich mich frage, was ein Dampfer auf der Straße verloren hat. In einem schön polierten Gefährt sehe ich ein rotangelaufenes Etwas, das mir mit abenteuerlichem Gezappel irgendwas vermutlich nicht Nettes mitzuteilen versucht. Robert, dicht vor mir, dreht sich bloß grinsend um und fährt weiter. Er hat zwar den Nachteil, daß er den Weg und die Lücken im Straßenverkehr finden muß, ich habe aber hinter ihm das Pech, daß die Lücken bei mir schon wieder fast geschlossen sind. Trotzdem kommen wir gemeinsam an. Das Rad wird irgendwo hingestellt, und wir hetzen in den zweiten Stock. Eine Unterschrift muß abgeholt und in ein anderes Büro gebracht werden. Nebenbei werden, frei Haus, Grüße überbracht.

Die Fahrt ins nächste Büro verläuft relativ ruhig, bis auf die Tatsache, daß ich auf einem Bürgersteig um ein Haar einen unverschämt aufgestellten Pfahl, der eine Ausfahrt markieren soll, ramme. Auch dieser Auftrag ist schnell erledigt, und ich komme sogar dazu, das schöne Wetter zu genießen, der Job macht mir Spaß. Das war zu früh gefreut, der nächste Auftrag ist eilig, Robert dreht auf, und als wir kurz darauf an einer Kreuzung gezwungen sind zu halten, komme ich durch seinen Kommentar „Das war doch wohl nicht so schnell, oder?“ ins Grübeln. Zeit zum Antworten ist nicht. Eine Minute später parken wir souverän neben dem Portier eines Luxushotels. Verschwitzt wie ich bin, komme ich mir vor wie ein Pefferkorn im Salzfaß.

Glücklicherweise gibt es eine kurze Pause. M7 muß, um den nächsten Auftrag ausführen zu können, die Straßenkarte befragen. Er ist erst seit sechs Tagen Kurier, erzählt er etwas verschämt. Normalerweise ist ein Kartenstudium nicht notwendig, die Auftraggeber sind meistens Stammkunden. Es geht zu einem Copy-Shop nahe der Nestorstraße. Dabei müssen wir den ganzen Ku'damm runterfahren, sagt M7, und seither weiß ich, daß ich bisher den Ernst des Lebens nicht kennengelernt habe.

er Ku'damm gleicht einer tosenden und rollenden Stahlpreßmaschine. Aber die vor mir hin und herhüpfende gelbe Messenger Tasche stürzt, ohne auch nur abzubremsen, in die sich in der Breite ständig verändernde Rinne zwischen den Autos hinein. Mit ungefähr 20 Stundenkilometern ziehen wir an den Autos vorbei, immer im wilden Zickzack zwischen Kühlerhaube und Kofferraum. Mit kurzen Handzeichen signalisiert der Verrückte vor mir den Autos, daß er gewillt ist, ihren Weg zu kreuzen. Mal sind wir ganz links auf der Straße, mal ganz rechts. Aber noch klebe ich am Hinterrad meines Vordermanns.

Jede dritte Ampel ist grün. Robert vor mir manövriert mit vollem Tempo zwischen den parkenden Autos und an einem an der Ampel stehenden Lastwagen vorbei und geht gleichzeitig auf Tauchstation vor dessen Rückspiegel. Gerade als ich das gleiche mache, fährt der Lastwagen los und raubt mir weitere kostbare Nervenzellen. Doch es bleibt mir keine Zeit, Angst zu kriegen, denn schon sind wir an ihm vorbei, und ich habe genug damit zu tun, auf jede Bewegung meines Vordermannes aufzupassen und diese nachzumachen.

An einer Wendestelle zieht Robert plötzlich links rüber, und ich ma che mich erleichtert bereit, den Ku'damm zu verlassen, aber nichts ist. Entgeistert registriere ich, daß er, ohne die Bremsen auch nur anzutippen, auf den etwa 25 Zentimeter breiten Steinrand des Grünstreifens zusteuert. Meine Vernunft kämpft mit dem Ehrgeiz, letzterer siegt. Links der Räder steigt der Steinrand stark zur Wiese des Grünstreifens an, auf die rechte Seite will ich lieber nicht sehen. Zwei Dinge fallen mir auf, die plötzlich hochsommerlichen Temperaturen und wie beengt doch so ein Herz in einem Brustkorb ist.

ie Ampel der nächsten großen Kreuzung ist schon viel zu lange grün. Mein Quälgeist vor mir steigt in die Pedale. Er fährt bei Dunkelgelb rüber, ich bei Dunkelorange. Endlich, endlich biegen wir ab und rollen in einen Hinterhof der Nestorstraße. Aber Pause ist nicht. Das Funkgerät meldet sich und verteilt neue Adressen. Während M7 die Treppe hochstürmt, um seinen Auftrag zu erledigen, beschließe ich, das schöne Wetter zu genießen. Ich weiß jetzt, daß mit „schnellen“ Kurieren nicht unbedingt die Stundenkilometer gemeint sind, die sie bewältigen, sondern die Fähigkeit, sich durch dichtesten Verkehr zu schlagen. Und darin ist Robert nicht schlecht. Ich frage mich, wieviel Tricks man in sechs Tagen lernen kann. Viel zu schnell kommt er wieder runtergestürmt.

s geht zurück in die Zentrale, den ganzen Ku'damm wieder rauf. Mit Erinnerungen an eine frühere Fahrradtour über den Gotthard versuche ich mich wieder aufzubauen. Aber sofort werden wir aufs neue in die Zange genommen, und ich folge ihm auf seinem Slalomkurs durch die rauchenden Blechmassen. Wir sind beide Verfolger - die Gejagte ist die Zeit.

Wir tauchen in den Schatten zwischen zwei dicht nebeneinander fahrenden Bussen. Panik befällt mich, wenn ich daran denke, daß mein gesamtes Rad soviel wiegt wie allein die Motorenklappe eines dieser Ungeheuer. Irgendwie hat Robert die Fähigkeit entwickelt, nahezu rechte Winkel fahren zu können. In einem solchen biegt er zu meiner Erleichterung ab, und auf einer Parallelstraße geht es zurück in die Zentrale.

Der Aufenthalt ist, wie erwartet, kurz. Schon sind wir wieder auf der Straße, die ich am allerwenigsten mag. Der Ku'damm führt noch immer Wildwasser. Sofort werden wir mitgerissen und sind zu allem Überfluß auch noch schneller als der Strom. Räder sind rechts und links, vor mir und hinter mir. An einer Stelle ist die Straße mit kleinen, roten Plastiktütchen verengt. Sie stehen viel zu dicht aneinander. Mit vollem Tempo saust Robert - er will mich abhängen, da bin ich mir inzwischen sicher - zwischen den Hütchen durch und biegt auf den abgesperrten Bereich ein. Mit der schnellen Reaktion einer Katze tue ich dasselbe, und eines dieser armen kleinen Hütchen muß dran glauben. Durch dieses kleine Intermezzo falle ich etwa zehn Meter zurück, und um ein Haar verschwindet die gelbe Tasche am Horizont, aber durch eine Aktion, die wieder zu lautem Gehupe führt, kommen wir doch noch zusammen an der gesuchten Adresse an.

Die Grenzöffnung hat so ziemlich nichts verschont, die nächste Fahrt geht nach Ost-Berlin. Beide haben wir jedoch Probleme. Roberts Stadtplan hat kein Straßenverzeichnis des Ostteils, und ich habe keinen Paß mit. Er löst sein Problem, ich nicht. Was für ein Trost, daß mich nicht M7, sondern nur die DDR abgehängt hat. Ganz langsam und sehr genußvoll trete ich den Rückweg an.

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